Critica Musica
Johan van Veen
Donnerstag, 27. November 2025
Beobachtungen zu Venedig - ensemble feuervogel
Jahrhundertelang hat Venedig auf Menschen aus aller Welt eine grosse Anziehungskraft ausgeübt. Die Gründe waren und sind unterschiedlich: Geschichte, Architektur, bildende Künste, Musik. Im Barock war Venedig eine der unvermeidlichen Stationen auf der 'Grand tour' junger Aristokraten. In Vivaldis Zeit bewunderten Besucher die Aufführungen der Mädchen in den Ospedali. In Monteverdis Zeit war es in erster Linie die Musik, die im Markusdom zu hören war, die Besucher ins Staunen versetzte.
Einer dieser Besucher war der englische Schriftsteller Thomas Coryat (um 1577-1617). Im Jahre 1611 veröffentlichte er einen Reisebericht unter dem Titel Coryat's Crudities hastily gobbled up in Five Months Travels in France, Italy, &c (zu deutsch etwa: Coryats Rohkost: Hastig heruntergeschlungen während einer fünfmonatigen Reise). Seine Ausführungen sind die Grundlage für das Programm, das vom ensemble feuervogel zusammengestellt und eingespielt wurde. Ausschnitte dieses Buches finden sich im Textheft, in der Form eines 'Interviews'.
Das Programm ist in vier Abschnitte aufgeteilt. Im ersten - 'Der Marktplatz von San Marco - Treffpunkt der Kulturen' - hören wir vor allem Tänze von Giorgio Mainerio (1530/40-1582). Einige dieser Tänze verweisen auf andere Völker, wie die Ungarn (Ungarescha) und die Deutschen (Tedescha). Daneben erklingen zwei Instrumentalwerke von Organisten des Markusdoms, Girolamo Parabosco und Claudio Merulo.
Dann folgt 'Die Bühne der Bänkelsänger — Narren und Stegreifsänger': da steht die Kunst der 'Entertainer' im Mittelpunkt. Ob die zu Gehör gebrachte Musik wirklich der 'Volkskunst' angehört oder eher dem Geschmack der höheren Kreisen angepasst wurde, sei dahingestellt. Auch hier gibt es wieder Tänze, diesmal von Francesco Bendusi (?-1553). Einige verweisen auf Volkslieder. Ein bekanntes Stück ist Chi la gagliarda von Baldassare Donato.
Der dritte Abschnitt heisst 'Venedigs edle Damen — Weisheit und Verführung'. Hier erklingen vor allem Diminutionen auf Madrigale von Cipriano de Rore aus der Feder von Giovanni Bassano. Und Celeste Giglio ist eine Bearbeitung eines damals beliebten Liedes, das als La Monica bekannt ist.
Das Programm endet mit 'Abschied von Venedig — Erinnerung an die strahlende Stadt', und in diesem Abschnitt finden sich weitere Diminutionen von Bassano sowie ein Madrigal von Adrian Willaert, in dem er seine Liebe zu Venedig äussert. Es erklingt auch die vierte von insgesamt vier Ricercares für ein Soloinstrument - hier die Blockflöte - von Bassano. Es sind technisch anspruchsvolle Stücke, die eine wenig bekannte Seite des Komponisten beleuchten.
Aufnahmen mit Musik aus Venedig gibt es viele. Hier wird das Musikleben der Stadt auf eine weniger geläufige Weise dargestellt. Daher ist diese CD eine durchaus sinnvolle Erweiterung der Diskographie. Es ist eine Ode an Venedig, und diese ist gut gelungen. Diese Produktion ist ein farbenreicher Blumenstraus - von Anfang bis Ende variiert und unterhaltsam, auch dank des hervorragenden Spiels der Blockflötisten, in Zusammenarbeit mit Ian Harrison, dem bekannten Spezialisten auf alten Schlaginstrumenten.
"Observations of Venice - Cinquecento consort music"
ensemble feuervogel; Ian Harrison, Schlagzeug
Coviello Classics COV92505 (© 2025) Details
Donnerstag, 20. November 2025
Musik aus einem Frauenkloster des 16. Jahrhunderts - Musica Secreta
"Mulier tacet in ecclesia" - die Frau soll schweigen in der Kirche. Dieses Gebot des Apostels Paulus wurde vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert auf das Singen in der Kirche ausgeweitet. Infolgedessen wurde liturgische Musik von Knaben und Männern gesungen. Aber nicht überall schwiegen die Frauen: in Klöstern hatten sie nicht nur die Gelegenheit zu singen, sondern auch ihre musikalischen Talente zu entwickeln, Instrumente zu spielen und sogar zu komponieren.
Ob die Schwestern im Kloster San Matteo in Arcetri, heute Teil der Stadt Florenz, auch komponiert haben, ist nicht bekannt. Eine Handschrift mit insgesamt 78 Stücken, die mit diesem Kloster in Verbindung gebracht werden konnte, gibt darüber keine Auskünfte. Neben Werken von damals bekannten Meistern gibt es Stücke, deren Komponist nicht erwähnt wird. Diese Sammlung - bekannt als 'Biffoli-Sostegni Handschrift', nach den Schwestern die auf dem Umschlag genannt werden - wird im Königlichen Konservatorium zu Brüssel aufbewahrt, und wurde von einem Mönch, Fra Antonius Morus, zusammengetragen.
Die Stücke zeigen, wie die liturgische Praxis im Kloster aussah. Im Programm, das vom Ensemble Musica Secreta aufgezeichnet wurde, stehen zwei Messen im Mittelpunkt. Es sind beide Parodiemessen, was heisst, dass darin Material aus schon existierenden Werken, wie Madrigalen oder liturgischen Gesängen, verarbeitet wird. Eine dieser Messen basiert auf dem Offertorium Recordare Virgo Mater für das Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariä, das jährlich am 16. März gefeiert wurde, und eines der wichtigsten Ereignisse im Kloster darstellte.
Der Evangelist St Matthäus war der Schutzpatron der Klosters; sein Fest fand am 21. September statt. Dafür ist In illo tempore: vidit Jesus bestimmt. Selbstverständlich gibt es mehrere Gesänge für Maria. Und da die Vespern einer der wichtigsten Teile der Liturgie der katholischen Kirche darstellten, sind auch Vesperpsalmen und das Magnificat eingeschlossen.
Während mehrere Gesänge relativ einfach sind, ist das Magnificat etwas komplizierter, und die Messen sind mit den Werken der bekannten Komponisten der Zeit durchaus vergleichbar. Ob diese Werke speziell für dieses Kloster komponiert wurden, lässt sich nicht feststellen. Es scheint durchaus möglich.
Schliesslich gibt es auch einige Madrigale, aber dann sogenannte 'spirituelle' Madrigale - das war im 16. Jahrhundert eine beliebte Gattung. Sie waren zur Unterhaltung gemeint: die Schwestern konnten auf diese Weise eine damals gängige Art von Musik geniessen, ohne an den amourösen Texten Anstoss nehmen zu müssen.
Die neun Sängerinnen werden in einigen Stücken von Viola da gamba, Laute und Orgel unterstütz. Das waren die einzigen Instrumente, die in einem Kloster erlaubt waren.
Diese Produktion liefert einen faszinierenden Einblick in das tägliche Leben eines Frauenklosters des 16. Jahrhunderts. Der Name des Ensembles Musica Secreta ist sein Programm: es bringt Musik zu Gehör, die lange Zeit verborgen geblieben ist, und sogar in der Zeit des Entstehens sich der Öffentlichkeit entzog. Wie wertvoll es ist, sie in unserer Zeit zu Gehör zu bringen und einem weiteren Kreis zugänglich zu machen, zeigt diese Produktion eindrucksvoll. Musica Secreta fühlt sich hier wie ein Fisch im Wasser.
"Ricordanze - a record of love"
Musica Secreta/Laurie Stras
Lucky Music LCKY005 (© 2025) Details
Donnerstag, 13. November 2025
Tessarini: Sonaten für Traversflöte - Eriko Oi
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts reisten mehrere italienische Komponisten als Geigenvirtuosen durch Europa. Dazu zählen Pietro Antonio Locatelli und Francesco Maria Veracini. Wie diese wurde auch Carlo Tessarini (um 1690-nach 1766) als Geiger ausgebildet, aber - im Gegensatz zu den soeben genannten - ist er heute so gut wie vergessen.
Er wurde in Rimini geboren; von seiner musikalischen Erziehung wissen wir so gut wie nichts. Er wirkte in Venedig als Kapellmeister am Ospedale dei Santi Giovanni e Paolo und als Geiger am Markusdom. In den 1730er Jahren siedelte er nach Urbino um, wo er in den Dienst des Kathedrals trat. Da hatte er die Gelegenheit als Virtuose durch Europa zu reisen. Auftritte in u.a. Rom, Paris, London und den Niederlanden sind belegt. Sein letztbekannter Auftritt war 1766 in Arnheim in den Niederlanden.
Tessarini hat ein stattliches Oeuvre hinterlassen. Einige Sammlungen gab er selber heraus, andere wurden von renommierten Verlagshäusern veröffentlicht, oft ohne seine Zustimmung. Das sagt etwas über seinen Ruf als Komponist. Der grösste Teil seines Oeuvres ist für sein eigenes Instrument bestimmt, aber im Verlaufe der Zeit wurde die Traversflöte als Alternative erwähnt. Der Grund war zweifellos die wachsende Beliebtheit dieses Instruments unter Laien.
Die Sonaten Op. 14 sind ein gutes Beispiel. Sie wurden zuerst um 1748 in Venedig veröffentlicht, aus Anlass des Friedens von Aix-la-Chapelle, mit dem der Österreichische Erbfolgekrieg (1740-1748) endete. Zwei Jahre später wurden sie in Paris wiederveröffentlicht. Die Traversflöte wird hier neben der Violine erwähnt, und deswegen hat Tessarini typische Merkmale von Musik für die Geige, wie Doppelgriffe, vermieden. Da diese Werke für Laien bestimmt sind, enthalten sie weniger technische Herausforderungen als andere Werke von Tessarini. Obwohl sie sich in der Form grösstenteils ähneln, gibt es auch viel Variation in dieser Sammlung,
Die zweite Sammlung, die Eriko Oi aufgezeichnet hat, ist Il piacer delle dame, facile ariete instrumentali, zuerst um 1745 in Paris gedruckt, dann 1751 wiederveröffentlicht in London unter dem Titel Easy and Familiar airs. Auch diese Stücke sind für Traversflöte oder Violine und Basso continuo geschrieben. Der französische Titel - "das Vergnügen der Damen" - ist vielleicht ein Indiz dafür, dass sie als pädagogisches Material gemeint sind. Die Abwechslung in Länge, Tempo und Charakter, sowie die Tatsache, dass sie hohe Noten und grosse Intervallsprünge enthalten, weisen in diese Richtung.
Die Sonaten Op. 14 wurden schon mal auf der Violine aufgenommen (Valerio Losito; Brilliant Classics, 2019). Es ist schön, dass sie nun auch in alternativer Besetzung vorliegen. Sie haben es sich redlich verdient, und Eriko Oi liefert eine exzellente Interpretation. In der Biografie im Textheft heisst es, sie sei "beim 34. Internationalen Wettbewerb für Alte Musik in Yamanashi mit dem 2. Preis ausgezeichnet worden (der 1. Preis wurde nicht vergeben)". Das ist leicht nachzuvollziehen. Ich bin von ihrem Spiel beeindruckt. Sie erzeugt einen wunderschönen Ton und nutzt den gesamten Tonumfang und die dynamischen Möglichkeiten ihres Instruments wirkungsvoll aus. Sie beweist ein gutes Gespür für den Rhythmus jedes Satzes und den rhetorischen Charakter dieser Sonaten, was sich in ihrer Artikulation und m Kontrast zwischen 'guten' und 'schlechten' Noten zeigt. Tung-Han Hu ist eine hervorragende harmonische und rhythmische Stütze.
Carlo Tessarini: Sei Sonate Op. 14, Il Piacier delle Dame
Eriko Oi, Traversflöte; Tung-Han Hu, Cembalo
Tactus TC 692006 (© 2025) Details
Donnerstag, 30. Oktober 2025
Gaultier de Marseille: Symphonies divisées par suites de tons - Cohaere Ensemble
Im Barock spielten Paris und Versailles die Hauptrolle im französischen Musikleben. Die Musik, die heute aufgeführt wird, stammt fast ausschliesslich von Komponisten, die dort gelebt und gewirkt haben. Was in anderen Regionen komponiert und aufgeführt wurde, erscheint selten auf Konzertprogrammen und auf CD. Die hier diskutierte Aufnahme ist einem Komponisten gewidmet, der zwar in Paris studiert hat, aber sein ganzes Leben im Süden Frankreichs verbracht hat, wie sein Beinamen 'de Marseille' verrät.
Obwohl Pierre Gaultier de Marseille (1642-1696) als Spieler von Tasteninstrumenten ausgebildet wurde, und anfänglich als Lehrer in diesem Bereich sowie in Komposition tätig war, drehte sich seine Karriere ganz um die Oper. Jean-Baptiste Lully erlaubte es ihm 1684 in Marseille eine Musikakademie zu gründen, die mit einer Oper aus seiner eigenen Feder eröffnet wurde. Später führte er mehrere Oper von Lully und noch ein weiteres eigenes Werk auf. Seine beiden Opern sind verlorengegangen, sollten aber ganz im Stile Lullys komponiert worden sein.
Er führte auch Opern in Avignon auf, und dort landete er 1688 ins Gefängnis wegen finanzieller Schulden; er war gezwungen das ganze Besitz seiner Operngesellschaft zu verkaufen. Er blieb aber der Oper treu; in anderen Konstellationen dirigierte er Opern in verschiedenen Städten. 1696 kamen er und sein Bruder ums Leben während einer Schifffahrt.
Nur wenig Musik von Gaultier de Marseille ist zu uns gekommen. Am wichtigsten sind die neun Suiten, die 1707 von Christoph Ballard in Paris veröffentlicht wurden. Es ist bemerkenswert, dass diese dort erschienen und dazu noch elf Jahre nach seinem Tode. Offensichtlich war er bekannter als man vermuten würde, da er immer weit weg von Paris wirkte. Der Herausgeber schreibt im Vorwort, dass er die Suiten auf Wunsch zusammengestellt hatte. Daraus lässt sich schliessen, dass Gaultiers Musik geschätzt wurde.
Die neun Suiten unterschiedlcher Länge bestehen aus Tänzen und Charakterstücken. Einige erinnern an die Oper der Zeit, und man fragt sich, ob einige dieser Stücke vielleicht aus seinen verschollenen Opern stammen. Auch damals sehr beliebte Formen, wie Chaconne und Passacaille, fehlen nicht. Es gibt auch ein biografisches Stück: zu Les Prisons (das Gefängnis) schreibt er, dass er das Stück im Gefängnis in Avignon komponiert hatte.
Diese Stücke sind, der gedruckten Ausgabe zufolge, für zwei Flöten oder Violinen bestimmt. Hier werden beide gemischt, und angesichts der damaligen Gewohnheiten ist dagegen nichts einzuwenden. Die Frage ist aber, was mit 'Flöte' gemeint ist. Da die Traversflöte meistens als flûte allemande bezeichnet wurde, liegt eine Besetzung mit Blockflöte nahe; so hat Hugo Reyne diese Suiten mit seinem Ensemble La Simphonie du Marais eingespielt (Auvidis, 1998). Aber da ab 1700 die Traversflöte immer beliebter wurde, ist die Besetzung mit Traversflöte, wie in der Aufnahme des Cohaere Ensemble, eine legitime Möglichkeit.
Dieses junge polnische Ensemble legt hier seine erste CD-Aufnahme vor, und die hat mir ganz gut gefallen. Es wird sehr schön gespielt, und der Variation in diesen Suiten wird voll Rechnung getragen. Es wird mal kräftig ausgepackt, aber auch immer wieder mit Verfeinerung gespielt. Jeder Liebhaber von Barockmusik wird an dieser Produktion viel Freude finden.
Pierre Gaultier de Marseille: Symphonies divisées par suites de tons
Cohaere Ensemble
Ambronay AMY317 (© 2025) Details
Freitag, 17. Oktober 2025
Valls: con afecto - BachWerkVokal
Im Verlauf der Geschichte hat es in der Musikwelt mehrere Kontroversen gegeben, die sich oft um 'Fehler' in bestimmten Kompositionen drehten. Ein Beispiel ist die Missa Scala Aretina des spanischen Komponisten Francesc Valls (1671-1747). "Die Polemik, die die Messe auslöste, drehte sich um den Einsatz des zweiten Sopran in einer unvorbereiteten None beim 'Miserere nobis' im Gloria. Gregorio Portero, Kapellmeister an der Kathedrale von Granada, feuerte 1715 die erste Salve ab; im folgenden Jahr schloss sich ihm Joaquín Martínez de la Roca, der Organist in Palencia, an, der argumentierte, dass "Musik aus festgelegten Prinzipien und allgemeinen Regeln besteht; wenn diese gebrochen werden, wird das Wesen der Musik zerstört". Valls verteidigte sich "nicht so sehr für meinen eigenen Ruf, sondern für die Freiheit und Ehre der Musikkunst"", schreibt Craig H. Russell in New Grove. Die Kontroverse hatte auch einen politischen Aspekt, der mit dem spanischen Erbfolgekrieg zusammenhing.
Obwohl dieser Aspekt nach Einschätzung einiger Autoren vielleicht genau so wichtig war wie der musikalische, lässt sich die Aufregung gut verstehen, denn Valls war ganz eigenwillig in seiner Behandlung der Harmonie. Das kommt im Programm, das das Ensemble BachWerkVokal eingespielt hat, ganz klar zum Ausdruck. Die meisten Stücke stammen aus der theoretischen Schrift Mapa armónico, die Valls zwischen den späten 1720er Jahren und 1735 zusammenstellte. Der dritte Kapitel enthält viele Musikstücke, in der Valls zeigt, wie er mit Harmonie experimentierte. Am weitesten geht er in einem Instrumentalwerk: die Composicion enarmónica para instrumentos de arco ist von Anfang bis Ende aus Vierteltönen aufgebaut, und erweckt den Eindruck, im 20. Jahrhundert entstanden zu sein. In vielen Vokalwerken wird ausgiebig Chromatik eingestreut, vor allem mit dem Ziel, den Text möglichst plastisch zum Ausdruck zu bringen und dessen Affekt dem Hörer zu vermitteln. In diesem Sinne ist der Titel dieser Produktion - "con afecto" - gut gewählt.
Auch in der Besetzung ist Valls oft ganz originell. Diese variiert von drei bis zwölf Stimmen. Das ist an sich nicht ungewöhnlich, aber ein Rezitativ und eine Arie für acht Stimmen (Yo que el aplauso) ist doch alles andere als konventionell. Originell ist auch Ay de la pena: es fängt mit einem Duett von Sopran und Tenor an, die dann von einem Quintet verstärkt werden und den ersten Chor bilden. Darauf folgt ein Abschnitt zu acht Stimmen für Chor II und III.
Die eingespielten Werke haben entweder einen lateinischen oder einen spanischen Text, und es gibt sowohl geistliche als weltliche Werke. Die Länge ist ebenfalls unterschiedlich, wie auch die Besetzung. Die meisten Stücke sind für ein Vokalensemble gesetzt; in nur wenigen Werken gibt es Soloparts für Singstimmen. Und während mehrere Werke ohne Begleitung oder nur mit einem Basso continuo auskommem, gibt es auch Stücke mit Geigen, Oboen und Trompeten in verschiedenen Kombinationen.
Die obengenannte Missa Scala Aretina ist fast das einzige Werk aus dem umfangreichen Schaffen von Valls, das einigermassen bekannt ist, wohl auch wegen der Kontroverse, die sie auslöste. Deswegen ist diese Aufnahme von grosser Bedeutung, da sie den eigenwilligen Charakter des Komponisten sowie die Qualität seines Schaffens auf überzeugende Weise zur Schau stellt. Das ganze Programm wird vorzüglich dargestellt. Wie in früheren Aufnahmen beeindruckt das Ensemble mit Energie und Präzision. Dank einer makellosen Intonation kommen die harmonischen Eigenartigkeiten voll zur Geltung. Und die Instrumentalisten tragen wesentlich dazu bei, dass dieses Programm einen bleibenden Eindruck hinterlässt.
Diese CD gehört zweifellos zu den interessantesten und wichtigsten des Jahres 2025.
Francesc Valls: "con afecto"
BachWerkVokal/Gordon Safari
MDG 923 2368-6 (© 2025) Details
Freitag, 3. Oktober 2025
Galuppi: Sonaten und Konzerte für Cembalo - Arianna Radaelli
Nach dem Tod Antonio Vivaldis war Baldassare Galuppi (1706-1785) der wichtigste Komponist in Venedig. Sein Ruf war bald so gross, dass Werke von Vivaldi als Kompositionen von Galuppi angeboten wurden. Er wurde als Cembalist ausgebildet und spielte im Alter von 20 Jahren schon als solcher in Opernaufführungen. Zur gleichen Zeit fing er an, Arien für Opern anderer Komponisten zu schreiben. Für viele Jahre war er vor allem als Opernkomponist tätig, in Venedig, aber für mehrere Jahre auch in Sankt Petersburg. Als er in Venedig zurückkehrte, konzentrierte er sich auf die Komposition von geistlicher Musik.
In seinem Instrumentalschaffen steht Musik für Tasteninstrumente an erster Stelle. Sein Oeuvre an Werken für ein Tasteninstrument, mit und ohne Begleitung, wird auf rund 400 Stück geschätzt. Nur ein ganz kleiner Teil ist heute einigermassen bekannt. Das lässt sich auch daraus erklären, dass der grösste Teil nur in Handschrift erhalten geblieben ist. Nur zwei Sammlungen von je sechs Sonaten sind während seines Lebens in Druck erschienen. Das wundert nicht, denn Klaviermusik wurde damals vor allem improvisiert. Es liegen uns keine Autographe vor, nur Kopien, die von anderen verfertigt wurden. Und die Popularität seiner Musik lässt sich auch daraus ablesen, dass Kopien von Kopien entstanden sind, aber dann oft in anderen Zusammenstellungen. Und so findet man bestimmte Sätze in verschiedenen Sonaten, was Wissenschaftlern und Interpreten vor Probleme stellt, und vielleicht auch erklärt, warum Galuppis Musik so wenig aufgeführt und aufgenommen wird.
Arianna Radaelli hat fünf Sonaten und zwei Konzerte eingespielt. Es fällt auf, wie unterschiedlich die Sonaten sind, sowohl was ihre Struktur als ihr Charakter anbetrifft. Die Zahl der Sätze ist unterschiedlich, und variiert von einem bis drei. Eine Sonate in B-Dur zeigt eine starke Ähnlichkeit mit dem Stile von Carl Philipp Emanuel Bach, insbesondere im Sturm-und-Drang. In anderen Sonaten gibt es improvisatorische Züge, und in einer Sonate wird der moderne galante Stil mit dem 'altmodischen' Kontrapunkt zusammengebracht. In den einsätzigen Sonaten ist der Einfluss Domenico Scarlattis unverkennbar.
Von Galuppi sind sieben Konzerte für Cembalo und Streicher bekannt. Das sind keine Orchesterwerke, sondern eher für Aufführung im intimen Kreis bestimmt, und daher spielt das Ensemble La Filarete sie mit einem Instrument pro Stimme, wie auch Roberto Loreggian, der sämtliche Konzerte für Brilliant Classics aufgenommen hat. Das Konzert in F-Dur steht ganz im galanten Idiom, während das Konzert in C-Moll dem nervösen Stil Carl Philipp Emanuel Bachs ähnelt. Eine Besonderheit ist, dass Galuppi als Streichbass ein Violotto verlangt. Dabei handelt es sich um ein italienisches Instrument mit fünf Saiten der Viola da gamba-Familie, aber grösser als eine Gambe, und mit einem tieferen Klang. Im Textbuch zu Radaellis Aufnahme wird es nicht erwähnt, und die Besetzung mit Violoncello und Violone ist traditionell, im Gegensatz zu Loreggians Aufnahme, wo ein Violotto eingesetzt wird.
Das ist der einzige Kritikpunkt zu dieser Produktion, die eine perfekte Einführung in das Oeuvre für Tasteninstrumente von Galuppi bietet. Arianna Radaelli ist ein überzeugendes Plädoyer für dessen Klaviermusik gelungen. Sie erlaubt sich Freiheiten im Tempo, die ihre Darbietungen umso spannender machen. Wo es passt, spielt sie Verzierungen und fügt sie Kadenzen ein. Das Ensemble La Filarete ist exzellent in den Konzerten.
Es ist zu hoffen, dass die Musik von Galuppi in den kommenden Jahren häufiger zu hören sein wird. Arianna Radaelli hat einen hohen Massstab gesetzt.
Baldassare Galuppi: "Wonder in Venice - Sonatas and concertos for harpsichord"
Arianna Radaelli, Cembalo; La Filarete
Arcana A579 (© 2025) Details
Mittwoch, 24. September 2025
London um 1760 - La Rêveuse
Das französische Ensemble La Rêveuse beschäftigt sich schon einige Jahre mit dem Musikleben in London im 18. Jahrhundert. Die erste CD beleuchtetete die Musikszene um 1720, die zweite die Musik, die um 1740 komponiert und aufgeführt wurde. Mit der vor kurzem erschienene dritte Folge sind wir zwanzig Jahre weiter in der Zeit. Die Musik von Händel war noch immer beliebt, aber im öffentlichen Musikbetrieb spielten auch andere Komponisten eine wichtige Rolle. Dazu zählten zwei, die - wie Händel auch - aus Deutschland stammten: Johann Christian Bach und Carl Friedrich Abel.
Die beiden kannten sich aus Leipzig, und die beiden Familien waren gut befreundet. Abel liess sich 1758 in London nieder, und Bach kam 1762 nach London, nachdem er eine Zeit in Italien gewirkt hatte. 1765 begann die Konzertreihe, die zu den wichtigsten der Zeit gehörte: die 'Bach-Abel-Konzerte', die bis 1775 stattfanden. Dort werden beide mit eigenen Werken aufgetreten sein: Bach als Klavierspieler, Abel auf der Viola da gamba. Er war der grösste Gambist seiner Zeit in England, und die vielen Stücke für Gambe ohne Begleitung sind wohl in erster Linie Improvisationen gewesen, die er später für seine Schüler aus aristokratischen Kreisen aufgeschrieben hat. Die meisten stammen aus der sogenannten 'Drexel-Sammlung'; zwei dieser Stücke erklingen hier. Er komponierte aber auch für viele andere Besetzungen, wie ein Quartett für Traversflöte und Streicher. Nicht überraschend ist, dass der Bass für die Viola da gamba gemeint ist.
Ein Quartett für die gleiche Besetzung von Johann Christian Bach hat eine Partie für das Violoncello (ein Instrument, dass Abel übrigens auch spielte), aber hier erklingt eine Fassung mit Viola da gamba, die basiert auf einer Handschrift in der Kulukundis-Sammlung, die sich im Bach-Archiv zu Leipzig befindet. Die Partie für Viola da gamba fehlt, wurde aber von Thomas Fritzsch rekonstruiert.
Es kamen auch neue Instrumente auf die Bühne. Eines dieser war die englische Gitarre, die vor allem under Damen Erfolg hatte. Und dann gab es die Glasharfe (oder das Gläserspiel), Vorläufer der Glasharmonika. Für beide Instrumente erschienen Lehrwerke, verfasst von Ann Ford. Zwei ihrer Stücke für die Glasharfe sind hier zu hören, wie Werke für englische Gitarre von Francesco Geminiani und von Rudolf Straube, einem anderen deutschen Einwanderer.
Mit einer Spieldauer von weniger als eine Stunde ist diese CD etwas kurz geraten. Zu kurz, und das darf als Kompliment verstanden werden. Diese CD ist besonders interessant (wie die beiden ersten auch) und musikalisch fesselnd, auch dank der exzellenten und engagierten Darbietungen des Ensembles. Ich hätte gerne mehr gehört. Aber diese CD sollte auch andere Musiker anspornen, sich mit diesem Repertoire auseinanderzusetzen. Unser Bild von Johann Christian Bach und Carl Friedrich Abel ist einseitig, und dass sollte korrigiert werden. Auch auch die englische Gitarre und die Glasharfe haben mehr Aufmerksamkeit verdient.
Auf jeden Fall ist diese CD ein Leckerbissen für neugierige Musikliebhaber.
"Si breve è 'l tempo - Madrigals of the Low Countries"
La Compagnia del Madrigale
Musique en Wallonie MEW2410 (© 2025) Details
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