Mittwoch, 29. November 2023

Philarmonica - Le Consort

Als sich der Barock auf dem Kontinent schon längst etabliert hatte, wurde die Musikszene in England noch vom 'alten Stil' beherrscht. Das änderte sich mit der Restauration der Monarchie. Als Karl II. den Thron bestieg, strebte er eine Reform des Musiklebens am Hofe an. Statt der traditionellen 'fancies' möchte er die neueste Musik hören, die er kennengelernt hat während seines Exils in Paris. Das hatte einen grossen Einfluss auf das musikalische Klima. Zunächst hielt der französische Stil seinen Einzug, dann der italienische. Ein Vertreter des letzteren war Nicola Matteis; der gebürtige Italiener erstaunte sein Publikum mit seinem Spiel auf der Geige. So etwas hatte man noch nie gehört. Allerdings fiel es ihm nicht leicht, sich mit den Gewohnheiten und Vorzügen der englischen Musikliebhaber anzufreunden. Allmählich machte er, was bei ihnen gut ankam. In den gedruckten Ausgaben seiner Werke markierte er Doppelgriffe und andere Schwierigkeiten, so dass jene, die damit Probleme hatten, sie weglassen konnten. Ausserdem bot er die Möglichkeit, seine Stücke auf der Blockflöte zu spielen. Das war, vor allem unter Laien, ein sehr beliebtes Instrument. Schliesslich veröffentlichte er auch mehrstimmige Fassungen seiner Werke, und damit zollte er der Tradition des Consortspiels Tribut. Eben in dieser Form hat das französische Ensemble Le Consort einige seiner Werke eingespielt.

Das Ensemble hat ein Programm zusammengestellt, das englische Musik enthält, die in den Jahrzehnten um 1700 komponiert wurde. Die zweite Hauptfigur ist eine gewisse Mrs Philarmonica, von der wir überhaupt nichts wissen. Es ist zweifellos ein Pseudonym, aber wer sich dahinter verbirgt, ist ein Rätsel. Um 1715 veröffentlichte sie eine Sammlung von zwölf Sonaten in zwei Abschnitte. Sie zeigen einen starken Einfluss des italienischen Stils und bezeugen, wie England einer wahren Corellimanie zum Opfer gefallen war. Le Consort spielt aus beiden Abschnitten je zwei Sonaten. Es ist unverständlich, dass diese Stücke bis dato kaum Beachtung gefunden haben. Ich habe in meiner Sammlung eine CD des Ensembles Spirit of Musicke (Spimus Records, 2020), die Werken von Komponistinnen des 17. und 18 Jahrhunderts gewidmet ist, und darauf stehen auch die sechs Sonaten des zweiten Abschnitts dieser Sammlung. Ansonsten bin ich dieser Name noch nie begegnet. Diese Sonaten sind für zwei Violinen und Basso continuo komponiert. Spirit of Musicke spielt sie auf Blockflöte und Violine. Dagegen ist historisch nicht viel einzuwenden, vor allem wegen der schon erwähnten Beliebtheit der Blockflöte. Musikalisch finde ich die Besetzung mit zwei Geigen, wie in der Aufnahme von Le Consort, befriedigender, vor allem wegen der begrenzten dynamischen Möglichkeiten der Blockflöte. Im Programm von Le Consort ist auch Henry Purcell vertreten; in seiner Instrumentalmusik ist der italienische Einfluss besonders ausgeprägt.

Le Consort hat sich in den letzten Jahren als ein hochkarätiges Ensemble erwiesen, und auch die hier besprochene CD zeugt von den grossen Qualitäten des Ensembles. Dass Matteis' Musik hier in einer Form gespielt wird, die man selten hört, und eine Komponistin vorgestellt wird, die nur die wenigsten kennen werden, ist ein zusätzliches Argument, sich diese CD zu ergattern.

"Mrs Philarmonica"
Le Consort
Alpha 1101 (© 2023) details

Donnerstag, 23. November 2023

Godecharle: Harfenquartette - Société Lunaire

Die hier zu rezensierende CD zeugt vom wachsenden Interesse an der Musik, die im 18. Jahrhundert in den österreichischen Niederlanden - heute als Belgien bekannt - komponiert wurde. In den letzten Jahren sind verschiedene Aufnahmen mit solchem Repertoire erschienen. Diese Region konnte auf eine glänzende Vergangenheit zurückblicken. Die meisten Komponisten der franco-flämischen Schule der Hochrenaissance waren in dieser Region geboren, damals unter der Herrschaft der Habsburger. Das 17. Jahrhundert war eine Zeit des Verfalls, aber als mit dem Frieden von Utrecht (1713) die Region unter österreichische Herrschaft kam, setzte ein Wirtschaftswachstum ein, dass sich auch positiv auf das kulturelle Leben, und damit den Musikbetrieb, auswirkte. Unter den Komponisten, die im 18. Jahrhundert dort aktiv waren, zählen solche wie Henri-Jacques De Croes, Pierre Van Maldere und die Mitglieder der Familien Loeillet und Fiocco. Ein fast unbekannt gebliebener Komponist ist Eugène Godecharle (1742-1798), der als Geiger ausgebildet wurde und Mitglied der Kapelle des Karl von Lothringen wurde. Ausserdem wirkte er als Kapellmeister in einer Kirche. In den letzten vier Jahren seines Lebens war er als Konzertmeister in der königlichen Kapelle angestellt.

Sein Oeuvre is relativ bescheiden von Umfang und enthält ausschliesslich Instrumentalmusik, von Solosonaten bis Sinfonien. Die Société Lunaire hat eine CD herausgebracht mit dem vollständigen Opus 4: sechs Quartette für Harfe, Violine, Viola und Violoncello. Die Harfe erfreute sich grosser Beliebtheit in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Paris war ein Zentrum des Harfenspiels - eine der berühmtesten Spielerinnen des Instruments war die königin Marie Antoinette - und es wurde auch viel Musik für die Harfe komponiert. Auch Godecharle spielte die Harfe. Allerdings war das Instrument unter Laien nicht weit verbreitet, da es ziemlich teuer war, und das erklärt, warum Godecharle das Cembalo als Alternative vorschlägt.

Alle sechs Quartette bestehen aus drei Sätzen. Die zweiten Sätze sind entweder ein Rondo oder ein Menuett. Zwei Quartette sind besonders erwähnenswert. Der zweite Satz des dritten Quartetts enthält eine ausgeschriebene Kadenz für die Harfe und die Violine - eine der ganz wenigen im 18. Jahrhundert, schreibt der Harfenist des Ensembles, Maximilian Ehrhardt, im Textheft. Das sechste Quartett hat eine Allemande als letzter Satz - eine typisch barocke Tanz, die in der Klassik nur selten in Musikwerken zu finden ist. In diesen Quartetten spielen die Harfe und die Violine die Hauptrollen, obwohl Viola und Violoncello mehr sind als nur Begleitung.

Diese Quartette sind gut komponierte Werke, und stellen wichtige Bereicherungen des Repertoires für die Harfe dar. Über das Ensemble konnte ich keine Informationen finden, aber ich nehme an, dass es sich hier um seine erste CD-Aufnahme handelt. Es ist eine schöne Aufführung, die sich hören lassen kann. Die vier Mitglieder des Ensembles machen alles richtig. Ehrhardt spielt eine Kopie einer Harfe von Renault & Chatelain aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Peter Bárczi ist der exzellente Geiger, und Viola und Cello werden von Nadine Henrichs und Jule Hinrichsen gespielt. Nicht nur Harfenfreunde werden sich über diese Produktion freuen.

Eugène Godecharle: Sei Quartetti per Harpa, Violino, Viola e Basso Op. IV
Société Lunaire
Ramée RAM 2207 (© 2023) details

Dienstag, 7. November 2023

Charpentier: Te Deum - Valentin Tournet



Der Text des Te Deum ist im Verlaufe der Geschichte häufig vertont worden. Das Werk wurde meistens aufgeführt, wenn es etwas zu feiern gab, beispielsweise einen Sieg im Krieg oder ein Friedensabkommen. Das wohl berühmteste Te Deum stammt von Marc-Antoine Charpentier: die Prélude wird überall in der Welt oft gespielt, und es gibt viele Aufnahmen des gesamten Werkes. Brauchen wir noch eine Aufnahme? Vielleicht nicht unbedingt, wie gut die Neueinspielung von Valentin Tournet auch sein mag. Eine Besonderheit ist, dass hier das Werk eingeleitet wird von vier Stücken für Bläser und Pauken von Jacques Danican Philidor, was die Verbindung zwischen dem Werk und dem Sieg Frankreichs im Schlacht zu Steinkerque - wahrscheinlich der Anlass zur Komposition dieses Te Deum - unterstreicht. Das letzte Stück ist ein Solo für die Pauken, und darauf folgt die Prélude aus dem Te Deum attacca.

Wichtiger in Sachen Repertoire sind die beiden weiteren Werken in dieser Produktion. Das gilt insbesondere für De profundis, eine Vertonung des Psalms 129 (130), eines der sieben Busspsalmen. Dieser Psalm war aber auch Teil des Totenoffiziums, und deswegen werden am Ende des Psalms die Eröffnungsworte des Requiems gesungen. Charpentiers Vertonung ist für acht bis neun Stimmen, Streicher und zwei Flöten gesetzt. Nach einer instrumentalen Einleitung erklingt der erste Vers, der nach einem weiteren instrumentalen Abschnitt wiederholt wird, dann aber in einer erweiterten Besetzung, was die Dringlichkeit des Gebets unterstreicht. Es ist eines der Merkmale dieses eindringlichen und ausdrucksstarken Werkes, das viel bekannter sein sollte als es ist. Es ist ein Meisterwerk, wie so viele Kompositionen Charpentiers.

Das dritte Werk ist ein Magnificat, und auch dabei handelt es sich um einen oft vertonten Text, da dieser Lobgesang der Maria Teil der Vesperliturgie ist. Kein Wunder, dass es im Oeuvre von Charpentier zehn verschiedene Vertonungen gibt. Die hier aufgeführte heisst Troisième Magnificat à 4 voix avec instruments und stammt aus den frühen 1690er Jahren. Der Chor nimmt hier den wichtigsten Platz ein; die Solisten spielen eine untergeordnete Rolle.

Obwohl die Solisten nicht ganz frei von einem unerwünschten (leichten) Vibrato sind, ist der Eindruck dieser Einspielung überwiegend positiv. Das gilt insbesondere für das De profundis und das Magnificat. Es ist heutzutage Mode, Charpentiers Te Deum im Eiltempo darzustellen. Der Rekordhalter scheint mir Hervé Niquet zu sein (Glossa, 2001), aber Tournet hat ihn auf den Fersen. Ich weiss nicht, ob Charpentier das beabsichtigt hat. Es ist aufregend, aber ich bevorzuge ein etwas gemässigteres Tempo.

Wie dem auch sei, jeder Liebhaber der Musik von Charpentier sollte sich diese CD ergattern, schon wegen der beiden weniger bekannten Werke, die hier zu hören sind.

Marc-Antoine Charpentier (1643-1704): Te Deum
Gwendoline Blondeel, Cécile Achille, dessus; David Tricou, haute-contre; Mathias Vidal, taille; Geoffroy Buffière, basse-taille; La Chapelle Harmonique/Valentin Tournet
Château de Versailles Spectacles CVS098 (© 2023) details

Das Cembalo in Paris im 18. Jahrhundert

Im 17. Jahrhundert war die Laute das am meisten geschätzte Instrument in Frankreich. Das änderte sich gegen Ende des Jahrhunderts, als das...