Freitag, 20. Dezember 2024

Zelenka: Missa Gratias agimus tibi - Frieder Bernius


Der Dirigent Frieder Bernius hat im Verlauf seiner Karriere, mit Hilfe seines Kammerchors Stuttgart, sich für die Musik von Jan Dismas Zelenka eingesetzt. Die späten Messen haben sich insbesondere seiner Aufmerksamkeit erfreut, und in seiner letzten Produktion hat er sich erneut einer Messe zugewandt, aber dann einer viel früher entstandenen. Dazu kommen noch einige Werke aus den Zyklen mit Vespermusik, die Zelenka zwischen 1725 und 1727 zusammengestellt hat.

Die Vokalbesetzung in den Vesperpsalmen und den Magnificatvertonungen ist unterschiedlich. Einige dieser Werke scheinen für Aufführung durch die Kapellknaben der katholischen Kapelle am Dresdner Hof bestimmt gewesen zu sein. Ein Beispiel auf dieser CD ist Laudate pueri Dominum, in dem der Psalmtext von Sopran und Alt gesungen werden, während der Bass die Anfangsworte singt und bis zum Ende wiederholt. Darüber hinaus gab es die Hofkapelle, zu der einige Kastraten gehörten, die in erster Linie für Opernaufführungen angestellt waren, aber deren Qualitäten Zelenka für anspruchsvolle Soli in seiner Vespermusik des ersten Zyklus ausgeschöpft haben mag.

Beatus vir ist in drei Abschnitte aufgeteilt. Der erste umfasst den grössten Teil des Textes und ist für Chor gesetzt, enthält aber auch eine Episode für Tenor und Bass. Die Doxologie eröffnet mit einem Arioso für Sopran, und schliesst mit einer Fuge auf dem Amen. Dieses Werk ist dem zweiten Zyklus entnommen, während das Magnificat in D-Dur zum ersten Zyklus gehört. Später hat Zelenka Partien für Trompeten und Pauken hinzugefügt, damit es für besondere Anlässe geeignet war. Es enthält eine Episode für Sopran und Violine; die Sopranpartie wird zweifellos von einem der Kastraten gesungen worden sein, während die Geige möglicherweise von Johann Georg Pisendel gespielt wurde. Nicht überraschend wird 'Fecit potentiam' vom ganzen Ensemble dargestellt. Das Amen ist eine Doppelfuge. Nicht umsonst wird Zelenka manchmal als der 'katholische Bach' bezeichnet: Kontrapunkt spielt in seinem Oeuvre eine Hauptrolle. Das ist auch in der Messe der Fall.

Die Missa Gratias agimus tibi ist auf den 5. Oktober 1730 datiert. Im April 1730 traf eine Gruppe junger Sänger in Dresden ein. Die männlichen Sänger dieser Gruppe waren die Sopranisten Ventura Rochetti und Giovanni Bindi sowie die Altisten Domenico Annibali und Casimiro Pignotti. Einer ihrer Lehrer, der Altist Antonio Campioli, kam ebenfalls mit. Es besteht kein Zweifel, dass Zelenka sich bei der Komposition dieser Messe von diesen Sängern hat inspirieren lassen, da sie mehrere längere Soloepisoden enthält. Im Gloria, beispielsweise, gibt es eine Folge von Soloepisoden für Alt, Sopran bzw. Tenor/Bass. Wie üblich sind im Credo die Worte über die Fleischwerdung intim gehalten; Zelenka erreicht das durch die Reduktion der Besetzung zu drei Solostimmen: Sopran, Alt und Tenor. Das 'Crucifixus' ist ein Solo für Alt. Selbstverständlich wird die Auferstehung vom ganzen Ensemble dargestellt. Sowohl Sanctus-Benedictus und Agnus Dei sind in drei Abschnitte aufgeteilt: die ersten und letzten sind für Chor und Orchester gesetzt, und dazwischen gibt es Soloabschnitte: der Tenor singt das Benedictus, und das zweite Agnus Dei ist für ein Soloquartett (SSAA) gesetzt.

Diese Produktion stellt einmal mehr die Brillianz und die Eigenartigkeit von Zelenka unter Beweis. Seine Kreativität, nicht nur generell in seiner Komposition für Singstimmen und Instrumente, aber auch in der musikalischen Ausmalung des Textes, ist eindrucksvoll. Die Interpreation ist nahezu ideal. Die Solist(inn)en sind exzellent, und Chor und Orchester bringen ebenfalls ausgezeichnete Leistungen. Es gibt viele Liebhaber der Musik Zelenkas, und das lässt sich gut verstehen. Sie werden sich über diese Produktion freuen.

Jan Dismas Zelenka: Missa Gratias agimus tibi
Hannah Morrison, Franziska Bobe, Sopran; David Allsopp, Philipp Cieslewicz, Altus; Thomas Hobbs, Tenor; Jonathan Sells, Bass; Kammerchor Stuttgart; Barockorchester Stuttgart/Frieder Bernius
Carus 83.515 (© 2024) details

Freitag, 13. Dezember 2024

JS Bach: Jauchzet & lobet - BachWerkVokal


Wie der Name des Ensembles BachWerkVokal zu erkennen gibt, steht Bach im Mittelpunkt seines Wirkens. Die bis dato erschienenen CDs enthalten immer jedenfalls ein Werk des Leipziger Thomaskantors. Die neueste Aufnahme ist ganz seinem Schaffen gewidmet. Der Titel dieser Produktion weist auf einen starken Zusammenhang zwischen den eingespielten Werken hin. Die Kantaten BWV 69a und 137 sind beide für den 12. Sonntag nach Trinitatis bestimmt, und wurden im August 1723 bzw. 1725 zum ersten Mal aufgeführt. In der ersten Kantate, Lobe den Herrn, meine Seele, spielen Blockflöte und Oboe d'amore bzw. Oboe da caccia eine ausgeprägte Rolle mit Obligatstimmen in den beiden Arien, für Tenor bzw. Bass. Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren (BWV 137) ist eine Choralkantate, weicht in der Struktur aber grundsätzlich von den Kantaten im Choralkantatenjahrgang 1724/25 ab. Denn wo in jenen Kantaten nur die erste und die letzte Strophe wörtlich einbezogen werden und die übrigen Strophen zu Rezitativen und Arien umgewandelt werden, werden in dieser Kantate alle Strophen unverändert dargestellt. Es ist eine Kantate per omnes versus; das bekannteste Werk dieser Art ist Christ lag in Todesbanden (BWV 4). Die zweite Strophe ist eine Arie mit Obligatvioline; später hat Bach diese zu einer Choralbearbeitung arrangiert und in seine Schübler-Choräle aufgenommen (als Kommst du nun, Jesu, vom Himmel herunter).

Eine der bekanntesten Kantaten ist Jauchzet Gott in allen Landen. Sie ist ausgesprochen virtuos, sowohl in der Solopartie für Sopran wie in der Obligatstimme für Trompete. Es wird allgemein angenommen, dass der virtuose Trompeter Gottfried Reiche, für den Bach mehrmals anspruchsvolle Partien komponierte, den Trompetenpart gespielt hat. Wer aber die Sopranpartie gesungen hat, ist unbekannt. War es ein besonders brillanter Knabensopran, oder vielleicht ein erwachsener Diskantist, der mit seiner natürlichen Stimme diese Partie bewältigen konnte? Es ist nicht auszuschliessen, dass diese Kantate ausserhalb der Liturgie zur Aufführung gekommen ist, und dann käme durchaus eine Sängerin in Frage. Vielleicht Anna Magdalena? Wir wissen es nicht. Es muss auf jeden Fall eine(n) äusserst begabte(n) Sänger(in) gewesen sein.

Das Lob Gottes ist auch das Thema der Motette Lobet den Herrn, alle Heiden. Es gibt Musikwissenschaftler, die die Authentizität dieses Werkes in Frage stellen. Einige Dirigenten haben deswegen in ihrer Gesamtaufnahme der Motetten dieses Werk ausgelassen. Im Textheft der hier besprochenen CD wird dieses Thema gar nicht diskutiert.

Das letzte Werk dieser Produktion ist ein Pasticcio. Jauchzet dem Herrn, alle Welt (BWV Anh 160) besteht aus Stücken von Telemann und Bach. Der Eröffnungschor soll von Telemann stammen, aber das Original ist unauffindbar. Das ist anders beim abschliessenden dritten Teil, der von Bachs Nachfolger im Amt des Thomaskantors, Johann Gottlieb Harrer, aus einer Kantate von Telemann übernommen wurde. Nur der Mittelteil ist ein authentisches Werk von Bach: 'Sei Lob und Preis mit Ehren' ist eine Bearbeitung des Chorals 'Nun lob mein Seel den Herren' aus der Kantate BWV 28.

Nicht nur das Programm zeigt ein hohes Mass an Konsistenz, das gilt auch für die Interpretation. Es hilft, dass die Solopartien von Mitgliedern des Ensembles gesungen werden. Diese Interpretationen sind eine kollektive Leistung, zu der alle Sänger und Instrumentalisten beitragen. Die Tutti sind makellos und die Solopartien werden hervorragend dargestellt. Die Solistin in Jauchzet Gott in allen Landen muss selbstverständlich genannt werden: Electra Lochhead ist höchst eindrucksvoll in der Art und Weise, wie sie die oft buchstäblich atemberaubende Solopartie darstellt. Schön ist die Differenzierung zwischen 'guten' und 'schlechten' Noten, sogar in den in einem hohen Tempo gesungenen Abschnitten.

Diese CD ist zweifellos eine der besten Bach-Aufnahmen, die ich in den letzten Jahren gehört habe.

Johann Sebastian Bach: "Jauchzet & lobet"
Ensemble BachWerkVokal Salzburg/Gordon Safari
MDG 923 2315-6 (© 2024) details

Donnerstag, 5. Dezember 2024

Kuhnau: Uns ist ein Kind geboren - Peter Gortner


Die geistliche Musik im Deutschland des späten 17. und des frühen 18. Jahrhunderts - grob gesagt: zwischen Schütz und Bach - hat lange Zeit ein Schattendasein geführt. Erst das letzte Buxtehude-Jahr (2007) hat dazu geführt, dass sein ganzes Schaffen in diesem Bereich auf CD festgelegt wurde. Und vor einigen Jahren komplettierte Gregor Meyer die Gesamtaufnahme des Vokalwerks von Johann Kuhnau für CPO. Beide Projekte haben einen positiven Auswirkung gehabt, denn die Kantaten von Buxtehude werden heute regelmässig aufgeführt, und die hier besprochene CD zeugt von einem gewachsenen Interesse am Oeuvre von Kuhnau.

Zwei Kantaten von Kuhnau sind die Hauptwerke dieser Weihnachts-Produktion. Frohlocket, ihr Völker, und jauchzet, ihr Heiden ist wahrscheinlich ein Spätwerk. Die Besetzung ist für vier Singstimmen, vierstimmige Streicher, drei Trompeten und Pauken. Es wird oft behaupet, Kuhnau sei konservativ gewesen und hätte sich negativ über die neueste Mode, Kantaten nach der italienischen Oper zu modellieren, geäussert. Diese Kantate beweist das Gegenteil. Das Werk eröffnet und schliesst mit Chorsätzen; dazwischen stehen zwei Paare Rezitativ und Arie - ganz modern. Der Eröffnungschor hat ein Dacapo und zeigt eine grosse Ähnlichkeit mit den Chorsätzen, die später Bachs Kantaten eröffnen werden. In diesem Sinne gibt es ein Kontinuum zwischen Bach und Kuhnau. Die zweite Arie basiert auf einen Basso ostinato, und trägt die Bezeichnung aria di ciaconna. Sie hat den Charakter eines Schlafliedes.

Uns ist ein Kind geboren ist der Titel der zweiten Kantate, aber in diesem Falle ist die Autorschaft von Kuhnau nicht sicher. Er hat zwar eine Kantate zu diesem Text komponiert, aber der Text dieses Werkes, dessen Musik verlorengegangen ist, weicht teilweise vom Text der hier aufgenommenen Kantate ab. Der Autor dieses Textes ist Erdmann Neumeister, dessen Texte auch Bach benutzen würde. Auch in der Verwendung seiner Texte kommt zum Ausdruck, dass Kuhnau durchaus offenstand für neue Entwicklungen. Diese Kantate wurde mal in den Schmieder-Katalog aufgenommen (als BWV 142), später dann in den Anhang verschoben. Die Besetzung ist für vier Singstimmen, zwei Blockflöten, zwei Oboen, Streicher und Basso continuo. Es gibt drei Arien, eine ohne und zwei mit Dacapo.

Das Programm wird erweitert mit kurzen Stücken aus früherer Zeit, von Michael Praetorius und Johannes Eccard. Darunter sind zwei 'Schlager': Praetorius' Vertonung von Es ist ein Ros entsprungen ist fast so bekannt wie Stille Nacht; leider hat man sich dafür entschlossen, auch eine Strophe zu singen, die erst 1844 von Friedrich Layriz verfasst wurde. In Deutschland ist auch Eccards Lied Übers Gebirg Maria geht ein fester Bestandteil des Weihnachtsrepertoires.

Die Interpretationen sind generell sehr gut gelungen. Die Solisten verdienen Lob, insbesondere Franz Vitzthum und Daniel Schreiber. Der Chor singt schön, aber in diesem Repertoire sind mehr als 30 Sänger zuviel; Gregor Meyer hat die Kantaten von Kuhnau mit einem Ensemble von Solisten aufgenommen, und das scheint mir der Aufführungspraxis in Kuhnaus Zeit zu entsprechen.

Trotzdem, diese CD ist zu begrüssen: jede Aufnahme von Kantaten von Kuhnau ist willkommen, damit sein Oeuvre bekannter wird. Und diese CD ist eine gute Gesellschaft für die Weihnachtszeit.

Kuhnau: "Uns ist ein Kind geboren - Weihnachtskantaten"
Jessica Jans, Sopran; Franz Vitzthum, David Erler, Altus; Daniel Schreiber, Tenor; Florian Hartmann, Bass; Kammerchor der Christuskirche Karlsruhe; L'arpa festante/Peter Gortner
Christophorus CHR 77479 (© 2024) details

Dienstag, 26. November 2024

Corelli ajusté à la flûte traversière - Alter Ego


Wenige Komponisten haben so einen weitreichenden Einfluss auf den Verlauf der Musikgeschichte ausgeübt als Arcangelo Corelli. Mit seinen Triosonaten, Concerti grossi und Solosonaten setzte er Massstäbe: Komponisten seiner Generation und nachfolgender Generationen beeiferten sich, Musik nach seinem Vorbild zu komponieren. Triosonaten wurden die bevorzugte Gattung, mit der Komponisten sich der Öffentlichkeit präsentierten.

Insbesondere die zwölf Sonaten für Violine und Basso continuo Op. 5 sorgten für viel Aufregung. Sie wurden in kürzester Zeit nachgedruckt, und es erschienen Bearbeitungen für verschiedene Besetzungen. Zwei solcher Bearbeitungen sind besonders bekannt geworden: eine Ausgabe für die Blockflöte, die John Walsh in London produzierte, und eine von Roger in Amsterdam, die die Sonaten zwar in der originellen Besetzung bietet, aber dann mit hinzugefügten Ornamenten in den langsamen Sätzen.

Viel weniger bekannt ist eine Bearbeitung, die in den späten 1730er Jahren in Paris erschien. Sie enthält die ersten sechs Sonaten in einer Bearbeitung für die Traversflöte. Der unbekannte Bearbeiter hat sich zweifellos von der schnell wachsenden Beliebtheit der Traversflöte leiten lassen. Vor allem in Frankreich hatte sie unter Laien die Blockflöte verdrängt. Die Veröffentlichung dieser Sonaten zeugt auch von der wachsenden Popularität des italienischen Stils.

Selbstverständlich musste der Bearbeiter sich einiges einfallen lassen, um die Sonaten für die Traversflöte spielbar zu machen. Zwei Sonaten wurden transponiert, um ihrem Charakter gerecht zu werden und unspielbare Noten zu vermeiden. In Passagen mit Doppelgriffen hat der Bearbeiter entweder sich für die höchste Note entschieden oder er lässt die Flöte zwischen Ober- und Unterstimme wandern. Hier und da haben sich die Interpretinnen der hier zu rezensierenden Aufnahme eine andere Lösung gewählt, die sie überzeugender fanden. Was die Ornamente anbetrifft, im Gegensatz zu der Amsterdamer Ausgabe, sind in dieser Edition auch die schnellen Sätze mit Verzierungen versehen, allerdings etwas weniger als die langsamen. Sie tragem auch die Merkmale des französischen Stils. Deswegen kann man sagen, dass hier Corellis Sonaten durch eine französische Brille gesehen werden.

Eleonora Bišćević (Traversflöte) und Arianna Radaelli (Cembalo) haben hier eine höchst interessante und musikalisch fesselnde Aufnahme vorgelegt. Die Flötistin produziert einen schönen Ton, spielt die langsamen Sätze mit viel Gefühl und einer feinen dynamischen Schattierung. Die schnellen Sätze werden lebendig und energisch dargestellt. Die Cembalistin ist nicht nur eine harmonische Stütze, sondern auch eine rhythmisch treibende Kraft.

Jeder Liebhaber von Barockmusik wird sich freuen über Corelli à la française.

"Corelli ajusté à la flûte traversière"
Alter Ego
Da Vinci Classics C00952 (© 2024) details

Donnerstag, 21. November 2024

Viadana: Sacri Concentus - The Viadana Collective


Lodovico Grossi da Viadana (c1560-1627) ist ein bekannter Name. Ihm wird eine besondere Position in der Musikgeschichte zuerkannt, da er der erste Komponist war, der geistliche Werke für eine Solostimme und Basso continuo veröffentlichte, und zwar in der 1602 gedruckten Sammlung Concerti ecclesiastici. Das war sein Opus 12, was zeigt, dass sein Oeuvre mehr zu bieten hat als diese eine Sammlung. Vor kurzem erschien eine CD, die zum Kern eine andere, vergleichbare Sammlung hat: Cento concerti a una voce sola von 1615. Während die Concerti von 1602 noch relativ konservativ sind - der Basso continuo ist wenig mehr als ein Basso seguente, der der tiefsten Gesangsstimme folgt - geht er in dieser Sammlung weiter. Es sind Stücke im modernen monodischen Stil, wie wir sie von Komponisten wie Caccini, Monteverdi und Grandi kennen.

Das kommt unter anderem in der Verbindung von Text und Musik, der Verwendung harmonischer Mittel zum Textausdruck und einer deklamatorischen Behandlung des Textes zum Ausdruck. Wie die Sammlung von 1602 enthält diese 100 geistliche Konzerte, 25 für jede der vier Stimmlagen. In der Aufnahme des Viadana Collective erklingen elf dieser Stücke: zwei für jeden der Sänger; drei weitere werden instrumental dargeboten.

Diese Werke sind oft für ein Fest im Kirchenjahr gemeint; das Programm ist in einige Kapitel aufgeteilt, die alle einem bestimmten Fest gewidmet sind. Neben den Solomotetten hören wir auch mehrchörige Werke, denn Viadana hat ein umfangreiches und variiertes Oeuvre hinterlassen. Dazu gehören auch Motetten im stile antico des 16. Jahrhunderts und geistliche Madrigale. Auch diese Gattungen sind im Programm vertreten.

Es gibt auch einige Verbindungen zum Norden Europas. Im Jahre 1620 veröffentlichte der dänische Komponist Thomas Schattenberg (c1580-1622) eine Motettensammlung, in der die vierstimmige Motette O dulcissime Jesu eine Bearbeitung einer Solomotette von Viadana aus der Sammlung von 1615 ist. Und Viadanas achtstimmige Motette Si acuero ut fulgur nahm Erhard Bodenschatz in die Sammlung Florilegium Portense Teil 2 von 1621 auf.

The Viadana Collective hat hier eine hervorragende Aufnahme vorgelegt. Die Vokalpartien sind bei Suzie LeBlanc, Vicki St. Pierre, Charles Daniels und Roland Faust in den besten Händen, und Bruce Dickey ist der herausragende Spieler des Zink. Eine Besonderheit sind die Orgelstücke, die Iason Marmaras an der schönen historischen Orgel der Basilika zu Mantua improvisiert. Dort ist diese Aufnahme entstanden, was ihr eine besondere Dimension verleiht.

Diese CD ist eine, die einem süchtig macht nach Mehr.

Viadana: Sacri Concentus
The Viadana Collective/Maximilien Brisson
Passacaille PAS 1142 (© 2024) details

Mittwoch, 13. November 2024

Benevoli: Missa Benevola - Robert Hollingworth


Orazio Benevoli (1605-1672) ist ein bekannter Name. Es gab mal eine Zeit, dass man annahm, er sei der Komponist der Missa Salisburgensis, bis sich herausstellte, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach ein Werk von Heinrich Ignaz Franz Biber ist. Es wundert nicht, dass man Benevoli als Komponist betrachtete, denn er war ein Spezialist in der Komposition mehrchöriger Werke. Es gab im 17. Jahrhundert in Rom eine Tradition von Mehrchörigkeit, die bis zu Palestrina zurückreicht. Dieser komponierte Musik für Doppelchor, aber Benevoli und einige andere gingen weiter. Sie gelten als Vertreter eines Stils, den Musikwissenschaftler als Kolossalbarock bezeichnen. Es wurden Messen für mehr als zwei Chöre komponiert, bis zu nicht weniger als zwölf Chören.

In seiner Missa Benevola gibt sich Benevoli noch relativ bescheiden, denn hier kommt er mit 'nur' vier Chören aus. Das Werk ist wahrscheinlich für ein Marienfest bestimmt, möglicherweise Mariä Himmelfahrt (15. August). Das Werk besteht aus den üblichen fünf Teilen, aber in Rom wurde das Benedictus immer ausgelassen. Ausserdem wird das Agnus Dei nur einmal gesungen; der Bitte um Frieden im dritten Agnus Dei wird nicht gesungen.

Bei solch gross angelegten Messen stand die äusserliche Pracht der Musik und des ausführenden Apparats im Mittelpunkt, und damit die Macht der Kirche - ein wichtiger Bestandteil der Gegenreformation. Für Textausdruck gibt es bei einer solchen Besetzung wenig Gelegenheit; der Text der Messe bietet dafür auch nicht besonders viel Anhaltspunkte. Einige Besonderheiten gibt es trotzdem, und darauf weist Robert Hollingworth in seiner informativen Einführung im Textheft (nur auf englisch) hin.

Neben der Messe von Benevoli enthält diese CD auch drei Werke seines Zeitgenossen Giacomo Carissimi (1605-1674). Wie Benevoli wirkte er in Rom; er ist vor allem wegen seiner Oratorien bekannt geworden. Die Historia di Jephte gehört zu seinen berühmtesten Schöpfungen; schon in seiner Zeit wurde vor allem der hochexpressive Schlusschor gelobt. Dieses Werk wird auch hier dargeboten. Dazu kommen zwei Motetten. Interessant ist, dass Carissimi aus dem Psalm Super flumina Babylonis einen dramatischen Dialog macht, unter anderem da er Verse aus anderen Bibelstellen hinzufügt, und die vier Stimmen in zwei hohe und zwei tiefe Stimmen aufteilt. Paratum cor meum ist ein virtuoses Stück für Bass; es ist ein Musterbeispiel des monodischen Stils.

Insgesamt sind die Interpretationen gut gelungen. Selbstverständlich lässt sich der räumliche Effekt einer Kirche nicht auf CD reproduzieren. Die Aufnahmetechniker haben aber eine lobenswerte Arbeit geleistet. Es wird sehr schön gesungen, solistisch wie im Ensemble. Leider gibt es dann und wann ein hörbares, aber glücklicherweise nur leichtes Vibrato in einigen Stimmen. In Carissimis Oratorium sind Greg Skidmore und Julia Doyle exzellent als Jephtha bzw. seine Tochter. Leider hat Hollingworth an einigen Stellen Schlagzeug eingesetzt. Das ist zu demonstrativ, und ist hier fehl am Platz. Es ist ein Schönheitsfehler auf einer ansonsten empfehlenswerten Produktion.

Benevoli: Missa Benevola
I Fagiolini, The City Musick/Robert Hollingworth
Coro COR 16208 (© 2024) details

Dienstag, 5. November 2024

Spiritus Domini: Sakralwerke des Innsbrucker Hoforganisten Paul Sartorius (1569-1609) - Marini Consort Innsbruck


Die Tiroler Landesmuseen produzieren seit Jahren eine Reihe von CDs, die Musik aus Österreich gewidmet sind. Oft handelt es sich um Musik von Komponisten, die fast keiner kennt. Das trifft auch auf Paul Sartorius zu. Das ist bemerkenswert, denn in seiner Zeit stand er in hohem Ansehen. Man wurde nicht umsonst von Habsburger Fürsten als Organist angestellt.

Sartorius wurde mit dem Namen Paul Schneider in Nürnberg getauft. Er wurde Schüler von Leonhard Lechner, der von 1575 bis 1584 an der St Lorenzschule tätig war. Er reiste nach Italien, um seinen Horizont zu erweitern; dort begegnete er die führenden Komponisten der Zeit, darunter Palestrina. Ab 1594 wirkte er als Organist in der Kapelle des Erzherzogs Maximilian III. von Österreich, Sohn des Kaisers Maximilian II.. Als Maximilian noch in Mergentheim lebte, formierte er schon eine eigene Kapelle, zu der auch Sartorius gehörte. Als Maximilian 1602 nach Innsbruck übersiedelte, folgte Sartorius ihm. Er war der wichtigste Komponist in der Kapelle, bis 1607 Johann Stadlmayr zum Kapellmeister ernannt wurde.

Das Oeuvre von Sartorius enthält weltliche und geistliche Musik. Zur ersten Kategorie gehört eine Sammlung Neue teutsche Liedlein (1601). Im gleichen Jahr erschien eine Sammlung geistlicher Madrigale. In dieser Aufnahme steht selbstverständlich die geistliche Musik im Mittelpunkt. Zwei Sammlungen sind die aufgenommenen Werke entnommen: einem Band mit Messen zu acht Stimmen (1599) und einem mit Motetten für sechs bis zwölf Stimmen (1602). Die Stimmzahl zeigt, dass Sartorius mit der Mode der Doppelchörigkeit bekannt war.

Herzstück der Aufnahme ist die Missa Laudate Dominum, eine Parodiemesse, deren Vorlage nicht bekannt ist. Weiter gibt es Motetten zu verschiedenen Festen, insbesondere Ostern und Pfingsten. Durch die relativ grosse Besetzung kommt der meistens heitere Inhalt der Texte optimal zum Tragen.

Wie gesagt, wurde Johann Stadlmayr 1607 Kapellmeister. Er ist kein unbekannter Meister: seine Musik liegt in verschiedenen Aufnahmen vor. Trotzdem, zum Standardrepertoire gehört sein Oeuvre nicht, und deswegen ist jede Aufnahme seiner Werke willkommen. Hier erklingen drei Werke: eine Motette zu zwei Stimmen und Basso continuo im modernen monodischen Stil auf dem Text Regina coeli, sowie zwei Werke für Pfingsten. Die Hymne Veni creator ist eine Alternatimskomposition zu vier Stimmen im stile antico, während Dum complerentur zu 12 Stimmen Stadlmayrs Beherrschung der cori spezzati-Technik zeigt.

Die CD-Reihe Musikmuseum ist wieder um eine interessante und historisch wichtige Ausgabe erweitert. Das Marini Consort Innsbruck ist ein exzellentes Ensemble von Sängern und Spielern, das die Musik von Sartorius und Stadlmayr glänzend zum Klingen bringt. Es werden häufig Instrumente eingesetzt, und im Hinblick auf die Gewohnheiten der Zeit, insbesondere an den Höfen der Habsburger, scheint mir das richtig zu sein. Zudem wird auf diese Weise der Inhalt der einzelnen Werke benachdruckt.

"Spiritus Domini - Sakralwerke des Innsbrucker Hoforganisten Paul Sartorius (1569-1609)"
Marini Consort Innsbruck/Bernd Oliver Fröhlich
Musikmuseum CD 13068 (© 2024) details

Zelenka: Missa Gratias agimus tibi - Frieder Bernius

Der Dirigent Frieder Bernius hat im Verlauf seiner Karriere, mit Hilfe seines Kammerchors Stuttgart, sich für die Musik von Jan Dismas Zel...