Mittwoch, 26. März 2025

Musik mit Lyra viol - Friederike Heumann



Kaum irgendwo in Europa wurden im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts soviele Lieder für Singstimme und Laute komponiert und gedruckt als in England. Solche Lieder wurden oft in verschiedenen Besetzungen angeboten. Sie konnten von einer Singstimme und Laute dargestellt werden, aber auch mehrstimmig, mit oder ohne Instrumentalbegleitung. Die Laute war das favorisierte Begleitinstrument, aber auch ein Gambenensemble oder ein einziges Streichinstrument konnte verwendet werden.

Ein produktiver Komponist solcher Lieder war Robert Jones (c1577-1617). Er veröffentlichte fünf Bücher mit Liedern, die nicht generell positiv empfangen wurden. Und auch heute gibt es Musikwissenschaftler, die sich kritisch über seine Lieder geäussert haben. Umso bemerkenswerter ist es, dass Friederike Heumann sie zum Kern eines Programms gemacht hat, in dem sie mittels Vokal- und instrumentalmusik von Zeitgenossen - darunter einigen kaum bekannten - in ihren historischen Zusammenhang gestellt werden.

Im Programm kommt der Lyra viol eine besondere Bedeutung zu. Es gibt keine Einstimmigkeit zur Frage, ob es sich dabei um ein eigenständiges Instrument handelt oder um eine 'konventionelle' Viola da gamba. Ein Merkmal der Lyra viol ist, dass man darauf mehrstimmig spielen kann. Tobias Hume sah die Lyra viol als der Laute ebenbürtig, eine Auffassung, die von John Dowland kräftig widersprochen wurde.

Trotz der kritischen Kommentare gefallen mir die Lieder von Jones sehr gut. Sie verdienen ihren Platz im Repertoire, und die Begleitung von einer Lyra viol macht sie umso attraktiver. Dass sie überzeugen können, ist auch der Interpretation zu verdanken. Diese sind in jeder Hinsicht gelungen. Anna-Lena Elbert verfügt über eine wunderschöne Stimme, und ihre Darbietungen haben mir besonders gut gefallen. Sie ist keine Spezialistin für alte Musik, scheint sich aber in diesem Repertoire ganz wohl zu fühlen. Stilistisch kann sie voll überzeugen, beispielsweise im Bereich der Verzierungen. Sie widmet dem Text grosse Aufmerksamkeit und weiss jedes Lied so zu charakterisieren, dass der Inhalt optimal zur Geltung kommt. Ihre englische Aussprache ist besonders gut. Da englische Kolleg(inn)en meistens auch eine moderne Aussprache pflegen, wäre eine historische Aussprache hier wohl zuviel verlangt.

Auch im instrumentalen Bereich ist hier alles in Ordnung. Friederike Heumanns expressives Spiel ist ein gutes Argument für Tobias Humes Meinung zur Lyra viol. Die Rolle der Harfe ist überraschend: man hört sie selten in englischer Musik dieser Zeit. Man sollte allerdings bedenken, dass William Lawes Consortmusik mit Harfe komponierte.

Alles in allem: eine sehr erfreuliche Produktion, die einem Komponisten gewidmet ist, der kaum bekannt ist und besser ist als sein Ruf, und alles auf glanzvolle Weise dargeboten.

"Dreames and Imaginations - Poeticall Musicke to be sung to the Lyra viol"
Anna-Lena Elbert, Sopran; Friederike Heumann, Viola da gamba, Lyra viol; Angélique Mauillon, Harfe; Evangelina Mascardi, Laute
TYXart - TXA 21162 (© 2024) Details

Mittwoch, 19. März 2025

Aumann: Passionsoratorium - Gunar Letzbor



Dass die Musik von Franz Joseph Aumann (1728-1797) nicht völlig unbekannt geblieben ist wie sie lange Zeit war, verdanken wir fast ganz Gunar Letzbor. Er stöbert gerne in Archiven herum, und dem Archiv des Augustiner-Chorherrenstifts St. Florian gilt sein besonderes Interesse, auch weil er enge Verbindungen zum Stift pflegt, wegen der St. Florianer Sängerknaben, die oft an seinen CD-Aufnahmen beteiligt sind. Dort stiess er vor Jahren auf das Oeuvre von Aumann, der im Jahre 1753 in das Kloster eintrat, und dort von 1755 bis zu seinem Tode als regens chori wirkte. Sein Oeuvre wird auf um die 300 Werke geschätzt. Die Tatsache, dass viele seiner Werke an anderen Orten aufgefunden worden sind, ist ein Indiz für die Wertschätzung, die ihm zuteil geworden ist. Sogar Anton Bruckner, der von 1845 bis 1855 u.a. auch als regens chori wirkte, schätzte Aumanns Musik.

Letzbor nahm 2008 Aumanns Requiem auf, vor einigen Jahren gefolgt von einem Programm mit Kammermusik. Im vergangenen Jahr (aber zu spät für eine Besprechung zur richtigen Zeit) erschien die Aufnahme eines Passionsoratoriums: das Oratorium de Passione Domini nostri Jesu Christi. Wann das Werk entstanden ist, scheint nicht bekannt zu sein, aber es wurde höchstwahrscheinlich an einem Karfreitag aufgeführt. Es gehört zur Tradition des sepolcro, wie es im 17. bis zum frühen 18. Jahrhundert am Kaiserhof zu Wien aufgeführt wurde. Offensichtlich wurde diese Tradition anderswo kopiert bzw. fortgesetzt. Das Werk steht auch in der Tradition des Passionsoratoriums, in dem nicht die Leidensgeschichte selbst, sondern eher die Reaktionen von Leuten um Jesus herum im Mittelpunkt stehen. Dieses Werk weicht davon dann wieder ab, indem hier keine biblische Charaktere, sondern nur allegorische Figuren auftreten: der Glaube (Sopran), die Hoffnung (Alt), die Liebe (Tenor) und der Sünder (Bass). Der letztere ist die Hauptperson: die anderen drei sollen ihn davon überzeugen, dass er aus seinem Sündenschlaf erwachen soll und sich, im Anblick des Kreuzes und des sterbenden Jesus, sich bekehren und büssen soll. Somit könnte man dieses Werk als eine Moralität bezeichnen.

Das Ziel eines solchen Werkes war, die Zuhörer zu berühren und sie zur Identifikation mit dem Sünder zu bringen. Ein Werk wie dieses passt ganz zum Ideal der Gegenreformation: dem Durchschnittsgläubigen die Lehren der Kirche zu übertragen. Das gefühlsbetonte Idiom dieses Werkes ist dazu wohl geeignet. Man höre beispielsweise die erste Arie: ein ungewohnt langes Stück, in einem langsamen Tempo gesungen, mit einer obligaten Violastimme, in der der Sünder - eigentlich dem Schluss vorwegnehmend - Reue über seine Sünden äussert und um Vergebung bittet. Alexandre Baldo identifiziert sich ganz mit dem Charakter und bringt eine äusserst indringliche und ergreifende Interpretation. Durch das ganze Werk hindurch dringt er tief in seine Partie hinein; seine Darstellungen sind eine Meisterleistung.

Die anderen Interpreten stehen ihm wenig bis nichts nach. Alois Mühlbacher ist differenziert in seiner Arie, sowohl musikalisch als in der Interpretation des Textes. Markus Miesenbergers schöne und flexible Stimme eignet sich perfekt für die Arie der Liebe; die wäre in einer Oper nicht fehl am Platz. Die Partie des Glaubens wird von zwei Solisten der St. Florianer Sängerknaben gestaltet, wie das in Aumanns Zeit ohne Zweifel auch gemacht wurde. Dieser Chor hat immer exzellente Solisten in seiner Reihe, und diese beiden sind dafür gute Beispiele. Sie singen technisch makellos; einzige Stellen hätten vielleicht etwas klarer ausgemalt werden können und sie hätten sich in den Rezitativen etwas mehr Freiheit nehmen sollen. Insgesamt verdienen ihre Darstellungen aber Lob. Das Ensemble spielt alert und farbenreich und lotet die Affekte jeder Arie voll aus.

Ich bin von diesem Oratorium ziemlich beeindruckt. Es hat viel Mühe gekostet, das Material aus verschiedenen Quellen zu sammeln und zu einer ausführbaren Partitur zusammenzufügen. Diese Mühe hat sich aber gelohnt, und Letzbor gebührt Dank für seine Arbeit. Es ist zu hoffen, dass die Partitur veröffentlicht wird, denn angesichts des Herangehens an die Passionsgesichte und der Qualität der Musik ist dieses Oratorium eine echte Bereicherung des Passionsrepertoires.

Franz Joseph Aumann: "Passionsoratorium"
Fabio Alves Pereira, Kendrick Nsambang [soli], Laurenz Oberfichtner, Valentin Werner [tutti], Sopran; Alois Mühlbacher, Altus; Markus Miesemberger, Tenor; Alexandre Baldo, Bass; Ars Antiqua Austria/Gunar Letzbor
Accent ACC 24405 (© 2024) Details

Donnerstag, 13. März 2025

Blockflötenkonzerte aus Sanssouci - Isaac Makhdoomi



Blockflötisten sind immer auf der Suche nach Repertoire. Ihr Instrument wurde im Barockzeitalter hauptsächlich von Laien gespielt, und deswegen ist die Musik, die originell für die Blockflöte komponiert wurde, nicht oft technisch anspruchsvoll. Im Jahre 2023 erschien eine CD, auf der Isaac Makhdoomi Konzerte von Vivaldi spielt. Sie stellen aus technischer Sicht eine Ausnahme da, denn sie sind äusserst virtuos, und waren wahrscheinlich für einen Profi bestimmt, allerdings keinen professionellen Blockflötisten, denn solche gab es damals nicht, aber einen professionellen Oboisten.

Für die hier besprochene CD hat Makhdoomi drei Konzerte von Komponisten, die eng mit dem Hofe Friedrichs des Grossen verbunden waren, ausgesucht. Der Titel stimmt natürlich nicht: es wurden für den Hof Friedrichs keine Blockflötenkonzerte geschrieben, denn die Blockflöte war schon ganz von der Traversflöte verdrängt worden. Alle drei Konzerte sind ursprünglich für andere Instrumente konzipiert worden, und zwei Konzerte mussten transponiert werden um sie auf der Blockflöte spielen zu können.

Das gilt für das Konzert in G-Dur von Johann Joachim Quantz, das ursprünglich für die Traversflöte geschrieben wurde, und hier nach A-Dur transponiert wurde. Die Interpretation ist relativ gut gelungen, vor allem da Quantz - ganz nach dem Geschmack Friedrichs - das galante Idiom pflegte. Tiefe Gefühle will es nicht ausdrücken. Allerdings ist die Kadenz im zweiten Satz übertrieben lang.

Beim Konzert in d-Moll (Wq 22) von Carl Philipp Emanuel Bach sieht es anders aus. Die Blockflöte ist nicht gut geeignet für den gefühlsbetonten Stil, den Bach bevorzugte. Die Artikulation wirkt unnatürlich und geht auf Kosten der Phrasierung, und die Blockflöte ist zu frisch und fröhlich, um den Gefühlsausdrücken dieses Konzerts gerecht zu werden.

Das dritte Werk ist das Konzert in e-Moll für Violine, hier transponiert nach d-Moll, von Franz Benda. Er wurde insbesondere geschätzt für die Interpretation der Adagios seiner eigenen Konzerte. Auch hier zeigt sich, dass Musik und Instrument nicht gut zusammenpassen. Dazu kommt noch das typisch geigerische Idiom, das sich nicht so leicht auf ein ganz anderes Instrument übertragen lässt.

Als eine Art von Bonus spielt Makhdoomi eine Arie aus der Oper L'Orfeo von Carl Heinrich Graun. Es ist eine tragische Arie, aber das würde man nicht merken, wenn man das Original oder den Text nicht kennt (der übrigens im Textheft abgedruckt wurde).

Makhdoomi ist ein exzellenter Blockflötist, und das zeigt er hier. Auch sein Ensemble ist sehr gut. Leider können beide, und insbesondere Makhdoomi, in diesem Repertoire nur bedingt überzeugen.

"Recorder Concertos from Sanssouci"
Isaac Makhdoomi, Blockflöte; Ensemble Piccante
Prospero PROSP0112 (© 2025) Details

Mittwoch, 5. März 2025

Dos Santos: Responsorien für Karfreitag - Enrico Onofri



Diese CD-Besprechung erscheint am Aschermittwoch, dem Anfang der Fastenzeit, die ihren Höhepunkt in der Karwoche findet. Jedes Jahr erscheinen neue Aufnahmen mit Passionsmusik und über die ganze Welt werden Konzerte mit solcher Musik veranstaltet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass in ganz wenigen Konzerten Musik aus der Zeit der Klassik erklingen wird. Der Hauptgrund ist, dass im heutigen Konzertleben diese Periode der Musikgeschichte ganz von Haydn, Mozart und Beethoven dominiert wird, und diese wenig bis nichts für die Passionszeit komponiert haben. Die wichtigsten Ausnahmen sind das Stabat mater und Die sieben Worte von Haydn. Vielleicht kommt auch Beethovens Oratorium Christus am Ölberge hier und da mal zum Klingen, und auch das Stabat mater von Boccherini wird aufgeführt werden.

Gibt es denn sonst gar nichts? Doch, aber das Oeuvre von Zeitgenossen der drei grossen Klassiker wird noch kaum erschöpft. Es ist sehr wahrscheinlich, dass eine Untersuchung eines weniger bekannten Meisters Passionsmusik an die Oberfläche befördert, obwohl man bedenken soll, dass mehrere Komponisten keine Position innehatten, die das Komponieren von Passionsmusik erforderte.

Die hier zu besprechende Produktion enthält Musik eines Komponisten, den die wenigsten Musikliebhaber kennen werden. Sowieso wird erst seit relativ kurz die Musik Portugals systematisch untersucht und aufgezeichnet. Der italienische Geiger und Dirigent Enrico Onofri hat in den letzten Jahren einiges auf CD aufgenommen, und auch jetzt zeichnet er verantwortlich für die Aufnahme von Responsorien für die Karwoche von José Joquim dos Santos (1747-1801).

Im Alter von sechs Jahren wurde Dos Santos Schüler des Patriarchalseminars in Lissabon, einer Musikschule, die der Königlichen Kapelle angeschlossen war. 1770 wurde er zum Komponisten des Patriarchalseminars ernannt und 1773 zum Rektor des Königlichen Seminars. Dos Santos besuchte Italien nie, kam jedoch durch Kollegen, die in Italien gewesen waren und italienische Komponisten, die in Portugal arbeiteten, in engen Kontakt mit dem italienischen, insbesondere dem neapolitanischen Stil. Darüber hinaus fand italienische Musik durch die Verbreitung von Handschriften weite Verbreitung.

Es sind vor allem die Vertonungen der Responsorien für die Karwoche von Renaissancekomponisten wie Carlo Gesualdo und Tomás Luis de Victoria bekannt geworden. Von diesen Vertonungen zu denen von Dos Santos ist ein weiter Schritt. Sie sind um 1788 entstanden und für vier Stimmen - Soli und Tutti - komponiert; diese werden von zwei Bratschen, Violoncello, Kontrabass und Fagott begleitet. Das mündet in ein dunkles Klangbild, das perfekt zu diesen Texten passt. Einige Responsorien sind dramatisch; Wörter wie "gegeißelt" und "gekreuzigt" werden plastisch ausgemalt. Es gibt auch Responsorien, die tiefen Trauer ausdrücken, wie 'Tenebrae factae sunt' (Resonsorium V) und 'Caligaverunt oculi mei' (Responsorium IX). Im letztgenannten Responsorium finden wir die herbsten Dissonanzen zur Phrase "Seht, ihr alle, ob es irgendeinen Kummer gibt wie meinen Kummer".

Diese Vertonungen sind ganz anders als solche, die man meistens hört, aber in ihrer ganz eigenen Musiksprache verfehlen sie ihre Wirkung nicht. Dos Santos hat ausdrucksstarke Vertonungen geschaffen, die es wert sind, ausgegraben und einem breiten Publikum zugänglich gemacht zu werden. Die Sänger sorgen für eine eindringliche Darstellung, in der der Text immer im Mittelpunkt steht. Die tiefen Instrumente unterstreichen effektiv die Traurigkeit der Texte.

Diese Produktion ist eine der interessantesten der diesjährigen Passionszeit.

José Joaquim dos Santos: "In Parasceve - Responsories for Good Friday"
Raquel Alão, Sopran; Rita Filipe, Alt; Rodrigo Carreto, Tenor; Hugo Oliveira, Bass; Officium Ensemble; Real Câmara/Enrico Onofri
Passacaille PAS 1155 (© 2025) Details

Donnerstag, 27. Februar 2025

Colonna: Vesperpsalmen für zwei Chöre - Michele Vannelli


Im 17. Jahrhundert war Bologna eines der wichtigsten Musikzentren Italiens, vergleichbar mit Rom und Venedig. Die Stadt spielte eine wichtige Rolle in der Entwicklung verschiedener Gattungen, wie das Concerto grosso und das Violinkonzert, sowie im Spiel auf Violoncello und Trompete. Hier wurde auch die berühmte Accademia Filarmonica gegründet; einer der Gründer war Giovanni Paolo Colonna.

Als Sohn eines Orgelbauers wurde er entsprechend erzogen; er entwickelte sich zu einem Experten in Sachen Orgelbau. In Rom wurde er Schüler von Orazio Benevoli und Giacomo Carissimi. Nach seiner Rückkehr war er an verschiedenen Kirchen als Organist tätig, unter anderem der Basilica San Petronio. Von 1662 bis zu seinem Tode 1695 wirkte er dort als Kapellmeister.

Colonna scheint eine Vorliebe für die coro spezzati-Technik gehegt zu haben: nicht weniger als sieben Sammlungen seiner Werke sind für Doppelchor konzipiert. Michele Vannelli, der heutige Kapellmeister der Basilika San Petronio, setzt sich für das musikalische Erbe seiner Vorgänger ein, und präsentiert hier einige Werke für das Vesperofficium. Wie gesagt war Bologna ein Zentrum des Trompetenspiels, und es ist passend, dass das Programm mit einer Sonate für zwei Trompeten und Streicher von Giuseppe Torelli, dem Pionier in diesem Bereich, eröffnet wird. Es folgt dann die Versikel Deus in adiutorium, wieder mit zwei Trompetenstimmen.

Eine Besonderheit im Dixit Dominus ist, dass Colonna dann und wann die Doppelchörigkeit beiseite lässt, und alle acht Stimmen separat behandelt in imitativer Manier. Technisch ist es ein anspruchsvolles Werk, in dem sich Soli und Tutti abwechseln. Auch der Psalm Beatus vir hat etwas Besonderes zu bieten. Hier wird das Orchester behandelt wie in einem Concerto grosso: der erste Chor wird von zwei Violinen und Violoncello begleitet, der zweite von ripieno Streichern. Das resultiert in eine Art von Vierchörigkeit.

Zwischen den beiden Hauptwerken erklingt noch eine Motette für Bass und Streicher, die mit zwei verschiedenen Texten überliefert ist. Hier wird der Text gesungen, den Colonna dazu veranlasst hat, das Werk mit dem Schutzpatron Bolognas, Sankt Petronius, zu verbinden. Die CD schliesst mit dem kurzen Psalm Laudate Dominum, in dem wieder zwei Trompeten mitspielen.

Es ist schön, dass Colonnas Oeuvre wieder zum Leben erweckt wird. Es ist auf CD nicht sonderlich gut vertreten. Diese Produktion beweist, dass er mehr Aufmerksamkeit verdient. Im Grossen und Ganzen ist die Interpretation gut gelungen. Die Qualität der eingespielten Werke kommt gut zum Tragen. Ein paar kritische Bemerkungen sind aber unvermeidlich. Die erste betrifft die Gesangssolisten: vor allem die Soprane hätten etwas weniger Vibrato benutzen sollen; es stört vor allem in den Ensembles. Die zweite betrifft die Aufnahme. Der Nachhall in der Basilika stellt eine grosse Herausforderung dar, sogar wenn sie mit Zuhörern gefüllt ist, wie bei diesem Live-Mitschnitt. In dieser Aufnahme wird der Nachhall ausgeblendet, aber oft auf eine ziemlich unnatürliche Art und Weise. Dadurch gibt es oft einen Moment völliger Stille zwischen den Abschnitten eines Stücks, was künstlich und ziemlich störend ist. Es hat mir zwar nicht wirklich den Genuss verdorben, aber es ist trotzdem enttäuschend. Meines Erachtens soll man die akustischen Umstände akzeptieren, wie sie nun einmal sind. Das könnte bedeuten, dass man das Tempo zurücknimmt, um die Musik wirklich ausklingen zu lassen.

Es soll aber niemanden davon abhalten, sich diese Aufnahme zu ergattern. Diese CD könnte dazu beitragen, Colonna seinen rechtmäßigen Platz in der Musikgeschichte zurückzugeben.

Giovanni Paolo Colonna: "Caro ardore, sacro amore - Concerted Psalms for two choirs and orchestra"
Clarissa Reali, Roberta Pozzer, Sopran; Gabriella Martellacci, Michele Borazio, Alt; Alberto Allegrezza, Riccardo Pisani, Tenor; Gabriele Lombardi, Guglielmo Buonsanti, Bass; Coro e Orchestra della Cappella Musicale di S. Petronio (Bologna), Ensemble Vocale 'Color Temporis'/Michele Vannelli
Dynamic CDS8044 (© 2024) details

Mittwoch, 19. Februar 2025

Die Experten: die Dynastien Bach und Silbermann - Louis-Noël Bestion de Camboulas



Bach und Silbermann werden oft in einem Atemzug genannt. Sie kannten sich gut, ihre Wege kreuzten sich, und Gottfried Silbermann präsentierte sein erstes Fortepiano dem Thomaskantor, und dessen kritisches Urteil gab ihm Anlass sein Konzept zu verbessern. Die Verbindung zwischen Bach und Silbermann hat dazu geführt, dass Silbermanns Orgeln oft als die ideale Instrumente für Bachs Musik betrachtet werden, aber darüber lässt sich streiten.

Der französische Cembalist und Organist Louis-Noël Bestion de Camboulas hat die Verbindung Bach-Silbermann zum Anlass genommen, beide auf eine CD zusammenzubringen. Sein Ziel war es, den Entwicklungsgang bei beiden nachzuzeichnen. Diesen gibt es in der Bach-Familie vor allem zwischen dem Vater und seinen Söhnen bzw. Schülern. Diese wird dann verbunden mit den Entwicklungen in der Silbermann-Dynastie - neben Gottfried sein Bruder Andreas - und deren Schüler. Das hat sich niedergeschlagen in ein Programm mit Stücken, in denen abwechselnd Orgel, Cembalo und Fortepiano gespielt werden.

Als Silbermann-Orgel hat sich De Camboulas für das Instrument im Dom zu Freiberg entschieden; als Fortepiano erklingt eine Kopie eines Silbermann-Flügels, dessen Original nicht erwähnt wird. Es ist erstaunlich, dass das Cembalo eine Kopie eines anonym überlieferten Instruments ist, obwohl sich einige der von Silbermann erbauten Cembali in Museen befinden.

Wie stellt man ein Programm zusammen, das die Entwicklungen auf dem Gebiet des Instrumentenbaus und die stilistischen Entwicklungen in der Komposition von Musik zusammenbringen möchte? Selbstverständlich stehen Tasteninstrumente im Mittelpunkt, und da Bach ein berühmter Klavierspieler war und auch seine Söhne und Schüler die Kunst des Spiels auf Tasteninstrumenten beherrschten, ist es nicht schwer, relevante Werke auszuwählen. Wir hören die Tasteninstrumente sowohl solistisch wie im Ensemble. Im letzten Fall erklingen einige Lieder mit Basso continuo oder Fortepiano, eine der Triosonaten von Johann Sebastian in einer Besetzung mit zwei Violinen und Basso continuo, sowie ein kurzes Klaviertrio von Carl Philipp Emanuel.

Solostücke auf Orgel, Cembalo und Fortepiano gibt es vom Vater und den Söhnen. Schüler fehlen ganz im Programm. Hätte De Camboulas diese auch noch in sein Programm einbezogen, wäre es noch kurzatmiger ausgefallen als es schon der Fall ist. Denn das ist mein grösstes Bedenken gegen diese Aufnahme: es gibt einige grössere Werke - die beiden Triosonaten (eine als Kammermusik und eine als ein Orgelwerk, wie sie gemeint ist), die Fantasie und Fuge in c-Moll (BWV 562) und das Ricercar a 3 aus dem Musicalischen Opfer - aber auch viele sehr kurze Stücke. Die Auswahl wirkt etwas willkürlich, und die ganz kurzen Stücke kämen in einer Art von Suite viel besser zum Tragen.

Und dann gibt es natürlich die Frage, welches Instrument man für ein bestimmtes Werk auswählt. Für die Zeit der Bach-Söhne, als verschiedene Instrumente nebeneinander existierten, lässt sich meistens nicht sagen, welches denn zu bevorzugen ist. In gewisser Weise hinkt diese Aufnahme auf zwei Beinen. Die stilistische Entwicklung der Musik der Bach-Familie hält keinen Gleichschritt mit der Entwicklung der Klavierinstrumente.

Die Interpretationen sind im Grossen und Ganzen gut gelungen. In der Fantasie und Fuge hätte ich in der Fantasie gerne eine etwas schärfere Artikulation gehört. Diskutabel ist auch der Unterschied in Registrierung zwischen der Fantasie und der Fuge (aber darüber laufen die Meinungen auseinander). Die Darstellungen auf dem Fortepiano haben mir am Besten gefallen. Die Instrumentalisten spielen sehr schön, aber ihr Anteil ist relativ bescheiden. Marc Mauillon hat eine schöne Stimme, aber in Bist du bei mir - warum wieder dieses abgehackte Lied? - sind seine Verzierungen etwas stereotyp.

Kurzum: meine Begeisterung hält sich in Grenzen.

"The Experts - The Bach & Silbermann Dynasties"
Louis-Noël Bestion de Camboulas, Cembalo, Fortepiano, Orgel; Marc Mauillon, Bariton; Ensemble Les Surprises
Harmonia mundi HMM 902738 (© 2024) details

Donnerstag, 13. Februar 2025

Bachs Oboe - Xenia Löffler



Es steht fest, dass Johann Sebastian Bach die Oboe sehr geschätzt hat. Schon früh hat er sie in Kompositionen einbezogen, und in vielen Kantaten gibt es obligate Partien für die Oboe. Leider hat er keine Konzerte oder Sonaten für das Instrument geschrieben. Kein Problem, dachte Xenia Löffler, dann mache ich solche eben selber. Nicht aus dem Nichts, versteht sich, aber aus dem Oeuvre von Bach selbst. Zwei Sonaten für Cembalo und Traversflöte und zwei der Triosonaten für Orgel hat sie für Oboe und andere Instrumente eingerichtet, und dazu nahm sie noch vier Orgelwerke.

Gegen solche Bearbeitungen ist nichts einzuwenden. Schliesslich haben die grossen Komponisten des Barock selber ihre eigenen Werke - oder Werke von Kollegen - bearbeitet. Dazu zählt auch Bach. Von mehreren Werken kennen wir sowohl die Bearbeitung wie auch das Original. Von mehreren geistlichen Kantaten gibt es weltliche Vorlagen, und fünf der sechs 'Schübler-Choräle' für Orgel sind Bearbeitungen von Arien aus Kantaten. Auch im Falle der Triosonaten für Orgel wird vermutet, dass es sich - ganz oder zum Teil - um Bearbeitungen früherer Werke handelt. Sie sind 1730 entstanden, aller Wahrscheinlichkeit nach als Übungsmaterial für Wilhelm Friedemann. Auf jeden Fall die Sonate e-Moll (BWV 528) könnte als Triosonate für zwei Melodieinstrumente und Basso continuo konzipiert worden sein. Es gibt mehrere Aufnahmen dieser Werke als Kammermusik, und diese klingen ganz natürlich, was diese Vermutungen verstärkt. Hier werden zwei dieser Sonaten in verschiedener Besetzung aufgeführt: die Oberstimmen der Sonate C-Dur (BWV 529) werden auf Oboe und Violine, die der Sonate e-Moll (BWV 528) auf Oboe d'amore und Viola da gamba dargestellt. Diese Kombinationen sind gut gewählt: im einen Fall dominieren die hellen Klänge, im anderen die dunkleren Farben.

Zu den wichtigsten Werken der barocken Flötenliteratur gehört die Sonate b-Moll (BWV 1030), in der dem Cembalo eine obligate Rolle zukommt. Da es eine Kopie des Cembaloparts in g-Moll gibt, das als die erste Fassung betrachtet wird, und in dieser Tonart die Sonate auf der Traversflöte unspielbar ist, wird angenommen, Bach habe dieses Werk in erster Linie für die Oboe konzipiert. Auf jeden Fall klingt sie in dieser Fassung ganz wunderbar, auch wegen der brillianten Interpretation. Hier glänzt nicht nur Xenia Löffler, sondern auch Flóra Fábri auf dem Cembalo, die den rhythmischen Puls exzellent realisiert, was dem Werk einen fühlbaren Tanzcharakter verleiht.

Die Authentizität der Sonate Es-Dur (BWV 1031) ist zweifelhaft. Es gibt Vermutungen, sie könnte von Carl Philipp Emanuel Bach stammen, aber einer wie Barthold Kuijken glaubt daran nicht. Seiner Meinung nach kommen weder Johann Sebastian noch seine beiden ältesten Söhne als Komponist in Betracht. Aber wer soll das Werk dann komponiert haben? Wir werden es vielleicht nie wissen. Sei's drum, es ist ein schönes Stück, das ein fester Platz im Repertoire hat, und auch hier in einer Fassung für Cembalo und Oboe sich behaupten kann.

Schliesslich erklingen noch drei Choralvorspiele für Orgel in einer gelungenen Kombination von Oboe bzw. Oboe d'amore, Violine, Viola da gamba und Violoncello. Hier lässt sich die vokale Spielweise von Xenia Löffler bewundern. Und dann gibt es noch die Canzona d-Moll (BWV 588), die in einer reinen Bläserbesetzung gespielt wird: Oboe, Taille und zwei Fagotte. Holzbläserensembles gab es nachweislich in Bachs Zeit: im Oeuvre von Telemann, beispielsweise, gibt es Werke in Fassungen für Bläser mit und ohne Streicher.

Nicht alle Aufnahmen von Bearbeitungen von Bachs Musik sind überzeugend. Diese ist es aber. Die Bearbeitungen sind gut gemacht, und das Spiel aller Beteiligten ist von grosser Klasse. Jeder Bachfreund wird diese CD nicht missen wollen. Und Liebhaber der Oboe haben die Gelegenheit ihr Lieblingsinstrument in einigen der schönsten Kammermusikwerken von Bach zu geniessen.

Johann Sebastian Bach: "Bach's Oboe"
Xenia Löffler, Oboe, Oboe d'amore; Michael Bosch, Taille; Daniel Deuter, Julia Scheerer, Violine; Vittorio Ghielmi, Viola da gamba; Katharina Litschig, Violoncello; Györgyi Farkas, Christian Beuse, Fagott; Flóra Fábri, Cembalo
Accent ACC 24406 (© 2024) details

Musik mit Lyra viol - Friederike Heumann

Kaum irgendwo in Europa wurden im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts soviele Lieder für Singstimme und Laute komponiert und gedruckt als ...