Critica Musica
Johan van Veen
Donnerstag, 3. Juli 2025
A Due: Sonate à violino e violone - Rebecca Raimondi, Sylvia Demgenski
Das Barockzeitalter wird auch mal als Generalbasszeitalter bezeichnet. Das ist nicht von ungefähr, denn der Generalbass war einer der Merkmale des neuen Stils, der sich um 1600 in Italien manifestierte, und bis weit ins 18. Jahrhundert fortleben würde. Es hat sich im Verlaufe der Zeit eine Art Konvention entwickelt, wie der Generalbass zu besetzen sei. Anfänglich bestand eine Generalbassgruppe aus einem Streichbass - Violoncello, Viola da gamba - und einem Tasteninstrument. Später kamen dazu Zupfinstrumente: Laute, Theorbe und Gitarre. Und obwohl Aufführungen und Aufnahmen Variationen zeigen, ist diese Zusammensetzung die noch immer geläufigste. Es ist aber zweifelhaft, ob das der historischen Konvention entspricht. Es scheint eher unwahrscheinlich, beispielsweise, dass in Bachs Werken immer eine Laute mitspielte, die heute sogar in Kantaten oft dabei ist.
Die hier zu besprechende Aufnahme bringt eine neue Besetzung ins Spiel: ein einziger Streichbass. Zwar gibt es Aufnahmen, in denen Sonaten auf diese Weise aufgeführt werden, aber dann meistens in einigen Werken, zur Abwechslung. Ich habe im Verlaufe der Zeit kaum Aufnahmen gehört, in denen diese Besetzung die einzige ist.
Die Bedenken liegen auf der Hand. Sollte der Basso continuo nicht für die Harmonie sorgen? Und was wird daraus, wenn nur ein Violoncello den Bass spielt, wie hier? Es gibt zwei Gegenargumente. Die erste ist, wie Chiara Bertoglio in ihrer Programmerläuterung ausführt, dass der Hörer oft wahrnimmt, was es strikt genommen nicht gibt. "Man könnte annehmen, dass eine Solo-Basslinie ohne die dazugehörigen Akkordtöne nicht unbedingt Harmonie vermittelt; jedoch ist der menschliche Geist, sofern er mit den harmonischen Regeln europäischer tonaler Musik vertraut ist, in der Lage, die Lücken der Harmonie auszufüllen (...). Sobald Bass- und Oberstimme vorhanden sind, lässt sich die harmonische Mitte leicht ergänzen. In der Tat erfolgt dies sogar ganz unbewusst."
Als zweites Argument lässt sich darauf hinweisen, dass historische Untersuchungen ergeben haben, dass auch Cellisten in der Art unterwiesen wurden, eine Basslinie mit Verzierungen und Diminutionen auszufüllen. Damit schlossen sie, sozusagen, die Lücke zwischen Diskant und Bass.
Ein weiteres Argument ist, dass historisch belegt ist, dass einige Geigenvirtuosen, die wir heute noch als Komponisten kennen, wie Veracini und Tartini (beide auf dieser CD vertreten), oft mit einem Cellisten auftraten: der Erstgenannte mit Salvatore Lanzetti, Tartini mit Antonio Vandini. Der Titel der damals veröffentlichten Sonatensammlungen verweisen oft für den Basso continuo auf Violoncello oder Cembalo ("violoncello ò cimbalo"). Solche Titel sollte man nicht zu buchstäblich nehmen: wenn ein Cembalo erwähnt wird, bedeutet das nicht, dass nicht auch eine Orgel verwendet werden könnte. Es zeigt aber, dass ein einziges Violoncello durchaus eine legitime Option darstellt.
Es ist das Verdienst der beiden Künstlerinnen, diese Möglichkeit ausgeschöpft zu haben, und zwar auf eine höchst eindrucksvolle Weise. Sylvia Demgenski realisiert die oben erwähnten Möglichkeiten zur Darstellung des Generalbasses mit viel Kreativität und Engagement. Man vergisst, dass es kein Akkordinstrument gibt. Und Rebecca Raimondi spielt die ausgewählten Werke mit viel Stilgefühl: Phrasierung, dynamische Differenzierung, Tempowahl, Verzierungen - hier stimmt alles. Dazu kommt noch eine interessante Werkauswahl, in der sich mehr oder weniger bekannte Werke mit weniger geläufigen Stücken abwechseln. Das Duo gibt es seit 2020, und diese CD ist sein Debut. Ein besserer Start für eine hoffentlich erfolgreiche Karriere lässt sich schwer vorstellen.
"A Due - Sonate à violino e violone..."
Rebecca Raimondi, Violine; Sylvia Demgenski, Violoncello
Da Vinci Classics C01048 (© 2025) Details
Mittwoch, 25. Juni 2025
Wie der Hirsch schreiet - Dominik Wörner, Kirchheimer Dübenconsort
Es ist erstaunlich, wieviel Musik im Deutschland des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts komponiert wurde. Dabei soll bedacht werden, dass ein substantieller Teil verlorengegangen ist. Aber auch von dem, was erhalten geblieben ist, kennen wir nur die Spitze des Eisbergs. Es lässt sich aus der politischen Struktur Deutschlands, mit seinen vielen Höfen, sowie aus der wichtigen Rolle von Musik im alltäglichen Leben erklären. Es ist daher nicht schwer, eine Aufnahme auf den Markt zu bringen mit Stücken, die noch nie auf CD erschienen sind. Und genau das ist der Fall mit der Produktion, die es jetzt zu rezensieren gibt.
Diese CD des Kirchheimer Dübenconsorts dokumentiert die stilistischen Entwicklungen im Verlaufe des Jahrhunderts. Dazu gehört der wachsende Einfluss des italienischen Stils. Dieser wurde nicht von allen begrüsst. Der kursächsische Oberhofprediger Martin Geyer sprach klare Worte in der Leichenpredigt bei der Beerdigung von Heinrich Schütz: die neue Musik sei "ausschweiffig, gebrochen, täntzerlich, und gar im wenigsten andächtig; mehr reimt sie sich zum theatro und tantzplatz, als zur Kirche". Es ist sehr wahrscheinlich, dass er damit die Auffassung von Schütz selbst wiedergegeben hat. Es ist schon ironisch, dass es dessen Lieblingsschüler Christoph Bernhard war, der einen der Protagonisten dieses Stils, Marco Gioseppe Peranda, von seinem Studienverbleib in Rom nach Dresden mitnahm. Peranda selbst, der nach dem Tod von Schütz dessen Amt übernahm, ist im Programm nicht vertreten, dafür aber andere, die den neuen Stil pflegten.
Das Programm dokumentiert nicht nur den Einfluss des italienischen Stils, sondern auch die Merkmale der deutschen Tradition, die Komponisten mit dem neuen Stil zu vermischen suchten. Das trifft zum einen auf die Textbehandlung zu. Schütz war ein Meister der Textdeutung, und sein Einfluss auf Komponisten seiner sowie jüngerer Generationen war gross. Ein Beispiel ist Johann Rosenmüller, dessen frühe Werke den Stil des Dresdner Hofkapellmeisters widerspiegeln. Eine Motette von Bonifazio Graziani ist ein Beispiel des modernen Stils; dieses Werk könnte Bernhard im Gepäck gehabt haben, als er nach Dresden zurückkehrte.
Diejenigen, die sich in der deutschen Musik des 17. Jahrhunderts auskennen, werden die meisten Komponisten von Namen her kennen, aber Musik von solchen wie Wolfgang Carl Briegel, Julius Johann Weiland oder Caro Bütner hört man nicht alle Tage. Und auch sie mögen die Namen von Johann Caspar Horn, Christian Andreas Schulze und Moritz Edelmann noch nie gehört haben. Dass Unbekanntheit nichts mit der Qualität der Musik zu tun hat, zeigt diese CD eindrucksvoll. Es sind alles sehr gut komponierte Werke, und jedes Stück hat etwas Besonderes und Eigenartiges zu bieten. Ein Beispiel ist Heut triumphieret Gottes Sohn von Caro Bütner: ein Stück für Ostern, in dem er zwar den Text des Kirchenliedes verwendet, aber ihn als Ganzes behandelt und die bekannte Melodie ignoriert.
Anderes Beispiel: Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser von Christian Andreas Schulze, der genau das Umgekehrte macht. Er teilt den Psalmtext auf in Abschnitte wie Strophen; dazwischen spielen die Instrumente Ritornelli und stimmt die erste Geige das Lied Wo soll ich fliehen hin an. Dieses Stück ist eines von drei über Verse aus dem 42. Psalm, der dieser CD ihren Titel verleiht. Das Programm fängt mit einer Vertonung des lateinischen Textes aus der Feder des Thomaskantors Sebastian Knüpfer an.
Ein anderes Merkmal der deutschen Tradition, die Komponisten beibehielten, ist der Kontrapunkt. Sie bevorzugten eine polyphone Streicherbegleitung, mit zwei Violinen, zwei oder mehr Bratschen oder - wie in dieser Einspielung - Gamben und Basso continuo, dann und wann erweitert von einer Violone oder einem Fagott. Diese Besetzungen trifft man auch in den Instrumentalwerken an, neben der in Deutschland ebenfalls beliebte Kombination von Violine und Viola da gamba.
Dieses hochinteressante und musikalisch fesselnde Programm wird vom Kirchheimer Dübenconsort und dem Bass Dominik Wörner auf ideale Weise dargestellt. Wörners Vortrag besticht, wie immer, durch eine ganz präzise Artikulation und makellose Diktion, die dafür sorgt, dass der Text - in diesem Repertoire immer der Kern - optimal verständlich ist. Dabei verfügt er über die dynamischen Möglichkeiten, um klare Akzente zu setzen. Das Ensemble bewegt sich auf gleicher Höhe, und auch im Spiel steht der Text im Mittelpunkt. Das Zusammenspiel ist perfekt, wie auch die Balance zwischen Stimme und Instrumenten.
Kurzum, mit dieser Produktion werden neue Masstäbe gesetzt.
"Wie der Hirsch schreiet - Sacred concerti of the 17th century"
Dominik Wörner, Bass; Kirchheimer Dübenconsort/Jörg-Andreas Bötticher
Passacaille PAS 1160 (© 2025) Details
Mittwoch, 18. Juni 2025
Zieleński: Offertoria et Communiones totius anni (II) - Andrzej Kosendiak
Mikołaj Zieleński gilt als der wichtigste Komponist Polens an der Schwelle von Renaissance und Barock. Über ihn ist nicht viel bekannt, nicht einmal wann und wo er geboren wurde, und wann er gestorben ist. Sein ganzes Oeuvre befindet sich in zwei Bänden mit Offertorien und Kommunionsgesängen, die zusammen 1611 in Venedig erschienen. Das hat zur Vermutung Anlass gegeben, er habe einige Zeit in Venedig verbracht, aber dafür gibt es keine handfesten Beweise. Klar ist aber, dass sie im italienischen Stil komponiert worden sind.
Die Offertorien stehen im stile antico, und darin verwendet Zieleński die Technik der cori spezzati. Fast immer sind die Chöre unterschiedlich besetzt: ein Chor der höheren Stimmen steht einem Chor tieferer Stimmen gegenüber. In den Kommunionsgesängen kündigt sich aber schon die neue Zeit an: die Besetzung ist für Solostimmen und diese Stücke sind in einem mehr deklamatorischen Stil verfasst. Allerdings kann von der modernen Monodie keine Rede sein: der Kontrapunkt ist noch immer entscheidend.
Die Titel der beiden Sammlungen - Offertoria totius anni bzw. Communiones totius anni - weisen darauf hin, dass diese Gesänge für die verschiedenen Feste des Kirchenjahres bestimmt sind. Die hier rezensierte zweite Folge beschränkt sich auf jene Stücke, die für Feste von in Polen verehrten Heiligen komponiert worden sind. Dazu zählen Johannes der Täufer, Johannes der Apostel, Sankt Stanislaus und Sankt Adalbert. Das letzte Stück ist passenderweise für Allerheiligen gemeint.
Das gesamte Oeuvre von Zieleński wurde schon mal aufgenommen, unter der Leitung von Stanislaw Galonski (Dux, 2009-2011). Diese Aufnahme bot zwar einen guten Einblick in die Qualität des Oeuvres von Zieleński, konnte in der Interpretation aber nicht wirklich überzeugen. Daher ist eine Neuaufnahme sehr willkommen. Der Unterschied manifestiert sich vor allem in den kleiner besetzten Kommunionsgesängen, wo die Sänger des Wrocław Baroque Ensemble ihren Kollegen überlegen sind. In den Offertorien gibt es einen wesentlichen Unterschied: Galonski setzte einen Chor ein, während hier die doppelchörigen Werken solistisch besetzt sind. Welche der zwei den historischen Umständen entspricht, kann ich nicht beurteilen. Es wird im Textheft nicht diskutiert.
Richtig scheint mir, dass hier Instrumente eingesetzt werden, entweder Streicher oder Bläser (Zink, Posaunen, Dulzian). Die Instrumente sind auch separat zu hören, in drei Fantasien die unvollständig überliefert worden sind. Für diese Aufnahme wurden die fehlenden Oberstimmen rekonstruiert.
Mit 41 Minuten ist die Spielzeit doch sehr knapp ausgefallen. Das mag die Folge der Entscheidung sein, sich ganz auf jene Stücke zu konzentrieren, die Heiligen gewidmet sind. Es sollte kein Anlass sein, diese Produktion zu ignorieren. Die Musik ist erstklassig, und die Interpretationen sind hervorragend. Ich hoffe, dass in den nächsten Jahren weitere Aufnahmen der Werke von Zieleński mit diesem Ensemble erscheinen werden.
Mikołaj Zieleński: Offertoria et Communiones totius anni - II
Wrocław Baroque Ensemble/Andrzej Kosendiak
CD Accord ACD348 (© 2025) Details
Donnerstag, 5. Juni 2025
Au douz tens nouvel: Lieder der Trouvères - Ensemble Céladon
Das Ensemble Céladon beschäftigt sich seit Jahren mit der Musik, die die Welt der höfischen Liebe im Mittelalter widerspiegelt. Im Jahre 2014 erschien eine CD, die den Liedern der Troubadours gewidmet war, die zweite Folge beschäftigte sich mit den deutschen Minnesängern, und die vor kurzem erschienene dritte Folge enthält Lieder der Trouvères. Sie können als die Nachfolger der Troubadours betrachtet werden, und übernahmen das Konzept der fin d'amor, in dem der Dichter sich in den Dienst einer Dame stellt, die grundsätzlich unerreichbar ist.
Offensichtlich spiegeln diese Chansons „ein gebildetes und wohlhabendes Milieu wider, das die Mittel hatte, sie für die Nachwelt festzuhalten. Diese mittelalterliche Aristokratie drückte sich in poetischen Begriffen aus, nicht nur, weil es ihrem Geschmack entsprach, sondern auch, weil dies denjenigen, die sie verwendeten, allmählich den Ruf eines schönen Esprits einbrachte“, wie Anne Delafosse es in ihrer Programmerläuterung formuliert.
Die Chansons lassen sich in verschiedene Gattungen einteilen. In der chanson de l'amour beschreibt der Liebhaber die Qualitäten einer Dame oder beklagt sein Leid. Das heiterere Gegenstück ist die pastourelle, die uns in die Welt der Ritter und Schäferinnen versetzt. Dann gibt es noch die chanson de l'encontre, in der sich ein Mann und eine Frau begegnen.
Die chanson pieuse zeigt, dass es damals keine strikte Spaltung zwischen der geistlichen und der weltlichen Musik gab. Ein Beispie ist Hui matin a l'ajournee von Gautier de Coincy, einem Mönch. „Ein Ritter – der Erzähler – findet am Morgen die schönste aller Blumen, die ihn dazu inspiriert, die „Blume des Paradieses“ selbst zu preisen: die Jungfrau Maria.“ Diese Chanson, die in der Sammlung Les Miracles de Nostre Dame (zusammengestellt zwischen 1218 und 1233) enthalten ist, gehört auch zur Gattung der reverdie, die den Frühlingsanfang feiert.
In mittelalterlicher Musik ist Rekonstruktion fast unvermeidlich, da viele Werke unvollständig oder sogar ohne Musik überliefert sind. Die Frage ist immer, wie weit man dabei gehen sollte und wie man in einzelnen Fällen vorgehen sollte. Darüber lässt sich streiten. Auch hier gibt es fragwürdige Rekonstruktionen. Problematischer ist allerdings die Interpretation, vor allem im Bereich der Verwendung von Instrumenten. Hier werden mehrere Instrumente eingesetzt, als Begleitung oder in Vor- und Zwischenspielen. Soviel ich weiss traten die Trouvères solistisch auf, sich selbst begleitend auf einem Instrument, wie Laute, Harfe oder einem Streichinstrument. Die akustischen Effekte, die das erste Stück der CD einleiten und abschliessen, wirken befremdend.
Das soll aber keinen davon abhalten, sich diese CD zu ergattern, zumal da hier exzellent gesungen und gespielt wird und diese Lieder sehr schön sind. Vor allem die anonym überlieferten Lieder mögen weitgehend unbekannt sein. Es ist schade, dass das Textheft die Texte nur im Original abdruckt, ohne jegliche Übersetzung. Das hilft nicht, sie dem Hörer näher zu bringen. Übrigens gibt es informative Programmerläuterungen, aber nicht auf deutsch.
"Au douz tens nouvel - Chansons de trouvères"
Ensemble Céladon/Paulin Bündgen
Ricercar RIC 465 (© 2024) Details
Donnerstag, 29. Mai 2025
Boismortier: Sonaten für zwei Pardessus de viole - Dialogue Viols
Im 18. Jahrhundert waren Duette für zwei gleiche Instrumente sehr beliebt. Solche Stücke konnten im intimen Kreis von Laien gespielt werden, konnten aber auch für pädagogische Zwecke benutzt werden: der Lehrer spielt die eine Stimme, der Schüler die andere. Auch der französische Komponist Joseph Bodin de Boismortier hat mehrere Sammlungen solcher Werke veröffentlicht. Das wundert nicht, denn sein Ziel war es, Laien mit guter Musik zu versorgen, die technisch einige Herausforderungen stellte, aber nicht zu schwer war. Damit ist er durchaus mit Telemann zu vergleichen.
Etwas mehr als 100 Sammlungen mit einer Opusnummer hat er veröffentlicht. Etwa ein Viertel davon ist verlorengegangen. Dazu zählte bis vor kurzem auch das Opus 63, das bemerkenswert ist wegen der Besetzung. Es handelt sich um sechs Duette, die nicht für die heute noch bekannte Instrumente wie Violine, Traversflöte oder Viola da gamba bestimmt sind, sondern für zwei Pardessus de viole. Solche Instrumente waren um die Mitte des 18. Jahrhunderts sehr beliebt. Die Pardessus de viole sollte nicht mit der Diskantgambe verwechselt werden. Sie war eine Quarte höher gestimmt und hatte einen mit der Geige vergleichbaren Umfang. Das Instrument wurde vor allem Damen empfohlen, als Ersatz für die Geige, die als nicht passend für sie betrachtet wurde. Das soll aber nicht heissen, dass nur sie dieses Instrument spielten. Marin Marais und sein Sohn Roland spielten beide die Pardessus de viole, und ein anderer Gambenvirtuose, Charles Dollé, unterrichtete das Spiel auf dem Instrument.
Ursprünglich hatte die Pardessus de viole sechs Saiten, später wurde es mit fünf Saiten versehen; es war bekannt als quinton, aber die offizielle Bezeichnung ist Pardessus à cinq cordes. Die Popularität der Pardessus de viole kommt in der grossen Menge an Werken zum Ausdruck, die das Instrument als eine der Besetzungsmöglichkeiten erwähnen. Trotzdem, ganz wenige Stücke sind speziell für dieses Instrument bestimmt. Da bilden die Duette von Boismortier eine Ausnahme. Das macht es umso wichtiger, dass sie vor kurzem wiederentdeckt wurden.
Für lange Zeit war Boismortier unter Profis nicht sonderlich beliebt, denn es galt als unmöglich, dass jemand soviel Musik komponieren konnte, ohne oberflächlich zu sein. Ausserdem sind seine Werke Produkte des galanten Stils, der oft als einfach und wenig interessant betrachtet wurde. In letzter Zeit scheint sich das Blatt gewendet zu haben, aufgrund der Zahl der Aufnahmen. Und das ist erfreulich: ich habe viele dieser Einspielungen gehört, und dabei festgestellt, dass es sich um ganz gute Musik handelt. Es gibt durchaus Momente von starkem Ausdruck, und eindrucksvoll ist vor allem, wie der Komponist es immer schafft, die Eigenartigkeiten jedes Instruments zum Tragen kommen zu lassen.
Das gilt mit Sicherheit auch für diese Duette. Sie haben dieses Instrument vielleicht noch nie gehört. Diese Aufnahme des Duos Dialogue Viols, das aus Peter Wendland und Jacqui Robertson-Wade besteht, ist die perfekte Gelegenheit, es kennenzulernen, zumal die beiden Artisten diese Duette hervorragend interpretieren, mit viel Schwung und Fantasie, in perfektem Zusammenspiel. Lassen Sie sich überraschen! Gute Chance, dass Sie sich in die Pardessus de viole verlieben werden.
Joseph Bodin de Boismortier: "6 Sonatas for 2 Pardessus de viole, Op. 63"
Dialogue Viols
First Hand Records FHR159 (© 2025) Details
Donnerstag, 22. Mai 2025
Händel & Colonna - Leonardo García Alarcón
Giovanni Paolo Colonna (1637-1695) und Georg Friedrich Händel (1685-1759) auf eine CD zusammenzubringen bittet um eine Erklärung. Colonna verstarb, als Händel erst zehn Jahre alt war. Was haben sie gemeinsam? Leonardo García Alarcón rechtfertigt seine Entscheidung unter anderem mit einer Äusserung des englischen Komponisten William Boyce, der bemerkte, dass Händel ein direkter Erbe Colonnas in der Komposition geistlicher Musik war. Er fügt hinzu, dass Colonna ein wichtiger Komponist geistlicher Musik war. "An seiner Musik wurde Händels Dixit Dominus gemessen, das auch eine Hommage an Colonnas Musik". In der Besetzung lässt sich auch eine auffällige Gemeinsamkeit feststellen. Sowohl Colonnas Messa a 5 concertata als Händels Dixit Dominus sind gesetzt für fünf Stimmen (Soli und Tutti) und ein fünfstimmiges Instrumentalensemble, mit zwei Bratschenstimmen - eine übliche Praxis im 17. Jahrhundert, und deswegen nicht überraschend in Colonna, im Gegensatz zu Händels Werk.
Colonnas Messe besteht aus zwei Teilen: Kyrie (aufgeteilt in drei Abschnitte) und Gloria (bestehend aus 11 Abschnitten). Strikt solistische Sätze gibt es nicht: in den meisten Abschnitten mischen sich Soli und Tutti, und die Solisten treten zu dritt oder zu viert auf. im Oeuvre Colonnas gibt es Musik im stile antico, aber die Handschriften legen nahe, dass bei solchen Werken Instrumente (Streicher, Zinken und Posaunen) zum Einsatz kamen, die colla voce spielten. In dieser Messe sind die Streicherpartien ausgeschrieben, aber trotzdem glaubt García Alarcón, dass auch dann Bläser mitgespielt haben können. Und so klingen hier Zinken und Posaunen, und dann und wann auch zwei Blockflöten, in mehreren Tuttiabschnitten. Mir scheint diese Praxis reichlich spekulativ; hoffentlich bringen Untersuchungen mehr Klarheit in dieser Angelegenheit.
Händels Dixit Dominus gehört zu seinen beliebtesten Werken. Es ist ein stark theatrales Stück, und das kommt in der Interpretation gut zum Tragen. García Alarcón setzt noch einiges drauf. 'Conquassabit capita' ("Zerschmettern wird er die Häupter im Land vieler [Völker]") wird forte und staccato dargestellt; der anschliessende Vers, 'De torrente in via bibet' ("Aus dem Bach am Weg wird er trinken") wird langsam gesungen und gespielt und fängt pianissimo an. In der Partitur findet man keine Hinweise auf eine solche Praxis; es sind Entscheidungen des Dirigenten, die aber meiner Meinung nach zum Charakter des Werkes passen.
Colonnas Messe wird hier zum ersten Mal auf CD vorgestellt, und das ist schon Grund genug, sich diese CD zu ergattern. Es ist ein schönes Werk, und macht neugierig nach weiteren Werken dieses Meisters. Händels Dixit Dominus liegt in vielen Aufnahmen vor, darunter mehreren sehr guten. Diese Neuaufnahme kann zu den besten gerechnet werden. Das ist zum Teil dem Choeur de Chambre de Namur zu verdanken, der die Hauptrolle spielt. Mit den Solisten hat García Alarcón Glück gehabt. Ihre Stimmen mischen sich sehr gut, und sie fügen sich mühelos in den Chor ein, wo sie sich abwechseln. Kurzum, trotz der Bekanntheit von Händels Dixit Dominus soll die Bedeutung dieser Produktion hoch eingestuft werden.
Giovanni Paolo Colonna: "Missa Concertata" - Georg Friedrich Händel: Dixit Dominus
Elizaveta Sveshnikova, Mariana Flores, Sopran; Paul-Antoine Bénos-Djian, Altus; Valerio Contaldo, Tenor; André Morsch, Bass; Choeur de Chambre de Namur; Cappella Mediterranea/Leonardo García Alarcón
Ricercar RIC 470 (© 2025) Details
Mittwoch, 14. Mai 2025
A Trè: Violoncellotrios des 18. Jahrhunderts - Tiefsaits
Von der Mitte des 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts war die Triosonate die beliebteste Form von Kammermusik. Triosonaten waren meistens für musikalische Laien gedacht: sie verlangten einiges technisches Können, waren aber nicht zu anspruchsvoll. Sie wurden meistens unter dem Titel Sonate à tre veröffentlicht, und daraus erklärt sich der Titel der hier zu rezensierenden CD.
Triosonaten waren meistens für zwei Violinen und Basso continuo bestimmt; im Verlaufe des 18. Jahrhunderts kamen andere Instrumente dazu, wie Traversflöten und Oboen. Trios für drei Violoncellos waren aber rar, und es war erst in der Zeit der Klassik, dass solche Werke komponiert wurden, und dann vielleicht noch nicht in grossen Mengen. Das deutsche Ensemble Tiefsaits hat einige solcher Trios eingespielt, aber einige Werke des Barock sind in Wirklichkeit Triosonaten, in denen das dritte Violoncello den Basso continuo spielt. Das war eine damals durchaus gängige Praxis, die heute selten zu hören ist.
Hauptperson im Programm ist Giuseppe Clemente (ursprünglich: Joseph Marie Clément Ferdinand) dall'Abaco (1710-1805), Sohn des bekannteren Evaristo Felice, der aus Italien stammte, und in Brüssel wirkte, als sein Sohn geboren wurde. Letzterer wurde als Cellist ausgebildet, unter anderem in Italien, und war einige Zeit in der kurfürstlichen Kapelle zu Bonn tätig. Ihm wurde es erlaubt, als Cellovirtuose durch Europa zu reisen; 1753 liess er sich in Verona nieder.
Von ihm erklingen zwei Trios, in denen die Instrumente unterschiedlich behandelt werden. Dazu kommen noch drei der insgesamt elf Caprices für Violoncello solo. Während die Trios für technisch versierte Laien oder andere professionelle Spieler bestimmt waren, hat Dall'Abaco die Caprices wohl für den eigenen Gebrauch konzipiert. Sie werden oft mit den Suiten für Violoncello solo von Bach verglichen, und da ist was dran. Insbesondere die hier eingespielte Caprice Nr. 4 könnte man sich durchaus als prélude einer seiner Suiten vorstellen.
Wie Dall'Abaco war auch Jean Barrière ein professioneller Cellist. Er hat vier Bücher mit Cellosonaten veröffentlicht, und im dritten Buch gibt es eine für zwei Violoncellos und Bass. Wegen der Notation der Oberstimme wird hier ein französisches Instrument mit fünf Saiten verwendet.
Schliesslich erklingt noch eine Sonate von Benedetto Marcello, der einzige im Bunde, der selber nicht Cello spielte. Es ist wohl der wachsenden Beliebtheit des Instruments zu verdanken, dass er zwei Sammlungen von Sonaten für ein bzw. zwei Violoncellos und Basso continuo veröffentlichte. Interessanterweise erwähnt er die Viola da gamba als Alternative. Bemerkenswert ist der Schlussatz der hier eingespielten Sonate: es gibt nur eine Melodielinie, die das zweite Cello fragmentarisch imitieren soll in Form eines Kanons; der Generalbass fehlt.
Diese Einspeilung ist das Debut des Ensembles, das besteht aus Anna Reisener, Alma Stolte and Mirjam-Luise Münzel. Eine bessere Weise, sich dem Publikum vorzustellen, lässt sich kaum denken. Das Programm ist originell und interessant, und die Musik wird technisch einwandfrei und mit viel stilistischer Einsicht und Engagement vorgetragen. Ich möchte diese Aufnahme nachdrücklich empfehlen, nicht nur Liebhabern des Violoncellos. Und ich hoffe und erwarte, dass diese Damen einer erfolgreichen Karriere entgegensehen dürfen.
"À Tre - 18th Century Cello Trios"
Tiefsaits
Da Vinci Classics C00943 (© 2024) Details
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