Critica Musica
Johan van Veen
Donnerstag, 5. Juni 2025
Au douz tens nouvel: Lieder der Trouvères - Ensemble Céladon
Das Ensemble Céladon beschäftigt sich seit Jahren mit der Musik, die die Welt der höfischen Liebe im Mittelalter widerspiegelt. Im Jahre 2014 erschien eine CD, die den Liedern der Troubadours gewidmet war, die zweite Folge beschäftigte sich mit den deutschen Minnesängern, und die vor kurzem erschienene dritte Folge enthält Lieder der Trouvères. Sie können als die Nachfolger der Troubadours betrachtet werden, und übernahmen das Konzept der fin d'amor, in dem der Dichter sich in den Dienst einer Dame stellt, die grundsätzlich unerreichbar ist.
Offensichtlich spiegeln diese Chansons „ein gebildetes und wohlhabendes Milieu wider, das die Mittel hatte, sie für die Nachwelt festzuhalten. Diese mittelalterliche Aristokratie drückte sich in poetischen Begriffen aus, nicht nur, weil es ihrem Geschmack entsprach, sondern auch, weil dies denjenigen, die sie verwendeten, allmählich den Ruf eines schönen Esprits einbrachte“, wie Anne Delafosse es in ihrer Programmerläuterung formuliert.
Die Chansons lassen sich in verschiedene Gattungen einteilen. In der chanson de l'amour beschreibt der Liebhaber die Qualitäten einer Dame oder beklagt sein Leid. Das heiterere Gegenstück ist die pastourelle, die uns in die Welt der Ritter und Schäferinnen versetzt. Dann gibt es noch die chanson de l'encontre, in der sich ein Mann und eine Frau begegnen.
Die chanson pieuse zeigt, dass es damals keine strikte Spaltung zwischen der geistlichen und der weltlichen Musik gab. Ein Beispie ist Hui matin a l'ajournee von Gautier de Coincy, einem Mönch. „Ein Ritter – der Erzähler – findet am Morgen die schönste aller Blumen, die ihn dazu inspiriert, die „Blume des Paradieses“ selbst zu preisen: die Jungfrau Maria.“ Diese Chanson, die in der Sammlung Les Miracles de Nostre Dame (zusammengestellt zwischen 1218 und 1233) enthalten ist, gehört auch zur Gattung der reverdie, die den Frühlingsanfang feiert.
In mittelalterlicher Musik ist Rekonstruktion fast unvermeidlich, da viele Werke unvollständig oder sogar ohne Musik überliefert sind. Die Frage ist immer, wie weit man dabei gehen sollte und wie man in einzelnen Fällen vorgehen sollte. Darüber lässt sich streiten. Auch hier gibt es fragwürdige Rekonstruktionen. Problematischer ist allerdings die Interpretation, vor allem im Bereich der Verwendung von Instrumenten. Hier werden mehrere Instrumente eingesetzt, als Begleitung oder in Vor- und Zwischenspielen. Soviel ich weiss traten die Trouvères solistisch auf, sich selbst begleitend auf einem Instrument, wie Laute, Harfe oder einem Streichinstrument. Die akustischen Effekte, die das erste Stück der CD einleiten und abschliessen, wirken befremdend.
Das soll aber keinen davon abhalten, sich diese CD zu ergattern, zumal da hier exzellent gesungen und gespielt wird und diese Lieder sehr schön sind. Vor allem die anonym überlieferten Lieder mögen weitgehend unbekannt sein. Es ist schade, dass das Textheft die Texte nur im Original abdruckt, ohne jegliche Übersetzung. Das hilft nicht, sie dem Hörer näher zu bringen. Übrigens gibt es informative Programmerläuterungen, aber nicht auf deutsch.
"Au douz tens nouvel - Chansons de trouvères"
Ensemble Céladon/Paulin Bündgen
Ricercar RIC 465 (© 2024) Details
Donnerstag, 29. Mai 2025
Boismortier: Sonaten für zwei Pardessus de viole - Dialogue Viols
Im 18. Jahrhundert waren Duette für zwei gleiche Instrumente sehr beliebt. Solche Stücke konnten im intimen Kreis von Laien gespielt werden, konnten aber auch für pädagogische Zwecke benutzt werden: der Lehrer spielt die eine Stimme, der Schüler die andere. Auch der französische Komponist Joseph Bodin de Boismortier hat mehrere Sammlungen solcher Werke veröffentlicht. Das wundert nicht, denn sein Ziel war es, Laien mit guter Musik zu versorgen, die technisch einige Herausforderungen stellte, aber nicht zu schwer war. Damit ist er durchaus mit Telemann zu vergleichen.
Etwas mehr als 100 Sammlungen mit einer Opusnummer hat er veröffentlicht. Etwa ein Viertel davon ist verlorengegangen. Dazu zählte bis vor kurzem auch das Opus 63, das bemerkenswert ist wegen der Besetzung. Es handelt sich um sechs Duette, die nicht für die heute noch bekannte Instrumente wie Violine, Traversflöte oder Viola da gamba bestimmt sind, sondern für zwei Pardessus de viole. Solche Instrumente waren um die Mitte des 18. Jahrhunderts sehr beliebt. Die Pardessus de viole sollte nicht mit der Diskantgambe verwechselt werden. Sie war eine Quarte höher gestimmt und hatte einen mit der Geige vergleichbaren Umfang. Das Instrument wurde vor allem Damen empfohlen, als Ersatz für die Geige, die als nicht passend für sie betrachtet wurde. Das soll aber nicht heissen, dass nur sie dieses Instrument spielten. Marin Marais und sein Sohn Roland spielten beide die Pardessus de viole, und ein anderer Gambenvirtuose, Charles Dollé, unterrichtete das Spiel auf dem Instrument.
Ursprünglich hatte die Pardessus de viole sechs Saiten, später wurde es mit fünf Saiten versehen; es war bekannt als quinton, aber die offizielle Bezeichnung ist Pardessus à cinq cordes. Die Popularität der Pardessus de viole kommt in der grossen Menge an Werken zum Ausdruck, die das Instrument als eine der Besetzungsmöglichkeiten erwähnen. Trotzdem, ganz wenige Stücke sind speziell für dieses Instrument bestimmt. Da bilden die Duette von Boismortier eine Ausnahme. Das macht es umso wichtiger, dass sie vor kurzem wiederentdeckt wurden.
Für lange Zeit war Boismortier unter Profis nicht sonderlich beliebt, denn es galt als unmöglich, dass jemand soviel Musik komponieren konnte, ohne oberflächlich zu sein. Ausserdem sind seine Werke Produkte des galanten Stils, der oft als einfach und wenig interessant betrachtet wurde. In letzter Zeit scheint sich das Blatt gewendet zu haben, aufgrund der Zahl der Aufnahmen. Und das ist erfreulich: ich habe viele dieser Einspielungen gehört, und dabei festgestellt, dass es sich um ganz gute Musik handelt. Es gibt durchaus Momente von starkem Ausdruck, und eindrucksvoll ist vor allem, wie der Komponist es immer schafft, die Eigenartigkeiten jedes Instruments zum Tragen kommen zu lassen.
Das gilt mit Sicherheit auch für diese Duette. Sie haben dieses Instrument vielleicht noch nie gehört. Diese Aufnahme des Duos Dialogue Viols, das aus Peter Wendland und Jacqui Robertson-Wade besteht, ist die perfekte Gelegenheit, es kennenzulernen, zumal die beiden Artisten diese Duette hervorragend interpretieren, mit viel Schwung und Fantasie, in perfektem Zusammenspiel. Lassen Sie sich überraschen! Gute Chance, dass Sie sich in die Pardessus de viole verlieben werden.
Joseph Bodin de Boismortier: "6 Sonatas for 2 Pardessus de viole, Op. 63"
Dialogue Viols
First Hand Records FHR159 (© 2025) Details
Donnerstag, 22. Mai 2025
Händel & Colonna - Leonardo García Alarcón
Giovanni Paolo Colonna (1637-1695) und Georg Friedrich Händel (1685-1759) auf eine CD zusammenzubringen bittet um eine Erklärung. Colonna verstarb, als Händel erst zehn Jahre alt war. Was haben sie gemeinsam? Leonardo García Alarcón rechtfertigt seine Entscheidung unter anderem mit einer Äusserung des englischen Komponisten William Boyce, der bemerkte, dass Händel ein direkter Erbe Colonnas in der Komposition geistlicher Musik war. Er fügt hinzu, dass Colonna ein wichtiger Komponist geistlicher Musik war. "An seiner Musik wurde Händels Dixit Dominus gemessen, das auch eine Hommage an Colonnas Musik". In der Besetzung lässt sich auch eine auffällige Gemeinsamkeit feststellen. Sowohl Colonnas Messa a 5 concertata als Händels Dixit Dominus sind gesetzt für fünf Stimmen (Soli und Tutti) und ein fünfstimmiges Instrumentalensemble, mit zwei Bratschenstimmen - eine übliche Praxis im 17. Jahrhundert, und deswegen nicht überraschend in Colonna, im Gegensatz zu Händels Werk.
Colonnas Messe besteht aus zwei Teilen: Kyrie (aufgeteilt in drei Abschnitte) und Gloria (bestehend aus 11 Abschnitten). Strikt solistische Sätze gibt es nicht: in den meisten Abschnitten mischen sich Soli und Tutti, und die Solisten treten zu dritt oder zu viert auf. im Oeuvre Colonnas gibt es Musik im stile antico, aber die Handschriften legen nahe, dass bei solchen Werken Instrumente (Streicher, Zinken und Posaunen) zum Einsatz kamen, die colla voce spielten. In dieser Messe sind die Streicherpartien ausgeschrieben, aber trotzdem glaubt García Alarcón, dass auch dann Bläser mitgespielt haben können. Und so klingen hier Zinken und Posaunen, und dann und wann auch zwei Blockflöten, in mehreren Tuttiabschnitten. Mir scheint diese Praxis reichlich spekulativ; hoffentlich bringen Untersuchungen mehr Klarheit in dieser Angelegenheit.
Händels Dixit Dominus gehört zu seinen beliebtesten Werken. Es ist ein stark theatrales Stück, und das kommt in der Interpretation gut zum Tragen. García Alarcón setzt noch einiges drauf. 'Conquassabit capita' ("Zerschmettern wird er die Häupter im Land vieler [Völker]") wird forte und staccato dargestellt; der anschliessende Vers, 'De torrente in via bibet' ("Aus dem Bach am Weg wird er trinken") wird langsam gesungen und gespielt und fängt pianissimo an. In der Partitur findet man keine Hinweise auf eine solche Praxis; es sind Entscheidungen des Dirigenten, die aber meiner Meinung nach zum Charakter des Werkes passen.
Colonnas Messe wird hier zum ersten Mal auf CD vorgestellt, und das ist schon Grund genug, sich diese CD zu ergattern. Es ist ein schönes Werk, und macht neugierig nach weiteren Werken dieses Meisters. Händels Dixit Dominus liegt in vielen Aufnahmen vor, darunter mehreren sehr guten. Diese Neuaufnahme kann zu den besten gerechnet werden. Das ist zum Teil dem Choeur de Chambre de Namur zu verdanken, der die Hauptrolle spielt. Mit den Solisten hat García Alarcón Glück gehabt. Ihre Stimmen mischen sich sehr gut, und sie fügen sich mühelos in den Chor ein, wo sie sich abwechseln. Kurzum, trotz der Bekanntheit von Händels Dixit Dominus soll die Bedeutung dieser Produktion hoch eingestuft werden.
Giovanni Paolo Colonna: "Missa Concertata" - Georg Friedrich Händel: Dixit Dominus
Elizaveta Sveshnikova, Mariana Flores, Sopran; Paul-Antoine Bénos-Djian, Altus; Valerio Contaldo, Tenor; André Morsch, Bass; Choeur de Chambre de Namur; Cappella Mediterranea/Leonardo García Alarcón
Ricercar RIC 470 (© 2025) Details
Mittwoch, 14. Mai 2025
A Trè: Violoncellotrios des 18. Jahrhunderts - Tiefsaits
Von der Mitte des 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts war die Triosonate die beliebteste Form von Kammermusik. Triosonaten waren meistens für musikalische Laien gedacht: sie verlangten einiges technisches Können, waren aber nicht zu anspruchsvoll. Sie wurden meistens unter dem Titel Sonate à tre veröffentlicht, und daraus erklärt sich der Titel der hier zu rezensierenden CD.
Triosonaten waren meistens für zwei Violinen und Basso continuo bestimmt; im Verlaufe des 18. Jahrhunderts kamen andere Instrumente dazu, wie Traversflöten und Oboen. Trios für drei Violoncellos waren aber rar, und es war erst in der Zeit der Klassik, dass solche Werke komponiert wurden, und dann vielleicht noch nicht in grossen Mengen. Das deutsche Ensemble Tiefsaits hat einige solcher Trios eingespielt, aber einige Werke des Barock sind in Wirklichkeit Triosonaten, in denen das dritte Violoncello den Basso continuo spielt. Das war eine damals durchaus gängige Praxis, die heute selten zu hören ist.
Hauptperson im Programm ist Giuseppe Clemente (ursprünglich: Joseph Marie Clément Ferdinand) dall'Abaco (1710-1805), Sohn des bekannteren Evaristo Felice, der aus Italien stammte, und in Brüssel wirkte, als sein Sohn geboren wurde. Letzterer wurde als Cellist ausgebildet, unter anderem in Italien, und war einige Zeit in der kurfürstlichen Kapelle zu Bonn tätig. Ihm wurde es erlaubt, als Cellovirtuose durch Europa zu reisen; 1753 liess er sich in Verona nieder.
Von ihm erklingen zwei Trios, in denen die Instrumente unterschiedlich behandelt werden. Dazu kommen noch drei der insgesamt elf Caprices für Violoncello solo. Während die Trios für technisch versierte Laien oder andere professionelle Spieler bestimmt waren, hat Dall'Abaco die Caprices wohl für den eigenen Gebrauch konzipiert. Sie werden oft mit den Suiten für Violoncello solo von Bach verglichen, und da ist was dran. Insbesondere die hier eingespielte Caprice Nr. 4 könnte man sich durchaus als prélude einer seiner Suiten vorstellen.
Wie Dall'Abaco war auch Jean Barrière ein professioneller Cellist. Er hat vier Bücher mit Cellosonaten veröffentlicht, und im dritten Buch gibt es eine für zwei Violoncellos und Bass. Wegen der Notation der Oberstimme wird hier ein französisches Instrument mit fünf Saiten verwendet.
Schliesslich erklingt noch eine Sonate von Benedetto Marcello, der einzige im Bunde, der selber nicht Cello spielte. Es ist wohl der wachsenden Beliebtheit des Instruments zu verdanken, dass er zwei Sammlungen von Sonaten für ein bzw. zwei Violoncellos und Basso continuo veröffentlichte. Interessanterweise erwähnt er die Viola da gamba als Alternative. Bemerkenswert ist der Schlussatz der hier eingespielten Sonate: es gibt nur eine Melodielinie, die das zweite Cello fragmentarisch imitieren soll in Form eines Kanons; der Generalbass fehlt.
Diese Einspeilung ist das Debut des Ensembles, das besteht aus Anna Reisener, Alma Stolte and Mirjam-Luise Münzel. Eine bessere Weise, sich dem Publikum vorzustellen, lässt sich kaum denken. Das Programm ist originell und interessant, und die Musik wird technisch einwandfrei und mit viel stilistischer Einsicht und Engagement vorgetragen. Ich möchte diese Aufnahme nachdrücklich empfehlen, nicht nur Liebhabern des Violoncellos. Und ich hoffe und erwarte, dass diese Damen einer erfolgreichen Karriere entgegensehen dürfen.
"À Tre - 18th Century Cello Trios"
Tiefsaits
Da Vinci Classics C00943 (© 2024) Details
Donnerstag, 1. Mai 2025
Lusitano: Liber Primus Epigramatum - Arte Minima
Musik der Renaissance von der iberischen Halbinsel wird oft aufgeführt und aufgenommen. Trotzdem gibt es noch viele Komponisten, die kaum bekannt sind. Dazu gehört auch Vicente Lusitano (um 1520 - nach 1561). Er wurde im portugiesischen Olivença (heute Olivenza, Spanien) geboren. Über seine Ausbildung wissen wir so gut wie nichts. Möglicherweise war sein Lehrer ein gewisser Pero Brujel oder Brugel, wahrscheinlich ein Komponist flämischer Herkunft. Wenn das stimmt, lässt sich vielleicht daraus erklären, dass Lusitano stark von Josquin Desprez und Nicolas Gombert beeinflusst wurde.
In den späten 1580er Jahren ging er nach Rom, wo 1551 die Sammlung von Motetten veröffentlicht wurde, aus der die Werke stammen, die das Ensemble Arte Minima aufgenommen hat. Zwei Jahre später veröffentlichte Lusitano ein theoretisches Werk, das aus einem Disput mit seinem Kollegen Nicolà Vicentino hervorging. "Im Mittelpunkt dieser Debatte standen die gegensätzlichen Auffassungen über die Interpretation theoretischer Konzepte aus der griechischen Antike im 16. Jahrhundert, insbesondere über die Stimmung bestimmter musikalischer Intervalle, ein Thema, das ein so differenziertes Verständnis erfordert, dass es an die Grenzen der menschlichen Wahrnehmung stößt", schreibt Pedro Sousa Silva im Textheft. Die Folge war, dass später Lusitano fast nur als Theoretiker wurde, und seine Musik in Vergessenheit geriet.
Sie scheint schon damals wenig Anklang gefunden zu haben, was ein Musikwissenschaftler mit der Schwierigkeit der Mittelstimmen in Verbindung bringt, die in einigen Motetten sogar für eine instrumentale Darstellung gemeint zu sein scheint. In dieser Aufnahme wurde das Problem so gelöst, dass Blockflöten mitspielen und Lücken auffüllen. Das wird auch dadurch motiviert, dass diese Motetten vielleicht nicht für die Liturgie, sondern für Privatandachten gemeint sind. Solche Musik wird oft als musica reservata oder musica secreta bezeichnet.
Das rechtfertigt auch eine solistische Besetzung. Trotzdem ist der Text oft nicht optimal verständlich. Daran sind nicht die Sänger schuld, sondern die Dichte des polyphonen Gewebes. Vor allem darin, und im Mangel an Atempausen, zeigt sich der Einfluss von Gombert. Josquins Einfluss kommt in zwei Motetten zum Ausdruck, die Lusitano bearbeitet hat: Inviolata, integra et casta es und Praeter rerum seriem. In beiden Fällen hat er die Zahl der Stimmen von fünf bzw. sechs auf acht erweitert.
Im Jahre 1561 konvertierte Lusitano zum Protestantismus. Er bewarb sich vergebens um eine Stelle am Württembergischen Hof in Stuttgart. Danach verschwindet er in die Finsternis der Geschichte. Was aus ihm geworden ist, wissen wir nicht. Es ist schön, dass Arte Minima ihm ein klingendes Denkmal gesetzt hat. Seine Musik verdient es, dargestellt zu werden, und die Qualität der Interpretation lässt ihr Gerechtigkeit widerfahren. Das Ensemble wird sich weiterhin mit Lusitano beschäftigen. Auf weitere Aufnahmen dürfen wir uns freuen.
Vicente Lusitano: Liber Primus Epigramatum (1551)
Arte Minima/Pedro Sousa Silva
Pan Classics PC 10466 (© 2025) Details
Freitag, 11. April 2025
Musik aus der Bokemeyer Sammlung - Musica Gloria
Die Geschichte ist nicht immer gerecht. Eine wichtige Quelle deutscher Musik des 17. Jahrhunderts ist die sogenannte Bokemeyer Sammlung. Der Name verweist auf den Komponisten Heinrich Bokemeyer (1679-1751), dem diese Sammlung gehörte. Aber ihr Urheber war sein Lehrer, Georg Österreich (1664-1735), und er ist derjenige, der sie zum grössten Teil zusammengestellt hat. Leider ist er fast vergessen, und wenn sein Name erwähnt wird, dann fast ausschliesslich wegen dieser Sammlung. Daher ist es schön, dass die Aufnahme, die das belgische Ensemble Musica Gloria dieser Sammlung gewidmet hat, zwei seiner Werke enthält, und dass er auf der Titelseite mit Namen erwähnt wird.
Obwohl die Bokemeyer Sammlung oft für Konzertprogramme und CD-Aufnahmen verwendet wird, ist es dem Ensemble gelungen, ein ganzes Programm mit Stücken aufzunehmen, die noch nicht auf CD erhältlich sind. Das erhöht den Wert dieser Produktion. Die meisten aufgenommenen Werke wurzeln stilistisch im 17. Jahrhundert. Das kommt in der Instrumentalbesetzumg zum Ausdruck, die meistens fünfstimmig ist, mit zwei Bratschen. Ausserdem gibt es nur kurze Soloabschnitte, die sich mit Episoden für das ganze Ensemble abwechseln.
Neben Georg Österreich sind hier dessen Bruder Michael sowie Johann Theile, Johann Philipp Förtsch und Johann Friedrich Meister vertreten. Die meisten Komponisten hatten, wie Österreich, Verbindungen zum Hofe zu Gottorf, der um die Jahrhundertmitte ein musikalisches Zentrum im Norden Deutschlands war.
Zwei Komponisten sind mit Werken zu hören, die in die Zukunft weisen. Von Bokemeyer erklingt eine Solokantate, die aus Rezitativen und Arien besteht - ein deutliches Zeichen des Einflusses der italienischen Oper. Das zweite Werk ist von dem gebürtigen Italiener Giulio Giuliani, von dem wenig mehr bekannt ist als dass er als Gesangslehrer am Hofe zu Wolfenbüttel wirkte, wo Österreich sein Kollege war. Seine kurze Motette hat eine Struktur, die im 18. Jahrhundert in Italien zum Standard wurde: Arie - Rezitativ - Arie - Alleluia.
Eine Besonderheit dieser Produktion ist die Mitwirkung von Oboen. Die Oboe wurde um die Mitte des 17. Jahrhunderts in Frankreich entwickelt und verbreitete sich dann über ganz Europa. In Deutschland waren mehrere Aristokraten unter dem Eindruck des Musiklebens am Hofe in Frankreich, und wollten das nur allzu gerne kopieren. Dazu gehörten auch Instrumente, wie die Oboe. Die Komponisten der hier aufgeführten Kantaten gehören wohl zu den ersten, die in ihre geistlichen Werke Partien für Oboe(n) integrierten.
Das junge Ensemble Musica Gloria hat sich in kurzer Zeit einen Namen gemacht, und fällt auf wegen der originellen Programmierung wie auch der Gründlichkeit, mit der die Interpretation vorbereitet wird. Auch für diese Produktion hat man sich Gedanken gemacht, was dieses Repertoire verlangt, um optimal zum Klingen zu kommen. Dazu gehört die Verwendung einer grossen Orgel im Basso continuo, was sich auf die Interpretation günstig auswirkt.
Die Sänger bringen alle erstklassige Leistungen, solistisch wie im Ensemble. Der Text steht immer im Mittelpunkt und wird eindrnglich vorgetragen. Das Instrumentalensemble ist auch von grosser Klasse, und lässt sich ebenfalls ganz vom Text leiten.
Diese CD hat alles in sich, um am Jahresende zu einer der CDs des Jahres gekrönt zu werden.
"Georg Österreich's Resurrected Treasures"
Musica Gloria/Nele Vertommen, Beniamino Paganini
Et'cetera KTC 1819 (© 2024) Details
Donnerstag, 3. April 2025
Conti: Arien mit verschiedenen Instrumenten - nuovo aspetto
Für mehrere Jahrhunderte war der Kaiserhof zu Wien ein Zentrum von Musik europäischen Ranges. Die Kaiser kontraktieren die besten Musiker und Komponisten, und Musik nahm im Leben am Hofe eine wichtige Stellung ein. Musik war nicht nur ein Repräsentationsmittel; die Kaiser liebten Musik, und im 17. und 18. Jahrhundert nahmen sie auch mal an Aufführungen teil und komponierten eigene Werke. Zu den Virtuosen im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts gehörte der aus Venedig stammende Francesco Bartolomeo Conti (1682-1732).
Er wurde als Theorbist ausgebildet und galt schon bald als Virtuose auf seinem Instrument. Er trat in verschiedenen Städten Italiens auf, bis er 1701 als Theorbist in Wien angestellt wurde. 1708 wurde er zum ersten Theorbisten ernannt, und 1713 folgte eine Ernennung zum Hofkomponisten. Angesichts seines Berufes wundert es nicht, dass er in seinen Werken Arien mit einer Obligatpartie für die Theorbe aufnahm. Da er auch die Mandoline spielte, finden sich in seinen Vokalwerken auch Arien mit diesem Instrument in einer Obligatrolle.
Allerdings scheint es ihm nicht in erster Linie daran gelegen zu sein, selber eine ausgeprägte Rolle zu spielen. Wenn man die hier diskutierte CD betrachtet, fällt auf, wie oft er ungewöhnliche Kombinationen von Instrumenten in seinen Werken auftreten lässt. Dazu zählen die Viola da gamba (in Italien längst aus der Mode), das Chalumeau, das Baryton, die Harfe und das Hackbrett. In den Arien, die auf dieser CD zu hören sind, setzt er sie geschickt ein um ein bestimmtes Effekt zu erreichen.
In einer komischen Szene aus Penelope reagiert der Protagonist sogar explizit auf das Spiel des Hackbretts. Und Chalumeau und Viola da gamba sind perfekt geeignet für ein Lamento aus der Oper Sesostri. In einer Arie aus der Kantate Fra queste umrose piante spielt das Chalumeau neben der Traversflöte. Der B-Abschnitt hält dann noch eine weitere Überraschung parat: das Cembalo tritt aus seiner Generalbassfunktion heraus und begleitet konzertant den Sänger. Die vielleicht ungewöhnlichste Kombination von Instrumenten tritt in einer Arie in der Oper Il trionfo dell'amicizia e dell'amore hervor: der Sopran wird begleitet von einem Ensemble mit zwei Harfen und zwei Mandolinen, die in Abwechslung mit zwei Barytons spielen, mit im Basso continuo Violoncello und Kontrabass.
Die CD mit Ausschnitten aus Vokalwerken zeigt eindrucksvoll, wie originell Conti war. Das macht es umso unverständlicher, dass nur wenig Musik aus seinem Oeuvre auf CD erhältlich ist. Hoffentlich wird das sich mal ändern. Jedenfalls rate ich jedem, sich nach Einspielungen seiner Werke umzusehen. Diese CD ist ein guter Anfang, denn sie ist besonders unterhaltsam und abwechslungsreich, dank der Fantasie Contis und auch dank der hervorragenden Darbietungen der Sänger und Instrumentalisten. Sie macht richtig süchtig nach mehr.
Francesco Bartolomeo Conti: "Bravo! Bene! Arie con varie strumenti"
Hana Blažíková, Sopran; Valer Sabadus, Franz Vitzthum, Altus; Florian Götz, Bariton; nuovo aspetto
CPO 555 552-2 (© 2023) Details
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