Mittwoch, 24. April 2024

Das Cembalo in Paris im 18. Jahrhundert



Im 17. Jahrhundert war die Laute das am meisten geschätzte Instrument in Frankreich. Das änderte sich gegen Ende des Jahrhunderts, als das Cembalo die Laute allmählich verdrängte. Jacques Champion de Chambonnières gilt als der Gründer der französischen Cembaloschule. Die Blütezeit des Cembalospiels war das 18. Jahrhundert. Im Jahre 1699 veröffentlichte Louis Marchand sein erstes Buch mit Cembalostücken, und in den nächsten Jahrzehnten erschienen mehrere solcher Sammlungen. François Couperin veröffentlichte sein erstes Buch 1713. Diese zwei Komponisten sind die ersten, deren Werke Jos Van Immerseel aufnahm in einer bei Channel Classics erschienene Produktion unter dem Titel 'Le clavecin à Paris au XVIIIe siècle'. Auf insgesamt drei CDs verfolgt er die stilistische Entwicklung im Komponieren für das Cembalo, und benutzt dafür drei historische Instrumente, die mit dieser Entwicklung Schritt halten.

Marchand komponierte hauptsächlich Tänze, und stilistisch steht er dem 17. Jahrhundert nahe. Wir hören Auszüge aus der ersten Suite. Bei Couperin weichen die Tänze allmählich den Charakterstücken: schon im ersten Buch gibt es kaum noch Tänze ohne einen zusätzlichen Titel. Er gilt als der erste Vertreter des sogenannten Rokoko, das von Leichtigkeit und Eleganz gekennzeichnet wird. Van Immerseel spielt Auszüge aus dem ersten Buch. Die zweite CD fängt dann mit Stücken von Jean-Philippe Rameau an. Wer seine Musik hört, wird kaum schockiert sein, aber wenn man seine Musik direkt nach Couperin hört, wird man durchaus einen Stilbruch erfahren. Rameau ist der Dramaturg unter den Cembalokomponisten. Zwar wurde seine erste Oper 1733 aufgeführt, aber schon in den Cembalosammlungen, die zwischen 1706 und 1728 erschienen, zeigt er, dass er für die Bühne geboren war. Kein Wunder, dass er mehrere Stücke später orchestrierte und in seine Opern einfügte. Van Immerseel spielt einige Stücke aus der Sammlung von 1728. Es folgen dann Stïcke von Forqueray; noch immer ist nicht geklärt, ob es sich dabei tatsächlich um Gambenstücke von Antoine handelt oder ob diese von seinem Sohn Jean-Baptiste komponiert wurden. Die Cembalofassungen haben ihren Ursprung in Stücken für die Viola da gamba, und das erklärt, dass sie sich meistens im mittleren und unteren Bereich des Cembalos bewegen. Der Einfluss des italienischen Stils ist unverkennbar.

Die dritte CD beleuchtet die Spätphase des Cembalospiels; im letzten Viertel des Jahrhunderts wurde das Cembalo vom Fortepiano Konkurrenz gemacht. Es erklingen zunächst einige Stücke von Jacques Duphly, aus dem dritten und vierten Buch. In einem Stück hören wir einen 'Albertibass', damals beliebt in Musik im galanten Idiom. Auch verwendet Duphly die Form des Rondeaus, sehr beliebt in Frankreich in seiner Zeit. Es folgen dann einige Stücke von Claude-Bénigne Balbastre; er wird oft mit dem Verfall des Cembalospiels in Verbindung gebracht. Und eine gewisse Trivialisierung ist seinem Oeuvre nicht abzusprechen, hier zur Schau gestellt im Air gay. Dagegen ist Les Malesherbe ein schönes Stück, das schon nach Mozart riecht. Als letzter Vertreter der französischen Cembaloschule wird hier Armand Louis Couperin präsentiert. Auch in seinem Oeuvre ist Oberflächlichkeit festzustellen, aber das hier aufgeführte L'affligée ist ein bewegendes Stück, das eine heimgesuchte Person porträtiert.

Jos Van Immerseel kennen wir heute als Spieler historischer Klaviere und Dirigent des Orchesters Anima Eterna. Er hat aber als Cembalist angefangen, und es ist schön, dass er zu seiner alten Liebe zurückgekehrt ist. Mit Hilfe drei schöner historischer Instrumente präsentiert er eine fesselnde Übersicht der Entwicklung im Komponieren für das Cembalo in Frankreich sowie im Cembalobau. Insgesamt haben seine Interpretationen mir gut gefallen; allerdings fand ich ihn in Rameau etwas zu zurückhaltend. Schön sind die stilistisch überzeugenden Verzierungen: grosszügig, aber ohne Übertreibung. Die Anwendung der notes inégales ist subtil.

Auch wer die hier aufgenommenen Stücke schon in seiner CD-Sammlung hat, sollte sich diese Produktion überlegen, auch wegen der Instrumente, die man nicht alle Tage hört.

"Le clavecin à Paris au XVIIIe siècle"
Jos Van Immerseel, Cembalo
Channel Classica CSS45523 (© 2023) details

Freitag, 19. April 2024

Corrette & Dandrieu: Orgelmesse & Magnificat - David Ponsford

Der britische Organist David Ponsford ist ein Spezialist auf dem Gebiet der französischen Orgelmusik des Barock. Er hat ein Buch über die Orgelmusik, die unter dem Regime Ludwigs XIV. komponiert wurde, veröffentlicht, und seit einigen Jahren nimmt er für Nimbus eine Reihe CDs mit Musik einiger der grossen Vertreter ihres Fachs auf. Es liegt jetzt die Folge 8 vor, die der Orgelmesse von Gaspard Corrette (um 1671 bis vor 1733) gewidmet ist. Beim Namen Corrette denkt man an Michel, seinen Sohn, der einer der produktivsten Komponisten seiner Zeit war. Sein Vater hat nur wenig Musik hinterlassen: seine Orgelmesse ist das einzige Werk seiner Feder, das zu uns gekommen ist. Über sein Leben wissen wir wenig; nach einiger Zeit als Organist in Paris gewirkt zu haben, scheint er als Tanzmeister tätig gewesen zu sein.

Orgelmessen sind selbstverständlich für die Liturgie gemeint: die Orgelverse werden in Abwechslung mit einstimmigen Gesängen gespielt. Komponisten solcher Messen haben allerdings diese Gesänge nie in ihre Ausgaben aufgenommen, und die Wahl dieser Gesänge wird den Klöstern oder Kirchen überlassen. Diese Messe ist für den Gebrauch in einem Frauenkloster gemeint. Dort pflegte man ein Repertoire, das sich irgendwo zwischen dem traditionellen gregorianischen Gesang und den neukomponierten Gesängen der Zeit befindet. Wer die liturgischen Gesänge einbeziehen möchte, muss also eine Wahl treffen. David Ponsford hat darauf verzichtet, was völlig legitim ist. Auch ohne liturgische Einbettung verfehlt diese Musik ihre Auswirkung nicht.

Französische Orgelmusik des Barock lässt sich schwer auf andere Orgeln übertragen. Die Komponisten haben meistens die zu verwendenden Register genau angegeben, und diese sind auf andersartigen Instrumenten meistens nicht anzutreffen. Ponsford hat sich für ein Instrument entschieden, das 1709/10 von Andreas Silbermann in Marmoutier gebaut wurde; sein Sohn vollendete den Bau 1745. Nach Angaben von Ponsford ist es das nahezu ideale Instrument für diese Messe von Corrette; fast immer können die Register verwendet werden, die er vorgeschrieben hat.

Als eine Art von Zugabe hat Ponsford einige Werke von Jean-François Dandrieu hinzugefügt: ein Magnificat, zwei separate Stücke, ein Noël und Variationen über die Osterhymne O Filli et Filiae. Ich nehme an, dass Dandrieu später in diesem Projekt noch mal absonderlich zu Wort kommt. Die hier gespielten Stücke können als Einleitung dienen für jene, die dessen Musik nicht kennen.

Diese CD ist eine perfekte Kombination von Musik, Instrument und Interpret. Hier stimmt alles. Correttes Messe ist ein schönes Werk und die Orgel ein beeindruckendes Instrument. Ponsford erweist sich hier als der ideale Interpret, der alle Eigenschaften des Werkes voll zur Geltung bringt und die Farbenpracht der Orgel optimal ausnutzt. Kein Orgelfreund soll diese CD verpassen. Auch schon erschienene Folgen - alle aufgelistet im Textheft - gehören in jede Sammlung von Orgel-CDs.

G Corrette, Dandrieu: "Messe du 8e ton & Magnificat"
David Ponsford, Orgel
Nimbus NI6438 (© 2023) details

Freitag, 12. April 2024

The Queen's Masque - ensemble feuervogel



Im Jahre 1601 erschien in England eine Sammlung von 23 Madrigalen unter dem Titel The Triumphs of Oriana. Die Madrigale stammten von den angesehensten Komponisten der Zeit und waren der damaligen Königin Elisabeth I. gewidmet. Jedes Madrigal endet mit den gleichen Worten (allerdings mit einigen Varianten): "Da sangen die Hirten und die Nymphen der Diana, "Lang lebe die holde Oriana!"" 'Oriana' war die Heldin des Ritterromans Amadis de Gaul, mit der Elisabeth gleichgesetzt wurde. Und es war angemessen, dass die Nymphen und Hirten der Diana, der Göttin der Keuschheit, das Lob der unverheirateten Elisabeth, der 'jungfräulichen Königin', sangen. Drei dieser Madrigale sind zu hören im Programm, das das ensemble feuervogel (dessen Name auf Initiale verzichtet) aufgenommen hat. Es ist ganz der Königin gewidmet, aus der Überlegung heraus, dass es damals ziemlich ungewöhnlich war, dass eine Frau Staatsoberhaupt war. "Queen Elizabeth I. nahm die Kraft der Künste zu Hilfe, um sich selbst als weibliche Herrscherin zu inszenieren und zu legitimieren. Das Genre der englischen Masque, ein Spektakel der Künste und Herrscherlob zugleich, war dafür wie geschaffen. Ensemble feuervogel präsentiert die musikalischen Abdrücke dieser politischen und gesellschaftlichen Emanzipation und transformiert dabei die Form der Masque als Struktur dieser Einspielung in die Moderne", so ist im Textheft zu lesen.

Da gibt es zwei Probleme: ein selbstgemachtes und eines, das aus der Überlieferung hervorgeht. Das erste ist, dass nur einige Lieder sich direkt auf Elisabeth beziehen, wie die drei Madrigale aus der obengenannten Sammlung und, beispielsweise, das Lied Eliza is the fairest Queen von Edward Johnson. In anderen Fällen ist die Beziehung der Fantasie der Interpreten zuzuschreiben. Ob das überzeugt, soll der Hörer selbst entscheiden. Mich haben die Verbindungen nicht überzeugt.

Das zweite Problem liegt in der Natur der Masque. Diese Gattung vereinte Tanz, Musik, Szenerie und Schauspiel, und lässt sich kaum rekonstruieren. Welche Musik genau gespielt wurde, ist nicht bekannt, und es ist kaum Musik überliefert, die dabei gespielt wurde. Dann bleibt wohl wenig Anderes übrig, als sich anderen Gattungen von Instrumentalmusik zuzuwenden, und das Ensemble hat sich für die Consortmusik entschieden. In der Zeit der Elisabeth ist ein umfangreiches Repertoire an Consortmusik entstanden, das auf Gamben, Blockflöten oder in einer Mischung von Instrumenten verschiedener Familien gespielt werden konnte. Hier erklingen Blockflöten, verstärkt von einer Laute und Schlagzeug. Und dabei kommt dann ein Problem der Interpretation an die Oberfläche: in fast jedem Stück kommt Schlagzeug zum Einsatz. Es liegt auf der Hand, dass bei Masques Schlagzeug verwendet wurde, aber man sollte das nicht übertreiben. Eben das ist hier das Problem. In einigen Stücken ist es durchaus angebracht, Schlagzeug zu verwenden, in vielen anderen viel weniger oder gar nicht, wie im schon genannten Lied von Edward Johnson.

Die Lieder werden von der Sopranistin Carine Tinney gesungen, und das macht sie ziemlich gut; sie hat eine schöne Stimme, die zur Musik passt. Leider verwendet sie etwas zuviel Vibrato. Die Balance zwischen Stimme und Blockflöten ist wie sie sein sollte. Es ist schade, dass auf eine historische Aussprache verzichtet wurde. Das hat zur Folge, dass Reimworte nicht immer reimen.

Dem Spiel des Ensembles ist nichts auszusetzen, und ich hoffe es öfter zu hören. Leider hat das Programmkonzept mich nicht überzeugt und der aufdringliche Rolle des Schagzeugs hat mir den Spass an diese Produktion gehörig versaut.

"The Queen's Masque - A female representation of power in English 16th century consort music"
Carine Tinney, Sopran; ensemble feuervogel; Ziv Braha, Laute
Coviello Classics COV92309 (© 2023) details

Freitag, 29. März 2024

CPE Bach: Sonaten für Klavier und Violine - Kristian Bezuidenhout, Rachel Podger

In meiner CD-Sammlung habe ich eine stattliche Zahl von Aufnahmen der Sonaten für Cembalo und Violine von Johann Sebastian Bach. Fast jedes Jahr erscheint eine neue Aufnahme, und die Liste der verfügbaren Aufnahmen wächst stetig. Im Vergleich schneiden die Sonaten für die gleiche Besetzung, die Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel zu Papier gebracht hat, viel weniger gut ab. Sie sind zwar alle auf CD erschienen, und vor einigen Jahren erschien eine Gesamtaufnahme des Duos Belder Kimura (Resonus Classics, 2017), aber in Konzerten hört man sie kaum und sie gehören bei weitem nicht zum Standardrepertoire. Wer sie kennt, mag sich wundern, was die Ursache sein könnte. Auf jeden Fall ist es positiv zu bewerten, wenn Musiker der Spitzenklasse wie Kristian Bezuidenhout und Rachel Podger sich diesen Sonaten widmen.

Sie bieten eine Übersicht des Schaffens von Emanuel Bach in dieser Besetzung. Das Programm fängt mit der Sonate in G-Moll an, die früher dem Vater zugeschrieben und als BWV 1020 in den Schmieder-Katalog aufgenommen wurde. Später hat man dieses Werk dem Sohn zugeschrieben, aber es gibt keine Sicherheit über die Autorschaft. Daher ist es zu bedauern, dass die BWV-Nummer in der Trackliste gar nicht erwähnt wird. Falls sie von Emanuel stammt, hat er sie vielleicht unter Aufsicht seines Vaters komponiert, wie auch die Sonate in D-Dur (Wq 71), die das Programm abschliesst. Dazwischen stehen zwei Sonaten einer Gruppe von vier, die 1763 entstanden sind, sowie die Arioso con variazioni des Jahres 1780. In letzterem Werk zeigt sich vor allem die Empfindsamkeit, die als Merkmal des Schaffens von Emanuel Bach gilt. Die Sonate in H-Moll (Wq 76) ist ein dramatisches Werk, vor allem wegen der Interventionen der Geige. Der Mittelsatz der Sonate in C-Moll (Wq 78) ist sehr ausdrucksreich.

Man kann es diesen beiden Künstlern überlassen, die Merkmale der Sonaten ans Tageslicht zu bringen. Ihr Spiel ist makellos, und sie harmonieren perfekt. Sie machen klar, dass diese Sonaten zu Unrecht vernachlässigt werden. Deswegen würde ich diese Aufnahme gerne empfehlen, wenn es da nicht einen Haken gäbe. In den zwei frühesten Sonaten spielt Bezuidenhout ein Cembalo, und das ist zweifellos richtig. In der Arioso spielt er ein Fortepiano, und angesichts der Zeit der Entstehung ist das plausibel. Allerdings ist die Wahl einer Kopie eines Walter-Flügels des Jahres 1805 alles andere als plausibel. Dieses Instrument versetzt uns in die Klangwelt von Beethoven. Schlimmer noch ist, dass Bezuidenhout dieses Instrument auch benutzt in den Sonaten von 1763. Es ist äusserst unwahrscheinlich, dass Emanuel damals schon das Fortepiano gespielt hat, und wenn schon, dann einen Silbermann, und das ist eben ein ganz anderes Instrument als ein Walter.

Es ist mir ein Rätsel, weshalb Musiker, die sich der historischen Aufführungspraxis versprochen haben, sich so wenig um die Verwendung 'historisch korrekter' Instrumente scheren. Bezuidenhout ist gewiss nicht der Einzige. Wie gut hier auch gespielt wird, die Wahl des Fortepianos tut der Überzeugungskraft der Interpretation erheblichen Abbruch.

CPE Bach: "Sonatas for Keyboard & Violin"
Kristian Bezuidenhout, Cembalo, Fortepiano; Rachel Podger, Violine
Channel Classics CCSSA41523 (© 2023) details

Freitag, 1. März 2024

Le berger innocent - Ensemble Danguy



Im 18. Jahrhundert entstand ein lebhaftes Interesse an Musik, die für ein bestimmtes Land oder eine bestimmte Region charakteristisch war. Es war die Zeit der Aufklärung, die das Wissen der Menschen erweitern möchte und die Bedeutung des Lernens betonte. Dies führte zu einer Untersuchung unbekannter Kulturen, insbesondere aussereuropäische. Dies erklärt die Stellen von Türken, 'Indianern' oder Inkas in der französischen Musik des 18. Jahrhunderts. Das bekannteste Beispiel ist Jean-Philippe Rameaus Oper Les Indes galantes. Komponisten interessierten sich auch für die traditionelle Musik ihres eigenen Landes. In England zeigten mehrere Komponisten Interesse an traditioneller Musik aus Schottland, sogar Einwanderer wie Francesco Geminiani. Damit einher ging eine zunehmende Sehnsucht nach 'Natürlichkeit', wie sie etwa bei Giuseppe Tartini, aber auch bei Christoph Willibald von Gluck im Bereich der Oper zum Ausdruck kommt.

In Frankreich idealisierten Maler, Schriftsteller und Komponisten das natürliche und einfache Leben auf dem Lande. Das Wort champêtre taucht immer wieder in Musikwerken auf. Zwei Instrumente galten als typisch für das Landleben: die Vielle (Drehleier) und die Musette. Komponisten von Ruf, die wir heute noch kennen, wie Joseph Bodin de Boismortier, haben dafür Musik komponiert, aber die virtuosesten Stücke stammen von Spezialisten auf diesen Instrumenten, deren Namen fast ganz vergessen sind, wie Monsieur Ravet, Jean-Baptiste Dupuits und Jean-François Boüin. Dank Tobie Miller werden sie hetzutage wieder zu einiger Bekanntheit verholfen. Mit ihrem Ensemble Danguy hat sie vor einigen Jahren eine CD aufgenommen mit Sonaten, die zeigen wie hochentwickelt die Kunst des Spiels auf der Drehleier war, und dass es alles andere als ein 'primitives' Instrument ist. Auf ihrer neuesten CD wird das Repertoire ausgeweitet mit Stücken für zwei Drehleier (die zweite wird von Alice Humbert gespielt) und für Drehleier und Musette; letzteres Instrument spielt François Lazarevitch. Dazu kommen noch einige Vokalwerke, in der Monika Mauch zu hören ist. Die sogenannten cantatilles (kleine Kantaten) sind relativ einfach, und sind zweifellos für musikalische Laien bestimmt. Die Sonaten dagegen gehen wohl weit über ihre Fähigkeiten hinaus, und sind für Profis gedacht.

Diese Produktion bietet ein faszinierendes Bild der französischen (Musik)-Kultur, und beleuchtet einen Aspekt, den wir vielleicht aus den Büchern und Gemälden kennen, der in der Musik aber selten Beachtung findet. Tobie Miller ist eine echte Virtuosin auf ihrem Instrument, und ihr Spiel ist oft schlicht atemberaubend. Ihre Kollegen stehen ihr in nichts nach. Monika Mauch ist eine versierte Sängerin, und es ist immer eine Freude, sie zu hören. Schön, dass hier eine historische Aussprache gepflegt wird. Insgesamt ist diese CD eine echte Bereicherung der Diskographie und das Programm ist von Anfang bis Ende unterhaltsam, wegen der Qualität der Musik und des Niveaus der Interpretation.

"Le berger innocent"
Ensemble Danguy/Tobie Miller
Ricercar RIC 448 (© 2024) details

Montag, 26. Februar 2024

Cavalieri: Lamentationes - Profeti della Quinta



Der Name Emilio de' Cavalieri ist untrennbar mit einem Werk verbunden, der Rappresentatione di Anima e di Corpo, einer Moralität, die im Jahr 1600 uraufgeführt wurde und manchmal als die erste Oper der Geschichte betrachtet wird. Es war ein Werk von bahnbrechender Bedeutung, insbesondere wegen seiner Besetzung für Solostimmen und Basso continuo. Die Dialoge haben die Form von Rezitativen, die nach dem Prinzip des recitar cantando, dem Sprachgesang, dargestellt werden sollen. Auf diese Weise konnte der Text optimal dem Publikum vermittelt werden. In gewisser Weise ist die Musik zur Karwoche, die Gegenstand der vorliegenden CD ist, sogar noch zukunftsweisender. Die Zeit der Komposition ist nicht bekannt, aber auch wenn sie ungefähr zur gleichen Zeit entstand wie die Rappresentatione, war sie stilistisch höchst bemerkenswert, da die Klagelieder des Jeremia und die Tenebrae-Responsorien traditionell im stile antico vertont wurden, wie von Cavalieris Zeitgenossen Carlo Gesualdo und Tomás Luis de Victoria. Das macht es umso bemerkenswerter, dass die letzten Aufnahmen seiner Lamentationes schon mehr als zwanzig Jahre alt sind. 2001 veröffentlichte Alpha eine Aufnahme von Le Poème Harmonique, und 2002 erschien eine Aufnahme des Gesualdo Consort Amsterdam. Eine Neuaufnahme ist daher höchst willkommen, zumal sie auf einer Neuausgabe basiert, die der Leiter von Profeti della Quinta, Elam Rotem, erstellt hat. Sie ist kostenlos in der Petrucci Music Library erhältlich.

Wie oben erwähnt, ist das Entstehungsdatum der Klagelieder und Responsorien nicht bekannt. Da Cavalieri 1602 verstarb, sind sie wohl um 1600 oder sogar früher entstanden. Damit sind sie sehr modern und zukunftsweisend. In der Einleitung zur seiner Notenausgabe weist Rotem darauf hin, dass die Lamentationes Merkmale enthalten, die den Ideen, die Cavalieri im Vorwort zu seiner Rappresentatione zum Ausdruck brachte, entsprechen. Er legt grossen Wert auf Vielfältigkeit, in Affekten, Tonalität und Formeln, und in der Abwechslung solistischer Stellen. Die Lamentationes sind die ersten geistlichen Monodien der Geschichte, komponiert in einem deklamatorischen Stil, und mit Begleitung eines Basso continuo. Die Responsorien, die in Abwechslung mit den Lamentationes gesungen wurden, weichen stilistisch einigermassen von diesen ab, vor allem in dieser Hinsicht, dass sie Verzierungszeichen enthalten, die in den Lamentationes fehlen. Sie enthalten auch weniger solistische Stellen. Das könnte darauf hindeuten, dass sie nicht gleichzeitig entstanden sind. Beweisen lässt es sich aber nicht.

Diese Werke sind nicht nur zukunftsweisend, sie zeigen auch Ähnlichkeit mit den Madrigalen, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts von Komponisten wie De Rore, Luzzaschi und Gesualdo veröffentlicht wurden, insbesondere in der Verwendung von Madrigalismen - das sind musikalische Figuren zur Ausmalung einzelner Wörter oder Phrasen - und der Anwendung harmonischer Mittel - bespielsweise Chromatik - im Interesse des Ausdrucks.

Keine Frage: wir haben es hier mit Meisterwerken zu tun, die viel besser bekannt, und häufiger aufgeführt werden sollten. Die Neuausgabe von Elam Rotem bietet alle Möglichkeiten dazu. Sein Vorwort enthält viele Informationen zum Werk und zur Interpretation. Mit seinem Ensemble hat er eine eindrucksvolle Interpretation vorgelegt. Selten hört man solch tief schürfende Darbietungen, die nicht nur stilistisch voll überzeugen, sondern auch den Idealen des Komponisten voll und ganz gerecht werden. Sie hinterlassen einen bleibenden Eindruck und sind eine wesentliche Ergänzung der Diskographie der Musik zur Fasten- und Passionszeit.

De' Cavalieri: Lamentationes
Profeti della Quinta/Elam Rotem
Pan Classics PC 10451 (© 2023) details

Mittwoch, 14. Februar 2024

Aretino: Sabbato Sancto - Odhecaton

Diese CD-Besprechung erscheint am Aschermittwoch. Es ist der erste Tag der Fastenzeit: die vierzig Tage vor Ostern. Es ist die Zeit, in der traditionell in christlichen Kirchen Busspsalmen, die Klagelieder Jeremias (Lamentationes Jeremiae) und die Responsorien für die Karwoche (Tenebrae Responsoria) gesungen werden. Im Laufe der Zeit haben sich viele Komponisten mit den jeweiligen Texten auseinandergesetzt. Was die Renaissance anbetrifft, gehören die Busspsalmen von Orlandus Lassus, die Lamentationes von Thomas Tallis und die Responsorien von Tomás Luis de Victoria und Carlo Gesualdo zu den bekanntesten und am meisten dargebotenen Vertonungen. Daher ist es schön, dass dann und wann auch mal etwas anderes auf CD erscheint, wie die Lamentationen und Responsorien von Paolo Aretino (1508-1584), einem Geistlichen und Komponisten, der sein ganzes Leben in Arezzo verbracht hat. Arezzo liegt etwa 70 Kilometern südöstlich von Florenz, und mit Komponisten, die dort wirkten, hat er in Kontakt gestanden, insbesondere Francesco Corteccia.

Aretinos Oeuvre ist nicht sehr gross. Es enthält Responsorien, Lamentationen, Magnificatvertonungen, sowie eine Johannes-Passion. Dazu kommen noch zwei Sammlungen mit Madrigalen. Das Ensemble Odhecaton hat Lamentationen aus einer 1563 gedruckten Sammlung aufgenommen, und dazu die Responsorien aus einer Druckausgabe des Jahres 1544. Daraus geht schon hervor, dass es sich nicht um ein geschlossenes Werk handelt. Man hat für diese Aufnahme die jeweiligen Stücke nach der liturgischen Ordnung zusammengefügt. Bis ins 16. Jahrhundert wurden solche Werke einstimmig dargeboten. Die ersten mehrstimmigen Vertonungen der Klagelieder Jeremias erschienen 1506 bei Ottaviano Petrucci in Venedig. Aretinos Sammlung von 1544 ist die - soviel wir wissen - erste gedruckte Sammlung von mehrstimmigen Responsorien.

Ein Merkmal dieser Werke ist, dass sie grösstenteils homorhythmisch sind und in Doppelganze- und Ganze-Noten notiert sind, und immer im Zweitakt. Daraus geht ein ziemlich langsames Tempo hervor, das nur dann und wann variiert wird, wenn der Text dazu Anlass gibt. Wir sind hier noch ziemlich weit vom Ausdruck eines Gesualdo entfernt, aber hier und da gibt es Stellen, wo Aretino den Text musikalisch ausmalt. In einem Responsorium, beispielsweise, singt nur eine Stimme die Worte "sine adiutorio" - ohne Hilfe. Das abschliessende Benedictus - der Lobgesang des Zacharias - hat einen etwas leichteren Ton, was sich aus dem hoffnungsvollen Text erklärt. Aretino hat es wohl deswegen in einer höheren Tessitur notiert als die Lamentationes und Responsorien. Leider wird der Effekt hier zunichte gemacht, indem die Partien nach unten transponiert sind.

Das ist nur ein kleiner Kritikpunkt zu einer sehr interessanten und wichtigen Einspielung von Stücken, die zwar im Bereich des Ausdrucks nicht mit den vergleichbaren Werken von Gesualdo oder Victoria mithalten können, aber auf ganz eigene Weise durchaus bewegend sind, vor allem auch wegen des langsamen Tempos und der generell tiefen Lage. Das ist auch dem Ensemble Odhecaton zu verdanken: es wird vorzüglich gesungen, die Balance zwischen den Stimmgruppen ist perfekt und die Durchsichtigkeit des Klangbildes sorgt für eine gute Textverständlichkeit.

Aretino: "Sabbato Sancto - Lamentationes et Responsoria"
Odhecaton/Paolo Da Col
Arcana A551 (© 2023) details

Das Cembalo in Paris im 18. Jahrhundert

Im 17. Jahrhundert war die Laute das am meisten geschätzte Instrument in Frankreich. Das änderte sich gegen Ende des Jahrhunderts, als das...