Freitag, 12. Dezember 2025
Palestrina 500 - Augsburger Domsingknaben, I Fedeli/Stefan Steinemann
Das Jahr 2025 war Palestrina-Jahr, da man annimmt, dass er 1525 geboren wurde. Wie zu erwarten, erschienen mehrere Aufnahmen mit seiner Musik, zum Teil in Kombination mit Werken anderer Meister seiner Zeit. Ich habe nicht alle gehört, aber die hier zu besprechende ist mit Abstand die interessanteste.
Der erste Grund dafür ist, dass das Herzstück des Programms eine Messe bildet, die vermutlich noch nie zuvor aufgenommen wurde. Palestrina komponierte die Missa Fratres ego enim accepi für acht Stimmen in zwei Chören. Mehrchörige Musik wird zwar hauptsächlich mit Venedig in Verbindung gebracht, doch auch Rom hatte in dieser Hinsicht seine eigene Tradition. Es handelt sich um eine Parodiemesse: Sie basiert auf einer Motette aus eigener Feder, deren Text dem ersten Brief des Paulus an die Korinther (Kapitel 11, Verse 23–24) entnommen ist, in dem er auf das von Christus eingesetzte Abendmahl - in der katholischen Lehre die Eucharistie - Bezug nimmt.
Auch die Interpretation ist ein Grund, warum diese Aufnahme sich von anderen unterscheidet. Ein Merkmal ist die dynamische Differenzierung, die schon aus Palestrinas Behandlung der Doppelchörigkeit hervorgeht, aber hier auch vom Dirigenten Stefan Steinemann gepflegt wird. Diese Interpretationen erinnern mich an jene des Chors der Sixtinischen Kapelle unter der Leitung von Massimo Palombella. Es ist bedauerlich, dass seit dessen Entlassung die Experimente in der Aufführungspraxis von Palestrinas Oeuvre offensichtlich zum Stillstand gekommen sind.
Es ist wohl kein Zufall, dass hier versucht wird, Palestrina aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Die Augsburger Domsingknaben, ein Chor von Knaben und jungen Herren, singen zwar ein weitgefächertes Repertoire - aufgrund ihrer Rolle in der Liturgie – aber ihr Schwerpunkt liegt in der alten Musik, auch weil Steinemann ein Experte in diesem Bereich ist.
Weitere Merkmale dieser Aufführungen zeugen von seinem Bestreben, der ursprünglichen Aufführungspraxis von Palestrinas Musik näherzukommen. Dazu gehört die Tonhöhe von 490 Hz. Laut Begleittext ist diese Tonhöhe "in vielen europäischen Kirchen des 16. Jahrhunderts dokumentiert". Ich bin mir da nicht so sicher: Sie scheint eher eine deutsche Besonderheit gewesen zu sein.
Und das führt zu einem weiteren Aspekt dieser Aufführungen: dem Einsatz von Instrumenten. Ich kann mich nicht erinnern, Palestrinas Musik jemals in einer Kombination aus Singstimmen und Instrumenten gehört zu haben. An den Orten, an denen Palestrina wirkte, wurden keine Instrumente verwendet. Die hier aufgeführte Messe stammt aus einer 1601 in Venedig veröffentlichten Sammlung, fast ein Jahrzehnt nach dem Tod des Komponisten. Die Veröffentlichung dieser Messe eröffnet verschiedene Möglichkeiten hinsichtlich der Aufführungspraxis. Die Aufführungen der Augsburger Domsingknaben spiegeln möglicherweise die Aufführungspraxis der Polyphonie im Augsburg des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts wider. Die Geschichte dieses Chors reicht schliesslich bis ins 15. Jahrhundert zurück. Im Süden Deutschlands war der Einsatz von Instrumenten üblich, wenn auch sicherlich nicht bei allen Aufführungen. Das Thema der Motette, auf der die Messe basiert, und die Besetzung sowohl der Motette als auch der Messe für achtstimmigen Doppelchor lassen jedoch auf eine überdurchschnittliche Bedeutung schließen. Dies könnte für den Einsatz von Instrumenten sprechen.
In zwei weiteren Stücken auf dieser CD spielen sie eine wichtige Rolle. In Victorias doppelchörige Motette Ave Maria stellen sie den zweiten Chor dar, und erweitern die Partien mit Diminutionen, wie das damals üblich war. Es zeugt von Einsicht in die damalige Aufführungsumstände, dass William Byrds Motette Miserere mei Deus ohne Instrumente gesungen wird. Diese spielten damals in England keine grosse Rolle, und Byrd komponierte seine Musik für geheime Messen.
Es ist äußerst wertvoll, wenn versucht wird, der Aufführungspraxis der Renaissance-Polyphonie zur Zeit ihrer Entstehung oder Veröffentlichung näherzukommen. Deswegen zählt diese Aufnahme zu den besten und sogar aufregendsten Palestrina-CDs, die ich in den letzten Jahren gehört habe. Die Augsburger Domsingknaben sind ein hervorragender Chor. In Palestrinas Messe gibt es einige Passagen, in denen ein Sopran (derselbe?) solistisch mit Instrumentalbegleitung singt (zum Beispiel das Benedictus), und welch eine großartige Stimme er hat! Der Einsatz von Instrumenten in Palestrinas Musik ist ungewöhnlich, funktioniert hier aber hervorragend, auch dank der Art ihres Einsatzes und der Qualitäten des Ensembles I Fedeli.
Die Aufführungspraxis und ihre Umsetzung verdienen besondere Anerkennung.
"Palestrina 500"
Augsburger Domsingknaben; I Fedeli/Stefan Steinemann
Ars Produktion ARS 38380 (© 2025) Details
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