Donnerstag, 6. Februar 2025

Steffani: Vesperpsalmen & Stabat mater - Florian Lohmann



Es gibt Komponisten, die sich wegen eines Werkes oder wegen ihrer Beiträge zu einer Gattung einen Namen gemacht haben. Dazu gehört auch Agostino Steffani (1654-1728), der schon in seiner Zeit wegen seiner Duette berühmt war. Sie wurden von Komponisten späterer Generationen, darunter Georg Friedrich Händel, zum Vorbild genommen. Er hat aber auch viele Opern komponiert und dazu Kirchenmusik.

Florian Lohmann hat sich mit dem Collegium Vocale Hannover und dem Ensemble la festa musicale diesem Schaffen zugewandt. Steffani war ein Wunderkind, der als Knabensopran schon in der Oper auftrat. Als 13-Jähriger ging er nach München, wo er am Hofe angestellt wurde. Später ging er nach Rom, wo er bei Ercole Bernabei studierte, der später Kapellmeister in München werden sollte. Die Früchte dieses Studiums ist Psalmodia Vespertina, eine Sammlung von Vesperpsalmen zu acht Stimmen in zwei Chören und Basso continuo, die 1674 in Rom veröffentlicht wurde.

Wie soviel Kirchenmusik, die in Rom komponiert wurde, stehen diese Werke im stile antico. In Rom hatt die Kirche das Sagen, und sie stand dem damals geläufigen, 'modernen' Stil, skeptisch bis ablehnend gegenüber, da dieser als zu opernhaft galt. Das hat Komponisten nicht davon abgehalten, Elemente dieses Stils in ihre Kompositionen einzubeziehen. Das betrifft vor allem eine enge Verbindung zwischen Text und Musik. Das ist auch in diesen Psalmen der Fall. Mit musikalischen Mitteln, wie Figuren, Harmonie und metrischen Verschiebungen werden bestimmte Textstellen herausgehoben. Auch die Aufteilung der Stimmen in zwei Chöre wird hier und zur Hervorhebung von Wörtern und Phrasen ausgenutzt.

Im Verlaufe seines Lebens war Steffani immer mehr aktiv im Bereich der Diplomatie, und dazu kam später noch eine Karriere in der Kirche. Die Folge war, dass er nach 1700 seine musikalische Arbeit so gut wie ganz einstellte. Erst in den 1720'er Jahren fing er wieder an zu komponieren. Das führte dann dazu, dass er zum ersten Präsidenten der 1726 in London gegründeten Academy of Vocal Music (später zu Academy of Ancient Music umbenannt) gewählt wurde, obwohl er nicht in England war (und auch nie dort gewesen ist). Im Januar 1728 komponierte Steffani sein letztes Werk, das er als sein Bestes betrachtete: das Stabat mater. Es wurde nach seinem Tode veröffentlicht. Es ist für sechs Stimmen, Streicher und Basso continuo komponiert. Der Text ist aufgeteilt in Abschnitte, die abwechselnd von Solostimmen und Tutti dargestellt werden. Auch hier mangelt es nicht an musikalischer Textausdeutung, wie die Geißelschläge ("et flagellis subditum").

Mit dem Stabat mater schliesst sich, sozusagen, der Kreis von Steffanis Leben. Dieses Spätwerk und die Vesperpsalmen aus seinen frühen Jahren sind Beispiele seines ausdrucksreichen Stils. Deswegen war es durchaus sinnvoll, sie auf eine CD zusammenzubringen. Die Interpretationen sind nahezu ideal. Das Collegium Vocale Hannover ist ein vorzügliches Ensemble, dessen Mitglieder auch in den Soloabschnitten zu überzeugen wissen. Im Stabat mater machen auch die vier absonderlich erwähnten Solisten alles genau richtig. In den Vesperpsalmen werden auch mal Instrumente eingesetzt, die meistens colla voce spielen, darunter auch Zink, Dulzian und Posaunen, die damals noch in der Kirchenmusik verwendet wurden.

Im Bereich der Sakralmusik des Barock gehört diese CD zu den besten, die ich in letzter Zeit gehört habe.

Agostino Steffani: Psalmodia Vespertina, Stabat Mater
Kerstin Dietl, Sopran; Franz Vitzthum, Altus; Daniel Schreiber, Tenor; Thilo Dahlmann, Bass; Collegium Vocale Hannover, la festa musicale/Florian Lohmann
Arcantus ARC24055 (© 2024) details

Mittwoch, 29. Januar 2025

Walther & Bach: Meister im Spiegel - Federico Terzi



Der italienische Organist Federico Terzi kam auf die glänzende Idee, Johann Sebastian Bach und Johann Gottfried Walther auf eine CD zusammenzubringen, und zwar mit einigermassen vergleichbaren Werken. Ob das schon mal gemacht wurde, weiss ich nicht. Es liegt aber auf der Hand: sie waren verwandt - Walthers Großvater mütterlicherseits, Valentin Lämmerhirt aus Erfurt, war der Halbbruder von Bachs Mutter Elisabeth Lämmerhirt - und waren einige Jahre Kollegen in Weimar, wo Bach zunächst als Organist und dann auch als Konzermeister am Hofe wirkte, während Walther Organist an der Stadtkirche war. Die Gefahr eines solchen Programms ist, dass der Hörer sie vergleicht und dann sich fragt, welcher der bessere sei. Das macht aber keinen Sinn und Terzi vermeidet es im Textheft.

In seinem Programm zeichnet er die verschiedenen Einflüsse nach. Es gibt zwei freie Werke: die Toccata con Fuga C-Dur von Walther ist der norddeutschen Orgelschule - und darüber hinaus dem italienischen stylus phantasticus - verpflichtet, während Bachs Fantasie in G-Dur, besser bekannt als Pièce d'orgue, den französischen Einfluss zeigt. Rein italienisch sind dann die Bearbeitungen von Konzerten von Vivaldi. Beide haben mehrere solcher Stücke bearbeitet, auf Anregung des Prinzen Johann Ernst von Sachsen-Weimar. Walthers Bearbeitungen sind alle für Orgel, während im Oeuvre von Bach die meisten für das Cembalo gemeint sind, wie auch das Konzert BWV 972, das Terzi ausgewählt hat. Das lässt sich problemlos auf der Orgel darstellen.

Auch mit älterer italienischen Musik haben Bach und Walther sich beschäftigt: beide nahmen jemals ein Thema von Arcangelo Corelli für eine Fuge bzw. vier Variationen.

Der dritte Einfluss ist hausgemacht: Bearbeitungen von Chorälen , mit denen beide aufgewachsen sind. Es erklingen von beiden Bearbeitungen von Das alte Jahr vergangen ist und Jesu, meine Freude; die Stücke von Bach stammen aus dem Orgelbüchlein. Es ist durchaus interessant zu hören, wie unterschiedlich sie die jeweilige Melodie behandeln.

Terzi spielt auf der Orgel in der Kirche zu Boudry in der Schweiz; es handelt sich um eine Kopie der Silbermann-Orgel in der Kirche zu Großhartmannsdorf in Deutschland. Es erweist sich als ein sehr gutes Instrument für dieses Repertoires. Terzi kann auch stilistisch überzeugen; er scheut oberflächlige Effekte, und weiss mit den choralgebundenen Werken durchaus etwas anzufangen. Nur dann und wann hätte ich mir eine etwas schärfere Artikulation gewünscht. Dass auf diese Weise das Orgeloeuvre von Walther in die Aufmerksamkeit gerückt wird, ist ein weiterer Plus dieser Produktion.

Für Orgelliebhaber ist diese Aufnahme eine schöne und interessante Erweiterung ihrer CD-Sammlung.

Johann Gottfried Walther, Johann Sebastian Bach: "Maestros in the mirror"
Federico Terzi, organ
Da Vinci Classics C00941 (© 2024) details

Freitag, 24. Januar 2025

JC Bach & Mozart: Sonaten und Konzerte - Inés Moreno Uncilla



Es ist bemerkenswert, wie die Wertschätzung von Musik sich im Verlauf der Geschichte ändern kann. Nehmen wir Beethovens dritte Sinfonie: ihr wurde bei der Erstaufführung die Sinfonie von Anton Eberl in der gleichen Tonart gegenübergestellt. Die Mehrheit der Zuhörer bevorzugten Eberls Sinfonie, während heutzutage Eberl eine Randfigur im Musikleben ist und Beethovens Eroica zu den beliebtesten Orchesterwerken zählt.

Etwas Vergleichbares gibt es bei der Wertschätzung von Johann Christian Bach. Es gibt wohl kaum jemanden, der ihn zu den grössten Komponisten des 18. Jahrhunderts rechnet. Aber kein geringerer als Mozart schätzte ihn über alles. Als er hörte, dass Bach verstorben war, betrachtete er das als eine grosse Verlust für die Musikwelt. Die beiden hatten sich während des Besuchs der Mozarts in London getroffen und es führte zu einer engen Freundschaft. Als Bach 1766 seine Klaviersonaten Op. 5 veröffentlichte, hatte Mozart London schon verlassen, aber möglicherweise hat er in London diese Sonaten gesehen oder gehört, oder vielleicht selber gespielt. Auf jeden Fall wählte er die Sonaten 2 bis 4 aus, um sie zu Kammerkonzerten für Klavier, zwei Violinen und Bass zu bearbeiten.

Für eine CD reichen diese Konzerte nicht. Es liegt auf der Hand das Programm mit den drei übrigen Sonaten zu erweitern. Das hat Inés Moreno Uncilla gemacht. Es gibt Musikliebhaber - und vielleicht auch Interpreten - die Johann Christian Bachs Musik als oberflächlich betrachten. Der Eindruck, der seine Musik macht, hängt zum Teil auch von den verwendeten Instrumenten ab.

Ich kenne Aufnahmen der Sonaten Op. 5 auf einem Fortepiano nach Anton Walter (1795), aber so ein Instrument passt nicht zu diesen Stücken. Die erste Ausgabe des Op. 5 nennt zwar das Fortepiano - zum ersten Mal in einer in England gedruckten Ausgabe - aber an zweiter Stelle, nach dem Cembalo. Das war zu jener Zeit zweifellos das am meisten gespielte Tasteninstrument, vielleicht neben dem Spinett. Es ist daher richtig, dass Inés Moreno Uncilla sich für das Cembalo entschieden hat, nicht nur in den Sonaten, sondern auch in Mozarts Bearbeitungen, denn es gibt keinen Zweifel, dass Mozart in der Zeit, als er sie schuf, noch Cembalo gespielt hat.

Das klingende Resultat gibt ihr recht. Falls gespielt auf dem richtigen Instrument treten die Qualitäten dieser Sonaten ans Tageslicht. Man höre das ausdrucksstarke grave, das die Sonata VI eröffnet. Und die Sonata V ist ein brillantes Werk, das hier eine glänzende Interpretation empfängt.

Was Mozarts Konzerte anbetrifft: es gibt mehrere Aufnahmen, und obwohl ich sie nicht alle kenne, glaube ich, dass diese Neuaufnahme zu den besten gezählt werden kann. Die schnellen Sätze werden energisch dargestellt, die langsamen subtil und mit Gefühl. Diese Produktion scheint die erste Aufnahme von Inés Moreno Uncilla und das Minué Ensemble zu sein. Ein besseres Debut haben sie wohl nicht machen können.

Wolfgang Amadeus Mozart, Johann Christian Bach: "Opus V"
Inés Moreno Uncilla, Cembalo; Minué Ensemble
Ars Produktion ARS 38 660 (© 2024) details

Freitag, 20. Dezember 2024

Zelenka: Missa Gratias agimus tibi - Frieder Bernius


Der Dirigent Frieder Bernius hat im Verlauf seiner Karriere, mit Hilfe seines Kammerchors Stuttgart, sich für die Musik von Jan Dismas Zelenka eingesetzt. Die späten Messen haben sich insbesondere seiner Aufmerksamkeit erfreut, und in seiner letzten Produktion hat er sich erneut einer Messe zugewandt, aber dann einer viel früher entstandenen. Dazu kommen noch einige Werke aus den Zyklen mit Vespermusik, die Zelenka zwischen 1725 und 1727 zusammengestellt hat.

Die Vokalbesetzung in den Vesperpsalmen und den Magnificatvertonungen ist unterschiedlich. Einige dieser Werke scheinen für Aufführung durch die Kapellknaben der katholischen Kapelle am Dresdner Hof bestimmt gewesen zu sein. Ein Beispiel auf dieser CD ist Laudate pueri Dominum, in dem der Psalmtext von Sopran und Alt gesungen werden, während der Bass die Anfangsworte singt und bis zum Ende wiederholt. Darüber hinaus gab es die Hofkapelle, zu der einige Kastraten gehörten, die in erster Linie für Opernaufführungen angestellt waren, aber deren Qualitäten Zelenka für anspruchsvolle Soli in seiner Vespermusik des ersten Zyklus ausgeschöpft haben mag.

Beatus vir ist in drei Abschnitte aufgeteilt. Der erste umfasst den grössten Teil des Textes und ist für Chor gesetzt, enthält aber auch eine Episode für Tenor und Bass. Die Doxologie eröffnet mit einem Arioso für Sopran, und schliesst mit einer Fuge auf dem Amen. Dieses Werk ist dem zweiten Zyklus entnommen, während das Magnificat in D-Dur zum ersten Zyklus gehört. Später hat Zelenka Partien für Trompeten und Pauken hinzugefügt, damit es für besondere Anlässe geeignet war. Es enthält eine Episode für Sopran und Violine; die Sopranpartie wird zweifellos von einem der Kastraten gesungen worden sein, während die Geige möglicherweise von Johann Georg Pisendel gespielt wurde. Nicht überraschend wird 'Fecit potentiam' vom ganzen Ensemble dargestellt. Das Amen ist eine Doppelfuge. Nicht umsonst wird Zelenka manchmal als der 'katholische Bach' bezeichnet: Kontrapunkt spielt in seinem Oeuvre eine Hauptrolle. Das ist auch in der Messe der Fall.

Die Missa Gratias agimus tibi ist auf den 5. Oktober 1730 datiert. Im April 1730 traf eine Gruppe junger Sänger in Dresden ein. Die männlichen Sänger dieser Gruppe waren die Sopranisten Ventura Rochetti und Giovanni Bindi sowie die Altisten Domenico Annibali und Casimiro Pignotti. Einer ihrer Lehrer, der Altist Antonio Campioli, kam ebenfalls mit. Es besteht kein Zweifel, dass Zelenka sich bei der Komposition dieser Messe von diesen Sängern hat inspirieren lassen, da sie mehrere längere Soloepisoden enthält. Im Gloria, beispielsweise, gibt es eine Folge von Soloepisoden für Alt, Sopran bzw. Tenor/Bass. Wie üblich sind im Credo die Worte über die Fleischwerdung intim gehalten; Zelenka erreicht das durch die Reduktion der Besetzung zu drei Solostimmen: Sopran, Alt und Tenor. Das 'Crucifixus' ist ein Solo für Alt. Selbstverständlich wird die Auferstehung vom ganzen Ensemble dargestellt. Sowohl Sanctus-Benedictus und Agnus Dei sind in drei Abschnitte aufgeteilt: die ersten und letzten sind für Chor und Orchester gesetzt, und dazwischen gibt es Soloabschnitte: der Tenor singt das Benedictus, und das zweite Agnus Dei ist für ein Soloquartett (SSAA) gesetzt.

Diese Produktion stellt einmal mehr die Brillianz und die Eigenartigkeit von Zelenka unter Beweis. Seine Kreativität, nicht nur generell in seiner Komposition für Singstimmen und Instrumente, aber auch in der musikalischen Ausmalung des Textes, ist eindrucksvoll. Die Interpreation ist nahezu ideal. Die Solist(inn)en sind exzellent, und Chor und Orchester bringen ebenfalls ausgezeichnete Leistungen. Es gibt viele Liebhaber der Musik Zelenkas, und das lässt sich gut verstehen. Sie werden sich über diese Produktion freuen.

Jan Dismas Zelenka: Missa Gratias agimus tibi
Hannah Morrison, Franziska Bobe, Sopran; David Allsopp, Philipp Cieslewicz, Altus; Thomas Hobbs, Tenor; Jonathan Sells, Bass; Kammerchor Stuttgart; Barockorchester Stuttgart/Frieder Bernius
Carus 83.515 (© 2024) details

Freitag, 13. Dezember 2024

JS Bach: Jauchzet & lobet - BachWerkVokal


Wie der Name des Ensembles BachWerkVokal zu erkennen gibt, steht Bach im Mittelpunkt seines Wirkens. Die bis dato erschienenen CDs enthalten immer jedenfalls ein Werk des Leipziger Thomaskantors. Die neueste Aufnahme ist ganz seinem Schaffen gewidmet. Der Titel dieser Produktion weist auf einen starken Zusammenhang zwischen den eingespielten Werken hin. Die Kantaten BWV 69a und 137 sind beide für den 12. Sonntag nach Trinitatis bestimmt, und wurden im August 1723 bzw. 1725 zum ersten Mal aufgeführt. In der ersten Kantate, Lobe den Herrn, meine Seele, spielen Blockflöte und Oboe d'amore bzw. Oboe da caccia eine ausgeprägte Rolle mit Obligatstimmen in den beiden Arien, für Tenor bzw. Bass. Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren (BWV 137) ist eine Choralkantate, weicht in der Struktur aber grundsätzlich von den Kantaten im Choralkantatenjahrgang 1724/25 ab. Denn wo in jenen Kantaten nur die erste und die letzte Strophe wörtlich einbezogen werden und die übrigen Strophen zu Rezitativen und Arien umgewandelt werden, werden in dieser Kantate alle Strophen unverändert dargestellt. Es ist eine Kantate per omnes versus; das bekannteste Werk dieser Art ist Christ lag in Todesbanden (BWV 4). Die zweite Strophe ist eine Arie mit Obligatvioline; später hat Bach diese zu einer Choralbearbeitung arrangiert und in seine Schübler-Choräle aufgenommen (als Kommst du nun, Jesu, vom Himmel herunter).

Eine der bekanntesten Kantaten ist Jauchzet Gott in allen Landen. Sie ist ausgesprochen virtuos, sowohl in der Solopartie für Sopran wie in der Obligatstimme für Trompete. Es wird allgemein angenommen, dass der virtuose Trompeter Gottfried Reiche, für den Bach mehrmals anspruchsvolle Partien komponierte, den Trompetenpart gespielt hat. Wer aber die Sopranpartie gesungen hat, ist unbekannt. War es ein besonders brillanter Knabensopran, oder vielleicht ein erwachsener Diskantist, der mit seiner natürlichen Stimme diese Partie bewältigen konnte? Es ist nicht auszuschliessen, dass diese Kantate ausserhalb der Liturgie zur Aufführung gekommen ist, und dann käme durchaus eine Sängerin in Frage. Vielleicht Anna Magdalena? Wir wissen es nicht. Es muss auf jeden Fall eine(n) äusserst begabte(n) Sänger(in) gewesen sein.

Das Lob Gottes ist auch das Thema der Motette Lobet den Herrn, alle Heiden. Es gibt Musikwissenschaftler, die die Authentizität dieses Werkes in Frage stellen. Einige Dirigenten haben deswegen in ihrer Gesamtaufnahme der Motetten dieses Werk ausgelassen. Im Textheft der hier besprochenen CD wird dieses Thema gar nicht diskutiert.

Das letzte Werk dieser Produktion ist ein Pasticcio. Jauchzet dem Herrn, alle Welt (BWV Anh 160) besteht aus Stücken von Telemann und Bach. Der Eröffnungschor soll von Telemann stammen, aber das Original ist unauffindbar. Das ist anders beim abschliessenden dritten Teil, der von Bachs Nachfolger im Amt des Thomaskantors, Johann Gottlieb Harrer, aus einer Kantate von Telemann übernommen wurde. Nur der Mittelteil ist ein authentisches Werk von Bach: 'Sei Lob und Preis mit Ehren' ist eine Bearbeitung des Chorals 'Nun lob mein Seel den Herren' aus der Kantate BWV 28.

Nicht nur das Programm zeigt ein hohes Mass an Konsistenz, das gilt auch für die Interpretation. Es hilft, dass die Solopartien von Mitgliedern des Ensembles gesungen werden. Diese Interpretationen sind eine kollektive Leistung, zu der alle Sänger und Instrumentalisten beitragen. Die Tutti sind makellos und die Solopartien werden hervorragend dargestellt. Die Solistin in Jauchzet Gott in allen Landen muss selbstverständlich genannt werden: Electra Lochhead ist höchst eindrucksvoll in der Art und Weise, wie sie die oft buchstäblich atemberaubende Solopartie darstellt. Schön ist die Differenzierung zwischen 'guten' und 'schlechten' Noten, sogar in den in einem hohen Tempo gesungenen Abschnitten.

Diese CD ist zweifellos eine der besten Bach-Aufnahmen, die ich in den letzten Jahren gehört habe.

Johann Sebastian Bach: "Jauchzet & lobet"
Ensemble BachWerkVokal Salzburg/Gordon Safari
MDG 923 2315-6 (© 2024) details

Donnerstag, 5. Dezember 2024

Kuhnau: Uns ist ein Kind geboren - Peter Gortner


Die geistliche Musik im Deutschland des späten 17. und des frühen 18. Jahrhunderts - grob gesagt: zwischen Schütz und Bach - hat lange Zeit ein Schattendasein geführt. Erst das letzte Buxtehude-Jahr (2007) hat dazu geführt, dass sein ganzes Schaffen in diesem Bereich auf CD festgelegt wurde. Und vor einigen Jahren komplettierte Gregor Meyer die Gesamtaufnahme des Vokalwerks von Johann Kuhnau für CPO. Beide Projekte haben einen positiven Auswirkung gehabt, denn die Kantaten von Buxtehude werden heute regelmässig aufgeführt, und die hier besprochene CD zeugt von einem gewachsenen Interesse am Oeuvre von Kuhnau.

Zwei Kantaten von Kuhnau sind die Hauptwerke dieser Weihnachts-Produktion. Frohlocket, ihr Völker, und jauchzet, ihr Heiden ist wahrscheinlich ein Spätwerk. Die Besetzung ist für vier Singstimmen, vierstimmige Streicher, drei Trompeten und Pauken. Es wird oft behaupet, Kuhnau sei konservativ gewesen und hätte sich negativ über die neueste Mode, Kantaten nach der italienischen Oper zu modellieren, geäussert. Diese Kantate beweist das Gegenteil. Das Werk eröffnet und schliesst mit Chorsätzen; dazwischen stehen zwei Paare Rezitativ und Arie - ganz modern. Der Eröffnungschor hat ein Dacapo und zeigt eine grosse Ähnlichkeit mit den Chorsätzen, die später Bachs Kantaten eröffnen werden. In diesem Sinne gibt es ein Kontinuum zwischen Bach und Kuhnau. Die zweite Arie basiert auf einen Basso ostinato, und trägt die Bezeichnung aria di ciaconna. Sie hat den Charakter eines Schlafliedes.

Uns ist ein Kind geboren ist der Titel der zweiten Kantate, aber in diesem Falle ist die Autorschaft von Kuhnau nicht sicher. Er hat zwar eine Kantate zu diesem Text komponiert, aber der Text dieses Werkes, dessen Musik verlorengegangen ist, weicht teilweise vom Text der hier aufgenommenen Kantate ab. Der Autor dieses Textes ist Erdmann Neumeister, dessen Texte auch Bach benutzen würde. Auch in der Verwendung seiner Texte kommt zum Ausdruck, dass Kuhnau durchaus offenstand für neue Entwicklungen. Diese Kantate wurde mal in den Schmieder-Katalog aufgenommen (als BWV 142), später dann in den Anhang verschoben. Die Besetzung ist für vier Singstimmen, zwei Blockflöten, zwei Oboen, Streicher und Basso continuo. Es gibt drei Arien, eine ohne und zwei mit Dacapo.

Das Programm wird erweitert mit kurzen Stücken aus früherer Zeit, von Michael Praetorius und Johannes Eccard. Darunter sind zwei 'Schlager': Praetorius' Vertonung von Es ist ein Ros entsprungen ist fast so bekannt wie Stille Nacht; leider hat man sich dafür entschlossen, auch eine Strophe zu singen, die erst 1844 von Friedrich Layriz verfasst wurde. In Deutschland ist auch Eccards Lied Übers Gebirg Maria geht ein fester Bestandteil des Weihnachtsrepertoires.

Die Interpretationen sind generell sehr gut gelungen. Die Solisten verdienen Lob, insbesondere Franz Vitzthum und Daniel Schreiber. Der Chor singt schön, aber in diesem Repertoire sind mehr als 30 Sänger zuviel; Gregor Meyer hat die Kantaten von Kuhnau mit einem Ensemble von Solisten aufgenommen, und das scheint mir der Aufführungspraxis in Kuhnaus Zeit zu entsprechen.

Trotzdem, diese CD ist zu begrüssen: jede Aufnahme von Kantaten von Kuhnau ist willkommen, damit sein Oeuvre bekannter wird. Und diese CD ist eine gute Gesellschaft für die Weihnachtszeit.

Kuhnau: "Uns ist ein Kind geboren - Weihnachtskantaten"
Jessica Jans, Sopran; Franz Vitzthum, David Erler, Altus; Daniel Schreiber, Tenor; Florian Hartmann, Bass; Kammerchor der Christuskirche Karlsruhe; L'arpa festante/Peter Gortner
Christophorus CHR 77479 (© 2024) details

Dienstag, 26. November 2024

Corelli ajusté à la flûte traversière - Alter Ego


Wenige Komponisten haben so einen weitreichenden Einfluss auf den Verlauf der Musikgeschichte ausgeübt als Arcangelo Corelli. Mit seinen Triosonaten, Concerti grossi und Solosonaten setzte er Massstäbe: Komponisten seiner Generation und nachfolgender Generationen beeiferten sich, Musik nach seinem Vorbild zu komponieren. Triosonaten wurden die bevorzugte Gattung, mit der Komponisten sich der Öffentlichkeit präsentierten.

Insbesondere die zwölf Sonaten für Violine und Basso continuo Op. 5 sorgten für viel Aufregung. Sie wurden in kürzester Zeit nachgedruckt, und es erschienen Bearbeitungen für verschiedene Besetzungen. Zwei solcher Bearbeitungen sind besonders bekannt geworden: eine Ausgabe für die Blockflöte, die John Walsh in London produzierte, und eine von Roger in Amsterdam, die die Sonaten zwar in der originellen Besetzung bietet, aber dann mit hinzugefügten Ornamenten in den langsamen Sätzen.

Viel weniger bekannt ist eine Bearbeitung, die in den späten 1730er Jahren in Paris erschien. Sie enthält die ersten sechs Sonaten in einer Bearbeitung für die Traversflöte. Der unbekannte Bearbeiter hat sich zweifellos von der schnell wachsenden Beliebtheit der Traversflöte leiten lassen. Vor allem in Frankreich hatte sie unter Laien die Blockflöte verdrängt. Die Veröffentlichung dieser Sonaten zeugt auch von der wachsenden Popularität des italienischen Stils.

Selbstverständlich musste der Bearbeiter sich einiges einfallen lassen, um die Sonaten für die Traversflöte spielbar zu machen. Zwei Sonaten wurden transponiert, um ihrem Charakter gerecht zu werden und unspielbare Noten zu vermeiden. In Passagen mit Doppelgriffen hat der Bearbeiter entweder sich für die höchste Note entschieden oder er lässt die Flöte zwischen Ober- und Unterstimme wandern. Hier und da haben sich die Interpretinnen der hier zu rezensierenden Aufnahme eine andere Lösung gewählt, die sie überzeugender fanden. Was die Ornamente anbetrifft, im Gegensatz zu der Amsterdamer Ausgabe, sind in dieser Edition auch die schnellen Sätze mit Verzierungen versehen, allerdings etwas weniger als die langsamen. Sie tragem auch die Merkmale des französischen Stils. Deswegen kann man sagen, dass hier Corellis Sonaten durch eine französische Brille gesehen werden.

Eleonora Bišćević (Traversflöte) und Arianna Radaelli (Cembalo) haben hier eine höchst interessante und musikalisch fesselnde Aufnahme vorgelegt. Die Flötistin produziert einen schönen Ton, spielt die langsamen Sätze mit viel Gefühl und einer feinen dynamischen Schattierung. Die schnellen Sätze werden lebendig und energisch dargestellt. Die Cembalistin ist nicht nur eine harmonische Stütze, sondern auch eine rhythmisch treibende Kraft.

Jeder Liebhaber von Barockmusik wird sich freuen über Corelli à la française.

"Corelli ajusté à la flûte traversière"
Alter Ego
Da Vinci Classics C00952 (© 2024) details

Steffani: Vesperpsalmen & Stabat mater - Florian Lohmann

Es gibt Komponisten, die sich wegen eines Werkes oder wegen ihrer Beiträge zu einer Gattung einen Namen gemacht haben. Dazu gehört auch Ag...