Montag, 8. Juli 2024

Tartini: Violinsonaten ohne Begleitung - Lavinia Soncini



Giuseppe Tartini war einer der grössten Geiger seiner Zeit. Man könnte ihn als Nachfolger von Antonio Vivaldi betrachten. Allerdings waren sie grundverschieden. Tartini war ein Vertreter eines neuen Stils, der auf Natürlichkeit setzte und Virtuosität als ein Ziel an sich ablehnte. Tartini liess sich beim Komponieren von Poesie leiten. Ein Kommentator schreibt: "Sein Ziel war es, im Violinspiel den perfekten, natürlichen Klang der singenden menschlichen Stimme wiederzuentdecken. Es war eine ethische Position."

Tartini ist vor allem wegen seiner Violinkonzerte bekannt, und natürlich wegen der sogenannten 'Teufelstriller-Sonate', die schon im 19. Jahrhundert von grossen Geigern auf Konzerten gespielt wurde, selbstverständlich mit Klavierbegleitung. Tartini komponierte aber auch Sonaten für Violine ohne Begleitung, die in Handschrift überliefert sind unter dem Titel 26 Piccole Sonate, und die er für den eigenen Gebrauch komponierte. Er fügte aus Gewohnheit eine Bassstimme hinzu, bevorzugte aber eine Aufführung ohne Begleitung. In diesen Stücken kommt man den Geist und die Seele des Komponisten am Nächsten.

Eine Besonderheit ist, dass drei Sonaten der hier rezensierten Einspielung einen kurzen Satz enthalten, der mit aria del Tasso bezeichnet ist. Das bezieht sich auf eine Melodie, die venezianische Gondolieri zu den achtzeiligen Strophen von Torquato Tassos Gerusalemme liberata sangen. Tasso war einer der Dichter, die Tartini bewunderte, aber die Einbeziehung eines Gondoliere-Liedes sagt viel über seine Ansichten zur Natürlichkeit aus. Wie ein Autor schrieb: "Für Tartini, der der sogenannten musica naturalis der alten Griechen und der 'Musik der Nationen' folgte, ist der Begriff popolare gleichbedeutend mit 'einfach', und 'Einfachheit' ist das Hauptmerkmal der Natur. In seinen Schriften erscheint der Begriff der Natur häufig im Gegensatz zu artificioso, d. h. künstlich und unspontan." Aus dieser Perspektive kommen Tartinis Ansichten zur Natürlichkeit, die in seinem musikalischen Denken eine zentrale Rolle spielen, in diesen Sonaten perfekt zum Tragen.

In der Sonata XII gibt es dann noch einen Satz mit dem Titel Canzone veneziane. In der Sonata XVII ist der vierte Satz ein furlana (Forlana), "ein lebhafter norditalienischer Volkstanz, der besonders mit Venedig in Verbindung gebracht wird (...). Es handelte sich um einen energischen Balztanz aus der italienischen Provinz Friaul, einer slawischen Region unter der Kontrolle der Republik Venedig, und könnte daher seine Wurzeln in slawischen Tänzen haben" (New Grove). Dass Tartini eben diesen Tanz in seine Sonate einbezieht, könnte durchaus daraus zu erklären sein, dass er in Istrien geboren wurde, das heute zu Slowenien gehört.

Auch ohne diese Hintergründe lassen sich diese Sonaten genießen. Sie sind oft virtuos; Tartini verwendet häufig Doppelgriffe, wechselt schnell vom tiefen zum hohen Register und schreibt viele brillante Läufe. Es ist großartige Musik, sowohl technisch als auch im Bereich des Ausdrucks. Der Interpret ist auf sich allein gestellt und muss diese Sonaten gründlich analysieren, um ihnen gerecht zu werden. Das hat Lavinia Soncini offensichtlich gemacht. Technisch sind ihre Darbietungen beeindruckend, aber was diese Aufnahme besonders bewundernswert macht, ist die Ausdruckskraft ihrer Interpretation. Dies ist zweifellos eine der besten Aufnahmen barocker Violinmusik, die in letzter Zeit erschienen sind

Tartini: "Lieto ti prendo e poi"
Lavinia Soncini, Violine
Da Vinci Classics C00884 (© 2024) details

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