Mittwoch, 24. April 2024

Das Cembalo in Paris im 18. Jahrhundert



Im 17. Jahrhundert war die Laute das am meisten geschätzte Instrument in Frankreich. Das änderte sich gegen Ende des Jahrhunderts, als das Cembalo die Laute allmählich verdrängte. Jacques Champion de Chambonnières gilt als der Gründer der französischen Cembaloschule. Die Blütezeit des Cembalospiels war das 18. Jahrhundert. Im Jahre 1699 veröffentlichte Louis Marchand sein erstes Buch mit Cembalostücken, und in den nächsten Jahrzehnten erschienen mehrere solcher Sammlungen. François Couperin veröffentlichte sein erstes Buch 1713. Diese zwei Komponisten sind die ersten, deren Werke Jos Van Immerseel aufnahm in einer bei Channel Classics erschienene Produktion unter dem Titel 'Le clavecin à Paris au XVIIIe siècle'. Auf insgesamt drei CDs verfolgt er die stilistische Entwicklung im Komponieren für das Cembalo, und benutzt dafür drei historische Instrumente, die mit dieser Entwicklung Schritt halten.

Marchand komponierte hauptsächlich Tänze, und stilistisch steht er dem 17. Jahrhundert nahe. Wir hören Auszüge aus der ersten Suite. Bei Couperin weichen die Tänze allmählich den Charakterstücken: schon im ersten Buch gibt es kaum noch Tänze ohne einen zusätzlichen Titel. Er gilt als der erste Vertreter des sogenannten Rokoko, das von Leichtigkeit und Eleganz gekennzeichnet wird. Van Immerseel spielt Auszüge aus dem ersten Buch. Die zweite CD fängt dann mit Stücken von Jean-Philippe Rameau an. Wer seine Musik hört, wird kaum schockiert sein, aber wenn man seine Musik direkt nach Couperin hört, wird man durchaus einen Stilbruch erfahren. Rameau ist der Dramaturg unter den Cembalokomponisten. Zwar wurde seine erste Oper 1733 aufgeführt, aber schon in den Cembalosammlungen, die zwischen 1706 und 1728 erschienen, zeigt er, dass er für die Bühne geboren war. Kein Wunder, dass er mehrere Stücke später orchestrierte und in seine Opern einfügte. Van Immerseel spielt einige Stücke aus der Sammlung von 1728. Es folgen dann Stïcke von Forqueray; noch immer ist nicht geklärt, ob es sich dabei tatsächlich um Gambenstücke von Antoine handelt oder ob diese von seinem Sohn Jean-Baptiste komponiert wurden. Die Cembalofassungen haben ihren Ursprung in Stücken für die Viola da gamba, und das erklärt, dass sie sich meistens im mittleren und unteren Bereich des Cembalos bewegen. Der Einfluss des italienischen Stils ist unverkennbar.

Die dritte CD beleuchtet die Spätphase des Cembalospiels; im letzten Viertel des Jahrhunderts wurde das Cembalo vom Fortepiano Konkurrenz gemacht. Es erklingen zunächst einige Stücke von Jacques Duphly, aus dem dritten und vierten Buch. In einem Stück hören wir einen 'Albertibass', damals beliebt in Musik im galanten Idiom. Auch verwendet Duphly die Form des Rondeaus, sehr beliebt in Frankreich in seiner Zeit. Es folgen dann einige Stücke von Claude-Bénigne Balbastre; er wird oft mit dem Verfall des Cembalospiels in Verbindung gebracht. Und eine gewisse Trivialisierung ist seinem Oeuvre nicht abzusprechen, hier zur Schau gestellt im Air gay. Dagegen ist Les Malesherbe ein schönes Stück, das schon nach Mozart riecht. Als letzter Vertreter der französischen Cembaloschule wird hier Armand Louis Couperin präsentiert. Auch in seinem Oeuvre ist Oberflächlichkeit festzustellen, aber das hier aufgeführte L'affligée ist ein bewegendes Stück, das eine heimgesuchte Person porträtiert.

Jos Van Immerseel kennen wir heute als Spieler historischer Klaviere und Dirigent des Orchesters Anima Eterna. Er hat aber als Cembalist angefangen, und es ist schön, dass er zu seiner alten Liebe zurückgekehrt ist. Mit Hilfe drei schöner historischer Instrumente präsentiert er eine fesselnde Übersicht der Entwicklung im Komponieren für das Cembalo in Frankreich sowie im Cembalobau. Insgesamt haben seine Interpretationen mir gut gefallen; allerdings fand ich ihn in Rameau etwas zu zurückhaltend. Schön sind die stilistisch überzeugenden Verzierungen: grosszügig, aber ohne Übertreibung. Die Anwendung der notes inégales ist subtil.

Auch wer die hier aufgenommenen Stücke schon in seiner CD-Sammlung hat, sollte sich diese Produktion überlegen, auch wegen der Instrumente, die man nicht alle Tage hört.

"Le clavecin à Paris au XVIIIe siècle"
Jos Van Immerseel, Cembalo
Channel Classica CSS45523 (© 2023) details

Freitag, 19. April 2024

Corrette & Dandrieu: Orgelmesse & Magnificat - David Ponsford

Der britische Organist David Ponsford ist ein Spezialist auf dem Gebiet der französischen Orgelmusik des Barock. Er hat ein Buch über die Orgelmusik, die unter dem Regime Ludwigs XIV. komponiert wurde, veröffentlicht, und seit einigen Jahren nimmt er für Nimbus eine Reihe CDs mit Musik einiger der grossen Vertreter ihres Fachs auf. Es liegt jetzt die Folge 8 vor, die der Orgelmesse von Gaspard Corrette (um 1671 bis vor 1733) gewidmet ist. Beim Namen Corrette denkt man an Michel, seinen Sohn, der einer der produktivsten Komponisten seiner Zeit war. Sein Vater hat nur wenig Musik hinterlassen: seine Orgelmesse ist das einzige Werk seiner Feder, das zu uns gekommen ist. Über sein Leben wissen wir wenig; nach einiger Zeit als Organist in Paris gewirkt zu haben, scheint er als Tanzmeister tätig gewesen zu sein.

Orgelmessen sind selbstverständlich für die Liturgie gemeint: die Orgelverse werden in Abwechslung mit einstimmigen Gesängen gespielt. Komponisten solcher Messen haben allerdings diese Gesänge nie in ihre Ausgaben aufgenommen, und die Wahl dieser Gesänge wird den Klöstern oder Kirchen überlassen. Diese Messe ist für den Gebrauch in einem Frauenkloster gemeint. Dort pflegte man ein Repertoire, das sich irgendwo zwischen dem traditionellen gregorianischen Gesang und den neukomponierten Gesängen der Zeit befindet. Wer die liturgischen Gesänge einbeziehen möchte, muss also eine Wahl treffen. David Ponsford hat darauf verzichtet, was völlig legitim ist. Auch ohne liturgische Einbettung verfehlt diese Musik ihre Auswirkung nicht.

Französische Orgelmusik des Barock lässt sich schwer auf andere Orgeln übertragen. Die Komponisten haben meistens die zu verwendenden Register genau angegeben, und diese sind auf andersartigen Instrumenten meistens nicht anzutreffen. Ponsford hat sich für ein Instrument entschieden, das 1709/10 von Andreas Silbermann in Marmoutier gebaut wurde; sein Sohn vollendete den Bau 1745. Nach Angaben von Ponsford ist es das nahezu ideale Instrument für diese Messe von Corrette; fast immer können die Register verwendet werden, die er vorgeschrieben hat.

Als eine Art von Zugabe hat Ponsford einige Werke von Jean-François Dandrieu hinzugefügt: ein Magnificat, zwei separate Stücke, ein Noël und Variationen über die Osterhymne O Filli et Filiae. Ich nehme an, dass Dandrieu später in diesem Projekt noch mal absonderlich zu Wort kommt. Die hier gespielten Stücke können als Einleitung dienen für jene, die dessen Musik nicht kennen.

Diese CD ist eine perfekte Kombination von Musik, Instrument und Interpret. Hier stimmt alles. Correttes Messe ist ein schönes Werk und die Orgel ein beeindruckendes Instrument. Ponsford erweist sich hier als der ideale Interpret, der alle Eigenschaften des Werkes voll zur Geltung bringt und die Farbenpracht der Orgel optimal ausnutzt. Kein Orgelfreund soll diese CD verpassen. Auch schon erschienene Folgen - alle aufgelistet im Textheft - gehören in jede Sammlung von Orgel-CDs.

G Corrette, Dandrieu: "Messe du 8e ton & Magnificat"
David Ponsford, Orgel
Nimbus NI6438 (© 2023) details

Freitag, 12. April 2024

The Queen's Masque - ensemble feuervogel



Im Jahre 1601 erschien in England eine Sammlung von 23 Madrigalen unter dem Titel The Triumphs of Oriana. Die Madrigale stammten von den angesehensten Komponisten der Zeit und waren der damaligen Königin Elisabeth I. gewidmet. Jedes Madrigal endet mit den gleichen Worten (allerdings mit einigen Varianten): "Da sangen die Hirten und die Nymphen der Diana, "Lang lebe die holde Oriana!"" 'Oriana' war die Heldin des Ritterromans Amadis de Gaul, mit der Elisabeth gleichgesetzt wurde. Und es war angemessen, dass die Nymphen und Hirten der Diana, der Göttin der Keuschheit, das Lob der unverheirateten Elisabeth, der 'jungfräulichen Königin', sangen. Drei dieser Madrigale sind zu hören im Programm, das das ensemble feuervogel (dessen Name auf Initiale verzichtet) aufgenommen hat. Es ist ganz der Königin gewidmet, aus der Überlegung heraus, dass es damals ziemlich ungewöhnlich war, dass eine Frau Staatsoberhaupt war. "Queen Elizabeth I. nahm die Kraft der Künste zu Hilfe, um sich selbst als weibliche Herrscherin zu inszenieren und zu legitimieren. Das Genre der englischen Masque, ein Spektakel der Künste und Herrscherlob zugleich, war dafür wie geschaffen. Ensemble feuervogel präsentiert die musikalischen Abdrücke dieser politischen und gesellschaftlichen Emanzipation und transformiert dabei die Form der Masque als Struktur dieser Einspielung in die Moderne", so ist im Textheft zu lesen.

Da gibt es zwei Probleme: ein selbstgemachtes und eines, das aus der Überlieferung hervorgeht. Das erste ist, dass nur einige Lieder sich direkt auf Elisabeth beziehen, wie die drei Madrigale aus der obengenannten Sammlung und, beispielsweise, das Lied Eliza is the fairest Queen von Edward Johnson. In anderen Fällen ist die Beziehung der Fantasie der Interpreten zuzuschreiben. Ob das überzeugt, soll der Hörer selbst entscheiden. Mich haben die Verbindungen nicht überzeugt.

Das zweite Problem liegt in der Natur der Masque. Diese Gattung vereinte Tanz, Musik, Szenerie und Schauspiel, und lässt sich kaum rekonstruieren. Welche Musik genau gespielt wurde, ist nicht bekannt, und es ist kaum Musik überliefert, die dabei gespielt wurde. Dann bleibt wohl wenig Anderes übrig, als sich anderen Gattungen von Instrumentalmusik zuzuwenden, und das Ensemble hat sich für die Consortmusik entschieden. In der Zeit der Elisabeth ist ein umfangreiches Repertoire an Consortmusik entstanden, das auf Gamben, Blockflöten oder in einer Mischung von Instrumenten verschiedener Familien gespielt werden konnte. Hier erklingen Blockflöten, verstärkt von einer Laute und Schlagzeug. Und dabei kommt dann ein Problem der Interpretation an die Oberfläche: in fast jedem Stück kommt Schlagzeug zum Einsatz. Es liegt auf der Hand, dass bei Masques Schlagzeug verwendet wurde, aber man sollte das nicht übertreiben. Eben das ist hier das Problem. In einigen Stücken ist es durchaus angebracht, Schlagzeug zu verwenden, in vielen anderen viel weniger oder gar nicht, wie im schon genannten Lied von Edward Johnson.

Die Lieder werden von der Sopranistin Carine Tinney gesungen, und das macht sie ziemlich gut; sie hat eine schöne Stimme, die zur Musik passt. Leider verwendet sie etwas zuviel Vibrato. Die Balance zwischen Stimme und Blockflöten ist wie sie sein sollte. Es ist schade, dass auf eine historische Aussprache verzichtet wurde. Das hat zur Folge, dass Reimworte nicht immer reimen.

Dem Spiel des Ensembles ist nichts auszusetzen, und ich hoffe es öfter zu hören. Leider hat das Programmkonzept mich nicht überzeugt und der aufdringliche Rolle des Schagzeugs hat mir den Spass an diese Produktion gehörig versaut.

"The Queen's Masque - A female representation of power in English 16th century consort music"
Carine Tinney, Sopran; ensemble feuervogel; Ziv Braha, Laute
Coviello Classics COV92309 (© 2023) details

Das Cembalo in Paris im 18. Jahrhundert

Im 17. Jahrhundert war die Laute das am meisten geschätzte Instrument in Frankreich. Das änderte sich gegen Ende des Jahrhunderts, als das...