Diese CD-Besprechung erscheint am Aschermittwoch. Es ist der erste Tag der Fastenzeit: die vierzig Tage vor Ostern. Es ist die Zeit, in der traditionell in christlichen Kirchen Busspsalmen, die Klagelieder Jeremias (Lamentationes Jeremiae) und die Responsorien für die Karwoche (Tenebrae Responsoria) gesungen werden. Im Laufe der Zeit haben sich viele Komponisten mit den jeweiligen Texten auseinandergesetzt. Was die Renaissance anbetrifft, gehören die Busspsalmen von Orlandus Lassus, die Lamentationes von Thomas Tallis und die Responsorien von Tomás Luis de Victoria und Carlo Gesualdo zu den bekanntesten und am meisten dargebotenen Vertonungen. Daher ist es schön, dass dann und wann auch mal etwas anderes auf CD erscheint, wie die Lamentationen und Responsorien von Paolo Aretino (1508-1584), einem Geistlichen und Komponisten, der sein ganzes Leben in Arezzo verbracht hat. Arezzo liegt etwa 70 Kilometern südöstlich von Florenz, und mit Komponisten, die dort wirkten, hat er in Kontakt gestanden, insbesondere Francesco Corteccia.
Aretinos Oeuvre ist nicht sehr gross. Es enthält Responsorien, Lamentationen, Magnificatvertonungen, sowie eine Johannes-Passion. Dazu kommen noch zwei Sammlungen mit Madrigalen. Das Ensemble Odhecaton hat Lamentationen aus einer 1563 gedruckten Sammlung aufgenommen, und dazu die Responsorien aus einer Druckausgabe des Jahres 1544. Daraus geht schon hervor, dass es sich nicht um ein geschlossenes Werk handelt. Man hat für diese Aufnahme die jeweiligen Stücke nach der liturgischen Ordnung zusammengefügt. Bis ins 16. Jahrhundert wurden solche Werke einstimmig dargeboten. Die ersten mehrstimmigen Vertonungen der Klagelieder Jeremias erschienen 1506 bei Ottaviano Petrucci in Venedig. Aretinos Sammlung von 1544 ist die - soviel wir wissen - erste gedruckte Sammlung von mehrstimmigen Responsorien.
Ein Merkmal dieser Werke ist, dass sie grösstenteils homorhythmisch sind und in Doppelganze- und Ganze-Noten notiert sind, und immer im Zweitakt. Daraus geht ein ziemlich langsames Tempo hervor, das nur dann und wann variiert wird, wenn der Text dazu Anlass gibt. Wir sind hier noch ziemlich weit vom Ausdruck eines Gesualdo entfernt, aber hier und da gibt es Stellen, wo Aretino den Text musikalisch ausmalt. In einem Responsorium, beispielsweise, singt nur eine Stimme die Worte "sine adiutorio" - ohne Hilfe. Das abschliessende Benedictus - der Lobgesang des Zacharias - hat einen etwas leichteren Ton, was sich aus dem hoffnungsvollen Text erklärt. Aretino hat es wohl deswegen in einer höheren Tessitur notiert als die Lamentationes und Responsorien. Leider wird der Effekt hier zunichte gemacht, indem die Partien nach unten transponiert sind.
Das ist nur ein kleiner Kritikpunkt zu einer sehr interessanten und wichtigen Einspielung von Stücken, die zwar im Bereich des Ausdrucks nicht mit den vergleichbaren Werken von Gesualdo oder Victoria mithalten können, aber auf ganz eigene Weise durchaus bewegend sind, vor allem auch wegen des langsamen Tempos und der generell tiefen Lage. Das ist auch dem Ensemble Odhecaton zu verdanken: es wird vorzüglich gesungen, die Balance zwischen den Stimmgruppen ist perfekt und die Durchsichtigkeit des Klangbildes sorgt für eine gute Textverständlichkeit.
Aretino: "Sabbato Sancto - Lamentationes et Responsoria"
Odhecaton/Paolo Da Col
Arcana A551 (© 2023) details
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