Mittwoch, 25. Juni 2025
Wie der Hirsch schreiet - Dominik Wörner, Kirchheimer Dübenconsort
Es ist erstaunlich, wieviel Musik im Deutschland des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts komponiert wurde. Dabei soll bedacht werden, dass ein substantieller Teil verlorengegangen ist. Aber auch von dem, was erhalten geblieben ist, kennen wir nur die Spitze des Eisbergs. Es lässt sich aus der politischen Struktur Deutschlands, mit seinen vielen Höfen, sowie aus der wichtigen Rolle von Musik im alltäglichen Leben erklären. Es ist daher nicht schwer, eine Aufnahme auf den Markt zu bringen mit Stücken, die noch nie auf CD erschienen sind. Und genau das ist der Fall mit der Produktion, die es jetzt zu rezensieren gibt.
Diese CD des Kirchheimer Dübenconsorts dokumentiert die stilistischen Entwicklungen im Verlaufe des Jahrhunderts. Dazu gehört der wachsende Einfluss des italienischen Stils. Dieser wurde nicht von allen begrüsst. Der kursächsische Oberhofprediger Martin Geyer sprach klare Worte in der Leichenpredigt bei der Beerdigung von Heinrich Schütz: die neue Musik sei "ausschweiffig, gebrochen, täntzerlich, und gar im wenigsten andächtig; mehr reimt sie sich zum theatro und tantzplatz, als zur Kirche". Es ist sehr wahrscheinlich, dass er damit die Auffassung von Schütz selbst wiedergegeben hat. Es ist schon ironisch, dass es dessen Lieblingsschüler Christoph Bernhard war, der einen der Protagonisten dieses Stils, Marco Gioseppe Peranda, von seinem Studienverbleib in Rom nach Dresden mitnahm. Peranda selbst, der nach dem Tod von Schütz dessen Amt übernahm, ist im Programm nicht vertreten, dafür aber andere, die den neuen Stil pflegten.
Das Programm dokumentiert nicht nur den Einfluss des italienischen Stils, sondern auch die Merkmale der deutschen Tradition, die Komponisten mit dem neuen Stil zu vermischen suchten. Das trifft zum einen auf die Textbehandlung zu. Schütz war ein Meister der Textdeutung, und sein Einfluss auf Komponisten seiner sowie jüngerer Generationen war gross. Ein Beispiel ist Johann Rosenmüller, dessen frühe Werke den Stil des Dresdner Hofkapellmeisters widerspiegeln. Eine Motette von Bonifazio Graziani ist ein Beispiel des modernen Stils; dieses Werk könnte Bernhard im Gepäck gehabt haben, als er nach Dresden zurückkehrte.
Diejenigen, die sich in der deutschen Musik des 17. Jahrhunderts auskennen, werden die meisten Komponisten von Namen her kennen, aber Musik von solchen wie Wolfgang Carl Briegel, Julius Johann Weiland oder Caro Bütner hört man nicht alle Tage. Und auch sie mögen die Namen von Johann Caspar Horn, Christian Andreas Schulze und Moritz Edelmann noch nie gehört haben. Dass Unbekanntheit nichts mit der Qualität der Musik zu tun hat, zeigt diese CD eindrucksvoll. Es sind alles sehr gut komponierte Werke, und jedes Stück hat etwas Besonderes und Eigenartiges zu bieten. Ein Beispiel ist Heut triumphieret Gottes Sohn von Caro Bütner: ein Stück für Ostern, in dem er zwar den Text des Kirchenliedes verwendet, aber ihn als Ganzes behandelt und die bekannte Melodie ignoriert.
Anderes Beispiel: Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser von Christian Andreas Schulze, der genau das Umgekehrte macht. Er teilt den Psalmtext auf in Abschnitte wie Strophen; dazwischen spielen die Instrumente Ritornelli und stimmt die erste Geige das Lied Wo soll ich fliehen hin an. Dieses Stück ist eines von drei über Verse aus dem 42. Psalm, der dieser CD ihren Titel verleiht. Das Programm fängt mit einer Vertonung des lateinischen Textes aus der Feder des Thomaskantors Sebastian Knüpfer an.
Ein anderes Merkmal der deutschen Tradition, die Komponisten beibehielten, ist der Kontrapunkt. Sie bevorzugten eine polyphone Streicherbegleitung, mit zwei Violinen, zwei oder mehr Bratschen oder - wie in dieser Einspielung - Gamben und Basso continuo, dann und wann erweitert von einer Violone oder einem Fagott. Diese Besetzungen trifft man auch in den Instrumentalwerken an, neben der in Deutschland ebenfalls beliebte Kombination von Violine und Viola da gamba.
Dieses hochinteressante und musikalisch fesselnde Programm wird vom Kirchheimer Dübenconsort und dem Bass Dominik Wörner auf ideale Weise dargestellt. Wörners Vortrag besticht, wie immer, durch eine ganz präzise Artikulation und makellose Diktion, die dafür sorgt, dass der Text - in diesem Repertoire immer der Kern - optimal verständlich ist. Dabei verfügt er über die dynamischen Möglichkeiten, um klare Akzente zu setzen. Das Ensemble bewegt sich auf gleicher Höhe, und auch im Spiel steht der Text im Mittelpunkt. Das Zusammenspiel ist perfekt, wie auch die Balance zwischen Stimme und Instrumenten.
Kurzum, mit dieser Produktion werden neue Masstäbe gesetzt.
"Wie der Hirsch schreiet - Sacred concerti of the 17th century"
Dominik Wörner, Bass; Kirchheimer Dübenconsort/Jörg-Andreas Bötticher
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