Donnerstag, 27. November 2025

Beobachtungen zu Venedig - ensemble feuervogel


Jahrhundertelang hat Venedig auf Menschen aus aller Welt eine grosse Anziehungskraft ausgeübt. Die Gründe waren und sind unterschiedlich: Geschichte, Architektur, bildende Künste, Musik. Im Barock war Venedig eine der unvermeidlichen Stationen auf der 'Grand tour' junger Aristokraten. In Vivaldis Zeit bewunderten Besucher die Aufführungen der Mädchen in den Ospedali. In Monteverdis Zeit war es in erster Linie die Musik, die im Markusdom zu hören war, die Besucher ins Staunen versetzte.

Einer dieser Besucher war der englische Schriftsteller Thomas Coryat (um 1577-1617). Im Jahre 1611 veröffentlichte er einen Reisebericht unter dem Titel Coryat's Crudities hastily gobbled up in Five Months Travels in France, Italy, &c (zu deutsch etwa: Coryats Rohkost: Hastig heruntergeschlungen während einer fünfmonatigen Reise). Seine Ausführungen sind die Grundlage für das Programm, das vom ensemble feuervogel zusammengestellt und eingespielt wurde. Ausschnitte dieses Buches finden sich im Textheft, in der Form eines 'Interviews'.

Das Programm ist in vier Abschnitte aufgeteilt. Im ersten - 'Der Marktplatz von San Marco - Treffpunkt der Kulturen' - hören wir vor allem Tänze von Giorgio Mainerio (1530/40-1582). Einige dieser Tänze verweisen auf andere Völker, wie die Ungarn (Ungarescha) und die Deutschen (Tedescha). Daneben erklingen zwei Instrumentalwerke von Organisten des Markusdoms, Girolamo Parabosco und Claudio Merulo.

Dann folgt 'Die Bühne der Bänkelsänger — Narren und Stegreifsänger': da steht die Kunst der 'Entertainer' im Mittelpunkt. Ob die zu Gehör gebrachte Musik wirklich der 'Volkskunst' angehört oder eher dem Geschmack der höheren Kreisen angepasst wurde, sei dahingestellt. Auch hier gibt es wieder Tänze, diesmal von Francesco Bendusi (?-1553). Einige verweisen auf Volkslieder. Ein bekanntes Stück ist Chi la gagliarda von Baldassare Donato.

Der dritte Abschnitt heisst 'Venedigs edle Damen — Weisheit und Verführung'. Hier erklingen vor allem Diminutionen auf Madrigale von Cipriano de Rore aus der Feder von Giovanni Bassano. Und Celeste Giglio ist eine Bearbeitung eines damals beliebten Liedes, das als La Monica bekannt ist.

Das Programm endet mit 'Abschied von Venedig — Erinnerung an die strahlende Stadt', und in diesem Abschnitt finden sich weitere Diminutionen von Bassano sowie ein Madrigal von Adrian Willaert, in dem er seine Liebe zu Venedig äussert. Es erklingt auch die vierte von insgesamt vier Ricercares für ein Soloinstrument - hier die Blockflöte - von Bassano. Es sind technisch anspruchsvolle Stücke, die eine wenig bekannte Seite des Komponisten beleuchten.

Aufnahmen mit Musik aus Venedig gibt es viele. Hier wird das Musikleben der Stadt auf eine weniger geläufige Weise dargestellt. Daher ist diese CD eine durchaus sinnvolle Erweiterung der Diskographie. Es ist eine Ode an Venedig, und diese ist gut gelungen. Diese Produktion ist ein farbenreicher Blumenstraus - von Anfang bis Ende variiert und unterhaltsam, auch dank des hervorragenden Spiels der Blockflötisten, in Zusammenarbeit mit Ian Harrison, dem bekannten Spezialisten auf alten Schlaginstrumenten.

"Observations of Venice - Cinquecento consort music"
ensemble feuervogel; Ian Harrison, Schlagzeug
Coviello Classics COV92505 (© 2025) Details

Donnerstag, 20. November 2025

Musik aus einem Frauenkloster des 16. Jahrhunderts - Musica Secreta


"Mulier tacet in ecclesia" - die Frau soll schweigen in der Kirche. Dieses Gebot des Apostels Paulus wurde vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert auf das Singen in der Kirche ausgeweitet. Infolgedessen wurde liturgische Musik von Knaben und Männern gesungen. Aber nicht überall schwiegen die Frauen: in Klöstern hatten sie nicht nur die Gelegenheit zu singen, sondern auch ihre musikalischen Talente zu entwickeln, Instrumente zu spielen und sogar zu komponieren.

Ob die Schwestern im Kloster San Matteo in Arcetri, heute Teil der Stadt Florenz, auch komponiert haben, ist nicht bekannt. Eine Handschrift mit insgesamt 78 Stücken, die mit diesem Kloster in Verbindung gebracht werden konnte, gibt darüber keine Auskünfte. Neben Werken von damals bekannten Meistern gibt es Stücke, deren Komponist nicht erwähnt wird. Diese Sammlung - bekannt als 'Biffoli-Sostegni Handschrift', nach den Schwestern die auf dem Umschlag genannt werden - wird im Königlichen Konservatorium zu Brüssel aufbewahrt, und wurde von einem Mönch, Fra Antonius Morus, zusammengetragen.

Die Stücke zeigen, wie die liturgische Praxis im Kloster aussah. Im Programm, das vom Ensemble Musica Secreta aufgezeichnet wurde, stehen zwei Messen im Mittelpunkt. Es sind beide Parodiemessen, was heisst, dass darin Material aus schon existierenden Werken, wie Madrigalen oder liturgischen Gesängen, verarbeitet wird. Eine dieser Messen basiert auf dem Offertorium Recordare Virgo Mater für das Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariä, das jährlich am 16. März gefeiert wurde, und eines der wichtigsten Ereignisse im Kloster darstellte.

Der Evangelist St Matthäus war der Schutzpatron der Klosters; sein Fest fand am 21. September statt. Dafür ist In illo tempore: vidit Jesus bestimmt. Selbstverständlich gibt es mehrere Gesänge für Maria. Und da die Vespern einer der wichtigsten Teile der Liturgie der katholischen Kirche darstellten, sind auch Vesperpsalmen und das Magnificat eingeschlossen.

Während mehrere Gesänge relativ einfach sind, ist das Magnificat etwas komplizierter, und die Messen sind mit den Werken der bekannten Komponisten der Zeit durchaus vergleichbar. Ob diese Werke speziell für dieses Kloster komponiert wurden, lässt sich nicht feststellen. Es scheint durchaus möglich.

Schliesslich gibt es auch einige Madrigale, aber dann sogenannte 'spirituelle' Madrigale - das war im 16. Jahrhundert eine beliebte Gattung. Sie waren zur Unterhaltung gemeint: die Schwestern konnten auf diese Weise eine damals gängige Art von Musik geniessen, ohne an den amourösen Texten Anstoss nehmen zu müssen.

Die neun Sängerinnen werden in einigen Stücken von Viola da gamba, Laute und Orgel unterstütz. Das waren die einzigen Instrumente, die in einem Kloster erlaubt waren.

Diese Produktion liefert einen faszinierenden Einblick in das tägliche Leben eines Frauenklosters des 16. Jahrhunderts. Der Name des Ensembles Musica Secreta ist sein Programm: es bringt Musik zu Gehör, die lange Zeit verborgen geblieben ist, und sogar in der Zeit des Entstehens sich der Öffentlichkeit entzog. Wie wertvoll es ist, sie in unserer Zeit zu Gehör zu bringen und einem weiteren Kreis zugänglich zu machen, zeigt diese Produktion eindrucksvoll. Musica Secreta fühlt sich hier wie ein Fisch im Wasser.

"Ricordanze - a record of love"
Musica Secreta/Laurie Stras
Lucky Music LCKY005 (© 2025) Details

Donnerstag, 13. November 2025

Tessarini: Sonaten für Traversflöte - Eriko Oi


In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts reisten mehrere italienische Komponisten als Geigenvirtuosen durch Europa. Dazu zählen Pietro Antonio Locatelli und Francesco Maria Veracini. Wie diese wurde auch Carlo Tessarini (um 1690-nach 1766) als Geiger ausgebildet, aber - im Gegensatz zu den soeben genannten - ist er heute so gut wie vergessen.

Er wurde in Rimini geboren; von seiner musikalischen Erziehung wissen wir so gut wie nichts. Er wirkte in Venedig als Kapellmeister am Ospedale dei Santi Giovanni e Paolo und als Geiger am Markusdom. In den 1730er Jahren siedelte er nach Urbino um, wo er in den Dienst des Kathedrals trat. Da hatte er die Gelegenheit als Virtuose durch Europa zu reisen. Auftritte in u.a. Rom, Paris, London und den Niederlanden sind belegt. Sein letztbekannter Auftritt war 1766 in Arnheim in den Niederlanden.

Tessarini hat ein stattliches Oeuvre hinterlassen. Einige Sammlungen gab er selber heraus, andere wurden von renommierten Verlagshäusern veröffentlicht, oft ohne seine Zustimmung. Das sagt etwas über seinen Ruf als Komponist. Der grösste Teil seines Oeuvres ist für sein eigenes Instrument bestimmt, aber im Verlaufe der Zeit wurde die Traversflöte als Alternative erwähnt. Der Grund war zweifellos die wachsende Beliebtheit dieses Instruments unter Laien.

Die Sonaten Op. 14 sind ein gutes Beispiel. Sie wurden zuerst um 1748 in Venedig veröffentlicht, aus Anlass des Friedens von Aix-la-Chapelle, mit dem der Österreichische Erbfolgekrieg (1740-1748) endete. Zwei Jahre später wurden sie in Paris wiederveröffentlicht. Die Traversflöte wird hier neben der Violine erwähnt, und deswegen hat Tessarini typische Merkmale von Musik für die Geige, wie Doppelgriffe, vermieden. Da diese Werke für Laien bestimmt sind, enthalten sie weniger technische Herausforderungen als andere Werke von Tessarini. Obwohl sie sich in der Form grösstenteils ähneln, gibt es auch viel Variation in dieser Sammlung,

Die zweite Sammlung, die Eriko Oi aufgezeichnet hat, ist Il piacer delle dame, facile ariete instrumentali, zuerst um 1745 in Paris gedruckt, dann 1751 wiederveröffentlicht in London unter dem Titel Easy and Familiar airs. Auch diese Stücke sind für Traversflöte oder Violine und Basso continuo geschrieben. Der französische Titel - "das Vergnügen der Damen" - ist vielleicht ein Indiz dafür, dass sie als pädagogisches Material gemeint sind. Die Abwechslung in Länge, Tempo und Charakter, sowie die Tatsache, dass sie hohe Noten und grosse Intervallsprünge enthalten, weisen in diese Richtung.

Die Sonaten Op. 14 wurden schon mal auf der Violine aufgenommen (Valerio Losito; Brilliant Classics, 2019). Es ist schön, dass sie nun auch in alternativer Besetzung vorliegen. Sie haben es sich redlich verdient, und Eriko Oi liefert eine exzellente Interpretation. In der Biografie im Textheft heisst es, sie sei "beim 34. Internationalen Wettbewerb für Alte Musik in Yamanashi mit dem 2. Preis ausgezeichnet worden (der 1. Preis wurde nicht vergeben)". Das ist leicht nachzuvollziehen. Ich bin von ihrem Spiel beeindruckt. Sie erzeugt einen wunderschönen Ton und nutzt den gesamten Tonumfang und die dynamischen Möglichkeiten ihres Instruments wirkungsvoll aus. Sie beweist ein gutes Gespür für den Rhythmus jedes Satzes und den rhetorischen Charakter dieser Sonaten, was sich in ihrer Artikulation und m Kontrast zwischen 'guten' und 'schlechten' Noten zeigt. Tung-Han Hu ist eine hervorragende harmonische und rhythmische Stütze.

Carlo Tessarini: Sei Sonate Op. 14, Il Piacier delle Dame
Eriko Oi, Traversflöte; Tung-Han Hu, Cembalo
Tactus TC 692006 (© 2025) Details

Palestrina 500 - Augsburger Domsingknaben, I Fedeli/Stefan Steinemann

Das Jahr 2025 war Palestrina-Jahr, da man annimmt, dass er 1525 geboren wurde. Wie zu erwarten, erschienen mehrere Aufnahmen mit seiner Mu...