Montag, 26. Februar 2024

Cavalieri: Lamentationes - Profeti della Quinta



Der Name Emilio de' Cavalieri ist untrennbar mit einem Werk verbunden, der Rappresentatione di Anima e di Corpo, einer Moralität, die im Jahr 1600 uraufgeführt wurde und manchmal als die erste Oper der Geschichte betrachtet wird. Es war ein Werk von bahnbrechender Bedeutung, insbesondere wegen seiner Besetzung für Solostimmen und Basso continuo. Die Dialoge haben die Form von Rezitativen, die nach dem Prinzip des recitar cantando, dem Sprachgesang, dargestellt werden sollen. Auf diese Weise konnte der Text optimal dem Publikum vermittelt werden. In gewisser Weise ist die Musik zur Karwoche, die Gegenstand der vorliegenden CD ist, sogar noch zukunftsweisender. Die Zeit der Komposition ist nicht bekannt, aber auch wenn sie ungefähr zur gleichen Zeit entstand wie die Rappresentatione, war sie stilistisch höchst bemerkenswert, da die Klagelieder des Jeremia und die Tenebrae-Responsorien traditionell im stile antico vertont wurden, wie von Cavalieris Zeitgenossen Carlo Gesualdo und Tomás Luis de Victoria. Das macht es umso bemerkenswerter, dass die letzten Aufnahmen seiner Lamentationes schon mehr als zwanzig Jahre alt sind. 2001 veröffentlichte Alpha eine Aufnahme von Le Poème Harmonique, und 2002 erschien eine Aufnahme des Gesualdo Consort Amsterdam. Eine Neuaufnahme ist daher höchst willkommen, zumal sie auf einer Neuausgabe basiert, die der Leiter von Profeti della Quinta, Elam Rotem, erstellt hat. Sie ist kostenlos in der Petrucci Music Library erhältlich.

Wie oben erwähnt, ist das Entstehungsdatum der Klagelieder und Responsorien nicht bekannt. Da Cavalieri 1602 verstarb, sind sie wohl um 1600 oder sogar früher entstanden. Damit sind sie sehr modern und zukunftsweisend. In der Einleitung zur seiner Notenausgabe weist Rotem darauf hin, dass die Lamentationes Merkmale enthalten, die den Ideen, die Cavalieri im Vorwort zu seiner Rappresentatione zum Ausdruck brachte, entsprechen. Er legt grossen Wert auf Vielfältigkeit, in Affekten, Tonalität und Formeln, und in der Abwechslung solistischer Stellen. Die Lamentationes sind die ersten geistlichen Monodien der Geschichte, komponiert in einem deklamatorischen Stil, und mit Begleitung eines Basso continuo. Die Responsorien, die in Abwechslung mit den Lamentationes gesungen wurden, weichen stilistisch einigermassen von diesen ab, vor allem in dieser Hinsicht, dass sie Verzierungszeichen enthalten, die in den Lamentationes fehlen. Sie enthalten auch weniger solistische Stellen. Das könnte darauf hindeuten, dass sie nicht gleichzeitig entstanden sind. Beweisen lässt es sich aber nicht.

Diese Werke sind nicht nur zukunftsweisend, sie zeigen auch Ähnlichkeit mit den Madrigalen, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts von Komponisten wie De Rore, Luzzaschi und Gesualdo veröffentlicht wurden, insbesondere in der Verwendung von Madrigalismen - das sind musikalische Figuren zur Ausmalung einzelner Wörter oder Phrasen - und der Anwendung harmonischer Mittel - bespielsweise Chromatik - im Interesse des Ausdrucks.

Keine Frage: wir haben es hier mit Meisterwerken zu tun, die viel besser bekannt, und häufiger aufgeführt werden sollten. Die Neuausgabe von Elam Rotem bietet alle Möglichkeiten dazu. Sein Vorwort enthält viele Informationen zum Werk und zur Interpretation. Mit seinem Ensemble hat er eine eindrucksvolle Interpretation vorgelegt. Selten hört man solch tief schürfende Darbietungen, die nicht nur stilistisch voll überzeugen, sondern auch den Idealen des Komponisten voll und ganz gerecht werden. Sie hinterlassen einen bleibenden Eindruck und sind eine wesentliche Ergänzung der Diskographie der Musik zur Fasten- und Passionszeit.

De' Cavalieri: Lamentationes
Profeti della Quinta/Elam Rotem
Pan Classics PC 10451 (© 2023) details

Mittwoch, 14. Februar 2024

Aretino: Sabbato Sancto - Odhecaton

Diese CD-Besprechung erscheint am Aschermittwoch. Es ist der erste Tag der Fastenzeit: die vierzig Tage vor Ostern. Es ist die Zeit, in der traditionell in christlichen Kirchen Busspsalmen, die Klagelieder Jeremias (Lamentationes Jeremiae) und die Responsorien für die Karwoche (Tenebrae Responsoria) gesungen werden. Im Laufe der Zeit haben sich viele Komponisten mit den jeweiligen Texten auseinandergesetzt. Was die Renaissance anbetrifft, gehören die Busspsalmen von Orlandus Lassus, die Lamentationes von Thomas Tallis und die Responsorien von Tomás Luis de Victoria und Carlo Gesualdo zu den bekanntesten und am meisten dargebotenen Vertonungen. Daher ist es schön, dass dann und wann auch mal etwas anderes auf CD erscheint, wie die Lamentationen und Responsorien von Paolo Aretino (1508-1584), einem Geistlichen und Komponisten, der sein ganzes Leben in Arezzo verbracht hat. Arezzo liegt etwa 70 Kilometern südöstlich von Florenz, und mit Komponisten, die dort wirkten, hat er in Kontakt gestanden, insbesondere Francesco Corteccia.

Aretinos Oeuvre ist nicht sehr gross. Es enthält Responsorien, Lamentationen, Magnificatvertonungen, sowie eine Johannes-Passion. Dazu kommen noch zwei Sammlungen mit Madrigalen. Das Ensemble Odhecaton hat Lamentationen aus einer 1563 gedruckten Sammlung aufgenommen, und dazu die Responsorien aus einer Druckausgabe des Jahres 1544. Daraus geht schon hervor, dass es sich nicht um ein geschlossenes Werk handelt. Man hat für diese Aufnahme die jeweiligen Stücke nach der liturgischen Ordnung zusammengefügt. Bis ins 16. Jahrhundert wurden solche Werke einstimmig dargeboten. Die ersten mehrstimmigen Vertonungen der Klagelieder Jeremias erschienen 1506 bei Ottaviano Petrucci in Venedig. Aretinos Sammlung von 1544 ist die - soviel wir wissen - erste gedruckte Sammlung von mehrstimmigen Responsorien.

Ein Merkmal dieser Werke ist, dass sie grösstenteils homorhythmisch sind und in Doppelganze- und Ganze-Noten notiert sind, und immer im Zweitakt. Daraus geht ein ziemlich langsames Tempo hervor, das nur dann und wann variiert wird, wenn der Text dazu Anlass gibt. Wir sind hier noch ziemlich weit vom Ausdruck eines Gesualdo entfernt, aber hier und da gibt es Stellen, wo Aretino den Text musikalisch ausmalt. In einem Responsorium, beispielsweise, singt nur eine Stimme die Worte "sine adiutorio" - ohne Hilfe. Das abschliessende Benedictus - der Lobgesang des Zacharias - hat einen etwas leichteren Ton, was sich aus dem hoffnungsvollen Text erklärt. Aretino hat es wohl deswegen in einer höheren Tessitur notiert als die Lamentationes und Responsorien. Leider wird der Effekt hier zunichte gemacht, indem die Partien nach unten transponiert sind.

Das ist nur ein kleiner Kritikpunkt zu einer sehr interessanten und wichtigen Einspielung von Stücken, die zwar im Bereich des Ausdrucks nicht mit den vergleichbaren Werken von Gesualdo oder Victoria mithalten können, aber auf ganz eigene Weise durchaus bewegend sind, vor allem auch wegen des langsamen Tempos und der generell tiefen Lage. Das ist auch dem Ensemble Odhecaton zu verdanken: es wird vorzüglich gesungen, die Balance zwischen den Stimmgruppen ist perfekt und die Durchsichtigkeit des Klangbildes sorgt für eine gute Textverständlichkeit.

Aretino: "Sabbato Sancto - Lamentationes et Responsoria"
Odhecaton/Paolo Da Col
Arcana A551 (© 2023) details

Das Cembalo in Paris im 18. Jahrhundert

Im 17. Jahrhundert war die Laute das am meisten geschätzte Instrument in Frankreich. Das änderte sich gegen Ende des Jahrhunderts, als das...