Mittwoch, 5. März 2025

Dos Santos: Responsorien für Karfreitag - Enrico Onofri



Diese CD-Besprechung erscheint am Aschermittwoch, dem Anfang der Fastenzeit, die ihren Höhepunkt in der Karwoche findet. Jedes Jahr erscheinen neue Aufnahmen mit Passionsmusik und über die ganze Welt werden Konzerte mit solcher Musik veranstaltet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass in ganz wenigen Konzerten Musik aus der Zeit der Klassik erklingen wird. Der Hauptgrund ist, dass im heutigen Konzertleben diese Periode der Musikgeschichte ganz von Haydn, Mozart und Beethoven dominiert wird, und diese wenig bis nichts für die Passionszeit komponiert haben. Die wichtigsten Ausnahmen sind das Stabat mater und Die sieben Worte von Haydn. Vielleicht kommt auch Beethovens Oratorium Christus am Ölberge hier und da mal zum Klingen, und auch das Stabat mater von Boccherini wird aufgeführt werden.

Gibt es denn sonst gar nichts? Doch, aber das Oeuvre von Zeitgenossen der drei grossen Klassiker wird noch kaum erschöpft. Es ist sehr wahrscheinlich, dass eine Untersuchung eines weniger bekannten Meisters Passionsmusik an die Oberfläche befördert, obwohl man bedenken soll, dass mehrere Komponisten keine Position innehatten, die das Komponieren von Passionsmusik erforderte.

Die hier zu besprechende Produktion enthält Musik eines Komponisten, den die wenigsten Musikliebhaber kennen werden. Sowieso wird erst seit relativ kurz die Musik Portugals systematisch untersucht und aufgezeichnet. Der italienische Geiger und Dirigent Enrico Onofri hat in den letzten Jahren einiges auf CD aufgenommen, und auch jetzt zeichnet er verantwortlich für die Aufnahme von Responsorien für die Karwoche von José Joquim dos Santos (1747-1801).

Im Alter von sechs Jahren wurde Dos Santos Schüler des Patriarchalseminars in Lissabon, einer Musikschule, die der Königlichen Kapelle angeschlossen war. 1770 wurde er zum Komponisten des Patriarchalseminars ernannt und 1773 zum Rektor des Königlichen Seminars. Dos Santos besuchte Italien nie, kam jedoch durch Kollegen, die in Italien gewesen waren und italienische Komponisten, die in Portugal arbeiteten, in engen Kontakt mit dem italienischen, insbesondere dem neapolitanischen Stil. Darüber hinaus fand italienische Musik durch die Verbreitung von Handschriften weite Verbreitung.

Es sind vor allem die Vertonungen der Responsorien für die Karwoche von Renaissancekomponisten wie Carlo Gesualdo und Tomás Luis de Victoria bekannt geworden. Von diesen Vertonungen zu denen von Dos Santos ist ein weiter Schritt. Sie sind um 1788 entstanden und für vier Stimmen - Soli und Tutti - komponiert; diese werden von zwei Bratschen, Violoncello, Kontrabass und Fagott begleitet. Das mündet in ein dunkles Klangbild, das perfekt zu diesen Texten passt. Einige Responsorien sind dramatisch; Wörter wie "gegeißelt" und "gekreuzigt" werden plastisch ausgemalt. Es gibt auch Responsorien, die tiefen Trauer ausdrücken, wie 'Tenebrae factae sunt' (Resonsorium V) und 'Caligaverunt oculi mei' (Responsorium IX). Im letztgenannten Responsorium finden wir die herbsten Dissonanzen zur Phrase "Seht, ihr alle, ob es irgendeinen Kummer gibt wie meinen Kummer".

Diese Vertonungen sind ganz anders als solche, die man meistens hört, aber in ihrer ganz eigenen Musiksprache verfehlen sie ihre Wirkung nicht. Dos Santos hat ausdrucksstarke Vertonungen geschaffen, die es wert sind, ausgegraben und einem breiten Publikum zugänglich gemacht zu werden. Die Sänger sorgen für eine eindringliche Darstellung, in der der Text immer im Mittelpunkt steht. Die tiefen Instrumente unterstreichen effektiv die Traurigkeit der Texte.

Diese Produktion ist eine der interessantesten der diesjährigen Passionszeit.

José Joaquim dos Santos: "In Parasceve - Responsories for Good Friday"
Raquel Alão, Sopran; Rita Filipe, Alt; Rodrigo Carreto, Tenor; Hugo Oliveira, Bass; Officium Ensemble; Real Câmara/Enrico Onofri
Passacaille PAS 1155 (© 2025) Details

Donnerstag, 27. Februar 2025

Colonna: Vesperpsalmen für zwei Chöre - Michele Vannelli


Im 17. Jahrhundert war Bologna eines der wichtigsten Musikzentren Italiens, vergleichbar mit Rom und Venedig. Die Stadt spielte eine wichtige Rolle in der Entwicklung verschiedener Gattungen, wie das Concerto grosso und das Violinkonzert, sowie im Spiel auf Violoncello und Trompete. Hier wurde auch die berühmte Accademia Filarmonica gegründet; einer der Gründer war Giovanni Paolo Colonna.

Als Sohn eines Orgelbauers wurde er entsprechend erzogen; er entwickelte sich zu einem Experten in Sachen Orgelbau. In Rom wurde er Schüler von Orazio Benevoli und Giacomo Carissimi. Nach seiner Rückkehr war er an verschiedenen Kirchen als Organist tätig, unter anderem der Basilica San Petronio. Von 1662 bis zu seinem Tode 1695 wirkte er dort als Kapellmeister.

Colonna scheint eine Vorliebe für die coro spezzati-Technik gehegt zu haben: nicht weniger als sieben Sammlungen seiner Werke sind für Doppelchor konzipiert. Michele Vannelli, der heutige Kapellmeister der Basilika San Petronio, setzt sich für das musikalische Erbe seiner Vorgänger ein, und präsentiert hier einige Werke für das Vesperofficium. Wie gesagt war Bologna ein Zentrum des Trompetenspiels, und es ist passend, dass das Programm mit einer Sonate für zwei Trompeten und Streicher von Giuseppe Torelli, dem Pionier in diesem Bereich, eröffnet wird. Es folgt dann die Versikel Deus in adiutorium, wieder mit zwei Trompetenstimmen.

Eine Besonderheit im Dixit Dominus ist, dass Colonna dann und wann die Doppelchörigkeit beiseite lässt, und alle acht Stimmen separat behandelt in imitativer Manier. Technisch ist es ein anspruchsvolles Werk, in dem sich Soli und Tutti abwechseln. Auch der Psalm Beatus vir hat etwas Besonderes zu bieten. Hier wird das Orchester behandelt wie in einem Concerto grosso: der erste Chor wird von zwei Violinen und Violoncello begleitet, der zweite von ripieno Streichern. Das resultiert in eine Art von Vierchörigkeit.

Zwischen den beiden Hauptwerken erklingt noch eine Motette für Bass und Streicher, die mit zwei verschiedenen Texten überliefert ist. Hier wird der Text gesungen, den Colonna dazu veranlasst hat, das Werk mit dem Schutzpatron Bolognas, Sankt Petronius, zu verbinden. Die CD schliesst mit dem kurzen Psalm Laudate Dominum, in dem wieder zwei Trompeten mitspielen.

Es ist schön, dass Colonnas Oeuvre wieder zum Leben erweckt wird. Es ist auf CD nicht sonderlich gut vertreten. Diese Produktion beweist, dass er mehr Aufmerksamkeit verdient. Im Grossen und Ganzen ist die Interpretation gut gelungen. Die Qualität der eingespielten Werke kommt gut zum Tragen. Ein paar kritische Bemerkungen sind aber unvermeidlich. Die erste betrifft die Gesangssolisten: vor allem die Soprane hätten etwas weniger Vibrato benutzen sollen; es stört vor allem in den Ensembles. Die zweite betrifft die Aufnahme. Der Nachhall in der Basilika stellt eine grosse Herausforderung dar, sogar wenn sie mit Zuhörern gefüllt ist, wie bei diesem Live-Mitschnitt. In dieser Aufnahme wird der Nachhall ausgeblendet, aber oft auf eine ziemlich unnatürliche Art und Weise. Dadurch gibt es oft einen Moment völliger Stille zwischen den Abschnitten eines Stücks, was künstlich und ziemlich störend ist. Es hat mir zwar nicht wirklich den Genuss verdorben, aber es ist trotzdem enttäuschend. Meines Erachtens soll man die akustischen Umstände akzeptieren, wie sie nun einmal sind. Das könnte bedeuten, dass man das Tempo zurücknimmt, um die Musik wirklich ausklingen zu lassen.

Es soll aber niemanden davon abhalten, sich diese Aufnahme zu ergattern. Diese CD könnte dazu beitragen, Colonna seinen rechtmäßigen Platz in der Musikgeschichte zurückzugeben.

Giovanni Paolo Colonna: "Caro ardore, sacro amore - Concerted Psalms for two choirs and orchestra"
Clarissa Reali, Roberta Pozzer, Sopran; Gabriella Martellacci, Michele Borazio, Alt; Alberto Allegrezza, Riccardo Pisani, Tenor; Gabriele Lombardi, Guglielmo Buonsanti, Bass; Coro e Orchestra della Cappella Musicale di S. Petronio (Bologna), Ensemble Vocale 'Color Temporis'/Michele Vannelli
Dynamic CDS8044 (© 2024) details

Mittwoch, 19. Februar 2025

Die Experten: die Dynastien Bach und Silbermann - Louis-Noël Bestion de Camboulas



Bach und Silbermann werden oft in einem Atemzug genannt. Sie kannten sich gut, ihre Wege kreuzten sich, und Gottfried Silbermann präsentierte sein erstes Fortepiano dem Thomaskantor, und dessen kritisches Urteil gab ihm Anlass sein Konzept zu verbessern. Die Verbindung zwischen Bach und Silbermann hat dazu geführt, dass Silbermanns Orgeln oft als die ideale Instrumente für Bachs Musik betrachtet werden, aber darüber lässt sich streiten.

Der französische Cembalist und Organist Louis-Noël Bestion de Camboulas hat die Verbindung Bach-Silbermann zum Anlass genommen, beide auf eine CD zusammenzubringen. Sein Ziel war es, den Entwicklungsgang bei beiden nachzuzeichnen. Diesen gibt es in der Bach-Familie vor allem zwischen dem Vater und seinen Söhnen bzw. Schülern. Diese wird dann verbunden mit den Entwicklungen in der Silbermann-Dynastie - neben Gottfried sein Bruder Andreas - und deren Schüler. Das hat sich niedergeschlagen in ein Programm mit Stücken, in denen abwechselnd Orgel, Cembalo und Fortepiano gespielt werden.

Als Silbermann-Orgel hat sich De Camboulas für das Instrument im Dom zu Freiberg entschieden; als Fortepiano erklingt eine Kopie eines Silbermann-Flügels, dessen Original nicht erwähnt wird. Es ist erstaunlich, dass das Cembalo eine Kopie eines anonym überlieferten Instruments ist, obwohl sich einige der von Silbermann erbauten Cembali in Museen befinden.

Wie stellt man ein Programm zusammen, das die Entwicklungen auf dem Gebiet des Instrumentenbaus und die stilistischen Entwicklungen in der Komposition von Musik zusammenbringen möchte? Selbstverständlich stehen Tasteninstrumente im Mittelpunkt, und da Bach ein berühmter Klavierspieler war und auch seine Söhne und Schüler die Kunst des Spiels auf Tasteninstrumenten beherrschten, ist es nicht schwer, relevante Werke auszuwählen. Wir hören die Tasteninstrumente sowohl solistisch wie im Ensemble. Im letzten Fall erklingen einige Lieder mit Basso continuo oder Fortepiano, eine der Triosonaten von Johann Sebastian in einer Besetzung mit zwei Violinen und Basso continuo, sowie ein kurzes Klaviertrio von Carl Philipp Emanuel.

Solostücke auf Orgel, Cembalo und Fortepiano gibt es vom Vater und den Söhnen. Schüler fehlen ganz im Programm. Hätte De Camboulas diese auch noch in sein Programm einbezogen, wäre es noch kurzatmiger ausgefallen als es schon der Fall ist. Denn das ist mein grösstes Bedenken gegen diese Aufnahme: es gibt einige grössere Werke - die beiden Triosonaten (eine als Kammermusik und eine als ein Orgelwerk, wie sie gemeint ist), die Fantasie und Fuge in c-Moll (BWV 562) und das Ricercar a 3 aus dem Musicalischen Opfer - aber auch viele sehr kurze Stücke. Die Auswahl wirkt etwas willkürlich, und die ganz kurzen Stücke kämen in einer Art von Suite viel besser zum Tragen.

Und dann gibt es natürlich die Frage, welches Instrument man für ein bestimmtes Werk auswählt. Für die Zeit der Bach-Söhne, als verschiedene Instrumente nebeneinander existierten, lässt sich meistens nicht sagen, welches denn zu bevorzugen ist. In gewisser Weise hinkt diese Aufnahme auf zwei Beinen. Die stilistische Entwicklung der Musik der Bach-Familie hält keinen Gleichschritt mit der Entwicklung der Klavierinstrumente.

Die Interpretationen sind im Grossen und Ganzen gut gelungen. In der Fantasie und Fuge hätte ich in der Fantasie gerne eine etwas schärfere Artikulation gehört. Diskutabel ist auch der Unterschied in Registrierung zwischen der Fantasie und der Fuge (aber darüber laufen die Meinungen auseinander). Die Darstellungen auf dem Fortepiano haben mir am Besten gefallen. Die Instrumentalisten spielen sehr schön, aber ihr Anteil ist relativ bescheiden. Marc Mauillon hat eine schöne Stimme, aber in Bist du bei mir - warum wieder dieses abgehackte Lied? - sind seine Verzierungen etwas stereotyp.

Kurzum: meine Begeisterung hält sich in Grenzen.

"The Experts - The Bach & Silbermann Dynasties"
Louis-Noël Bestion de Camboulas, Cembalo, Fortepiano, Orgel; Marc Mauillon, Bariton; Ensemble Les Surprises
Harmonia mundi HMM 902738 (© 2024) details

Donnerstag, 13. Februar 2025

Bachs Oboe - Xenia Löffler



Es steht fest, dass Johann Sebastian Bach die Oboe sehr geschätzt hat. Schon früh hat er sie in Kompositionen einbezogen, und in vielen Kantaten gibt es obligate Partien für die Oboe. Leider hat er keine Konzerte oder Sonaten für das Instrument geschrieben. Kein Problem, dachte Xenia Löffler, dann mache ich solche eben selber. Nicht aus dem Nichts, versteht sich, aber aus dem Oeuvre von Bach selbst. Zwei Sonaten für Cembalo und Traversflöte und zwei der Triosonaten für Orgel hat sie für Oboe und andere Instrumente eingerichtet, und dazu nahm sie noch vier Orgelwerke.

Gegen solche Bearbeitungen ist nichts einzuwenden. Schliesslich haben die grossen Komponisten des Barock selber ihre eigenen Werke - oder Werke von Kollegen - bearbeitet. Dazu zählt auch Bach. Von mehreren Werken kennen wir sowohl die Bearbeitung wie auch das Original. Von mehreren geistlichen Kantaten gibt es weltliche Vorlagen, und fünf der sechs 'Schübler-Choräle' für Orgel sind Bearbeitungen von Arien aus Kantaten. Auch im Falle der Triosonaten für Orgel wird vermutet, dass es sich - ganz oder zum Teil - um Bearbeitungen früherer Werke handelt. Sie sind 1730 entstanden, aller Wahrscheinlichkeit nach als Übungsmaterial für Wilhelm Friedemann. Auf jeden Fall die Sonate e-Moll (BWV 528) könnte als Triosonate für zwei Melodieinstrumente und Basso continuo konzipiert worden sein. Es gibt mehrere Aufnahmen dieser Werke als Kammermusik, und diese klingen ganz natürlich, was diese Vermutungen verstärkt. Hier werden zwei dieser Sonaten in verschiedener Besetzung aufgeführt: die Oberstimmen der Sonate C-Dur (BWV 529) werden auf Oboe und Violine, die der Sonate e-Moll (BWV 528) auf Oboe d'amore und Viola da gamba dargestellt. Diese Kombinationen sind gut gewählt: im einen Fall dominieren die hellen Klänge, im anderen die dunkleren Farben.

Zu den wichtigsten Werken der barocken Flötenliteratur gehört die Sonate b-Moll (BWV 1030), in der dem Cembalo eine obligate Rolle zukommt. Da es eine Kopie des Cembaloparts in g-Moll gibt, das als die erste Fassung betrachtet wird, und in dieser Tonart die Sonate auf der Traversflöte unspielbar ist, wird angenommen, Bach habe dieses Werk in erster Linie für die Oboe konzipiert. Auf jeden Fall klingt sie in dieser Fassung ganz wunderbar, auch wegen der brillianten Interpretation. Hier glänzt nicht nur Xenia Löffler, sondern auch Flóra Fábri auf dem Cembalo, die den rhythmischen Puls exzellent realisiert, was dem Werk einen fühlbaren Tanzcharakter verleiht.

Die Authentizität der Sonate Es-Dur (BWV 1031) ist zweifelhaft. Es gibt Vermutungen, sie könnte von Carl Philipp Emanuel Bach stammen, aber einer wie Barthold Kuijken glaubt daran nicht. Seiner Meinung nach kommen weder Johann Sebastian noch seine beiden ältesten Söhne als Komponist in Betracht. Aber wer soll das Werk dann komponiert haben? Wir werden es vielleicht nie wissen. Sei's drum, es ist ein schönes Stück, das ein fester Platz im Repertoire hat, und auch hier in einer Fassung für Cembalo und Oboe sich behaupten kann.

Schliesslich erklingen noch drei Choralvorspiele für Orgel in einer gelungenen Kombination von Oboe bzw. Oboe d'amore, Violine, Viola da gamba und Violoncello. Hier lässt sich die vokale Spielweise von Xenia Löffler bewundern. Und dann gibt es noch die Canzona d-Moll (BWV 588), die in einer reinen Bläserbesetzung gespielt wird: Oboe, Taille und zwei Fagotte. Holzbläserensembles gab es nachweislich in Bachs Zeit: im Oeuvre von Telemann, beispielsweise, gibt es Werke in Fassungen für Bläser mit und ohne Streicher.

Nicht alle Aufnahmen von Bearbeitungen von Bachs Musik sind überzeugend. Diese ist es aber. Die Bearbeitungen sind gut gemacht, und das Spiel aller Beteiligten ist von grosser Klasse. Jeder Bachfreund wird diese CD nicht missen wollen. Und Liebhaber der Oboe haben die Gelegenheit ihr Lieblingsinstrument in einigen der schönsten Kammermusikwerken von Bach zu geniessen.

Johann Sebastian Bach: "Bach's Oboe"
Xenia Löffler, Oboe, Oboe d'amore; Michael Bosch, Taille; Daniel Deuter, Julia Scheerer, Violine; Vittorio Ghielmi, Viola da gamba; Katharina Litschig, Violoncello; Györgyi Farkas, Christian Beuse, Fagott; Flóra Fábri, Cembalo
Accent ACC 24406 (© 2024) details

Donnerstag, 6. Februar 2025

Steffani: Vesperpsalmen & Stabat mater - Florian Lohmann



Es gibt Komponisten, die sich wegen eines Werkes oder wegen ihrer Beiträge zu einer Gattung einen Namen gemacht haben. Dazu gehört auch Agostino Steffani (1654-1728), der schon in seiner Zeit wegen seiner Duette berühmt war. Sie wurden von Komponisten späterer Generationen, darunter Georg Friedrich Händel, zum Vorbild genommen. Er hat aber auch viele Opern komponiert und dazu Kirchenmusik.

Florian Lohmann hat sich mit dem Collegium Vocale Hannover und dem Ensemble la festa musicale diesem Schaffen zugewandt. Steffani war ein Wunderkind, der als Knabensopran schon in der Oper auftrat. Als 13-Jähriger ging er nach München, wo er am Hofe angestellt wurde. Später ging er nach Rom, wo er bei Ercole Bernabei studierte, der später Kapellmeister in München werden sollte. Die Früchte dieses Studiums ist Psalmodia Vespertina, eine Sammlung von Vesperpsalmen zu acht Stimmen in zwei Chören und Basso continuo, die 1674 in Rom veröffentlicht wurde.

Wie soviel Kirchenmusik, die in Rom komponiert wurde, stehen diese Werke im stile antico. In Rom hatt die Kirche das Sagen, und sie stand dem damals geläufigen, 'modernen' Stil, skeptisch bis ablehnend gegenüber, da dieser als zu opernhaft galt. Das hat Komponisten nicht davon abgehalten, Elemente dieses Stils in ihre Kompositionen einzubeziehen. Das betrifft vor allem eine enge Verbindung zwischen Text und Musik. Das ist auch in diesen Psalmen der Fall. Mit musikalischen Mitteln, wie Figuren, Harmonie und metrischen Verschiebungen werden bestimmte Textstellen herausgehoben. Auch die Aufteilung der Stimmen in zwei Chöre wird hier und zur Hervorhebung von Wörtern und Phrasen ausgenutzt.

Im Verlaufe seines Lebens war Steffani immer mehr aktiv im Bereich der Diplomatie, und dazu kam später noch eine Karriere in der Kirche. Die Folge war, dass er nach 1700 seine musikalische Arbeit so gut wie ganz einstellte. Erst in den 1720'er Jahren fing er wieder an zu komponieren. Das führte dann dazu, dass er zum ersten Präsidenten der 1726 in London gegründeten Academy of Vocal Music (später zu Academy of Ancient Music umbenannt) gewählt wurde, obwohl er nicht in England war (und auch nie dort gewesen ist). Im Januar 1728 komponierte Steffani sein letztes Werk, das er als sein Bestes betrachtete: das Stabat mater. Es wurde nach seinem Tode veröffentlicht. Es ist für sechs Stimmen, Streicher und Basso continuo komponiert. Der Text ist aufgeteilt in Abschnitte, die abwechselnd von Solostimmen und Tutti dargestellt werden. Auch hier mangelt es nicht an musikalischer Textausdeutung, wie die Geißelschläge ("et flagellis subditum").

Mit dem Stabat mater schliesst sich, sozusagen, der Kreis von Steffanis Leben. Dieses Spätwerk und die Vesperpsalmen aus seinen frühen Jahren sind Beispiele seines ausdrucksreichen Stils. Deswegen war es durchaus sinnvoll, sie auf eine CD zusammenzubringen. Die Interpretationen sind nahezu ideal. Das Collegium Vocale Hannover ist ein vorzügliches Ensemble, dessen Mitglieder auch in den Soloabschnitten zu überzeugen wissen. Im Stabat mater machen auch die vier absonderlich erwähnten Solisten alles genau richtig. In den Vesperpsalmen werden auch mal Instrumente eingesetzt, die meistens colla voce spielen, darunter auch Zink, Dulzian und Posaunen, die damals noch in der Kirchenmusik verwendet wurden.

Im Bereich der Sakralmusik des Barock gehört diese CD zu den besten, die ich in letzter Zeit gehört habe.

Agostino Steffani: Psalmodia Vespertina, Stabat Mater
Kerstin Dietl, Sopran; Franz Vitzthum, Altus; Daniel Schreiber, Tenor; Thilo Dahlmann, Bass; Collegium Vocale Hannover, la festa musicale/Florian Lohmann
Arcantus ARC24055 (© 2024) details

Mittwoch, 29. Januar 2025

Walther & Bach: Meister im Spiegel - Federico Terzi



Der italienische Organist Federico Terzi kam auf die glänzende Idee, Johann Sebastian Bach und Johann Gottfried Walther auf eine CD zusammenzubringen, und zwar mit einigermassen vergleichbaren Werken. Ob das schon mal gemacht wurde, weiss ich nicht. Es liegt aber auf der Hand: sie waren verwandt - Walthers Großvater mütterlicherseits, Valentin Lämmerhirt aus Erfurt, war der Halbbruder von Bachs Mutter Elisabeth Lämmerhirt - und waren einige Jahre Kollegen in Weimar, wo Bach zunächst als Organist und dann auch als Konzermeister am Hofe wirkte, während Walther Organist an der Stadtkirche war. Die Gefahr eines solchen Programms ist, dass der Hörer sie vergleicht und dann sich fragt, welcher der bessere sei. Das macht aber keinen Sinn und Terzi vermeidet es im Textheft.

In seinem Programm zeichnet er die verschiedenen Einflüsse nach. Es gibt zwei freie Werke: die Toccata con Fuga C-Dur von Walther ist der norddeutschen Orgelschule - und darüber hinaus dem italienischen stylus phantasticus - verpflichtet, während Bachs Fantasie in G-Dur, besser bekannt als Pièce d'orgue, den französischen Einfluss zeigt. Rein italienisch sind dann die Bearbeitungen von Konzerten von Vivaldi. Beide haben mehrere solcher Stücke bearbeitet, auf Anregung des Prinzen Johann Ernst von Sachsen-Weimar. Walthers Bearbeitungen sind alle für Orgel, während im Oeuvre von Bach die meisten für das Cembalo gemeint sind, wie auch das Konzert BWV 972, das Terzi ausgewählt hat. Das lässt sich problemlos auf der Orgel darstellen.

Auch mit älterer italienischen Musik haben Bach und Walther sich beschäftigt: beide nahmen jemals ein Thema von Arcangelo Corelli für eine Fuge bzw. vier Variationen.

Der dritte Einfluss ist hausgemacht: Bearbeitungen von Chorälen , mit denen beide aufgewachsen sind. Es erklingen von beiden Bearbeitungen von Das alte Jahr vergangen ist und Jesu, meine Freude; die Stücke von Bach stammen aus dem Orgelbüchlein. Es ist durchaus interessant zu hören, wie unterschiedlich sie die jeweilige Melodie behandeln.

Terzi spielt auf der Orgel in der Kirche zu Boudry in der Schweiz; es handelt sich um eine Kopie der Silbermann-Orgel in der Kirche zu Großhartmannsdorf in Deutschland. Es erweist sich als ein sehr gutes Instrument für dieses Repertoires. Terzi kann auch stilistisch überzeugen; er scheut oberflächlige Effekte, und weiss mit den choralgebundenen Werken durchaus etwas anzufangen. Nur dann und wann hätte ich mir eine etwas schärfere Artikulation gewünscht. Dass auf diese Weise das Orgeloeuvre von Walther in die Aufmerksamkeit gerückt wird, ist ein weiterer Plus dieser Produktion.

Für Orgelliebhaber ist diese Aufnahme eine schöne und interessante Erweiterung ihrer CD-Sammlung.

Johann Gottfried Walther, Johann Sebastian Bach: "Maestros in the mirror"
Federico Terzi, organ
Da Vinci Classics C00941 (© 2024) details

Freitag, 24. Januar 2025

JC Bach & Mozart: Sonaten und Konzerte - Inés Moreno Uncilla



Es ist bemerkenswert, wie die Wertschätzung von Musik sich im Verlauf der Geschichte ändern kann. Nehmen wir Beethovens dritte Sinfonie: ihr wurde bei der Erstaufführung die Sinfonie von Anton Eberl in der gleichen Tonart gegenübergestellt. Die Mehrheit der Zuhörer bevorzugten Eberls Sinfonie, während heutzutage Eberl eine Randfigur im Musikleben ist und Beethovens Eroica zu den beliebtesten Orchesterwerken zählt.

Etwas Vergleichbares gibt es bei der Wertschätzung von Johann Christian Bach. Es gibt wohl kaum jemanden, der ihn zu den grössten Komponisten des 18. Jahrhunderts rechnet. Aber kein geringerer als Mozart schätzte ihn über alles. Als er hörte, dass Bach verstorben war, betrachtete er das als eine grosse Verlust für die Musikwelt. Die beiden hatten sich während des Besuchs der Mozarts in London getroffen und es führte zu einer engen Freundschaft. Als Bach 1766 seine Klaviersonaten Op. 5 veröffentlichte, hatte Mozart London schon verlassen, aber möglicherweise hat er in London diese Sonaten gesehen oder gehört, oder vielleicht selber gespielt. Auf jeden Fall wählte er die Sonaten 2 bis 4 aus, um sie zu Kammerkonzerten für Klavier, zwei Violinen und Bass zu bearbeiten.

Für eine CD reichen diese Konzerte nicht. Es liegt auf der Hand das Programm mit den drei übrigen Sonaten zu erweitern. Das hat Inés Moreno Uncilla gemacht. Es gibt Musikliebhaber - und vielleicht auch Interpreten - die Johann Christian Bachs Musik als oberflächlich betrachten. Der Eindruck, der seine Musik macht, hängt zum Teil auch von den verwendeten Instrumenten ab.

Ich kenne Aufnahmen der Sonaten Op. 5 auf einem Fortepiano nach Anton Walter (1795), aber so ein Instrument passt nicht zu diesen Stücken. Die erste Ausgabe des Op. 5 nennt zwar das Fortepiano - zum ersten Mal in einer in England gedruckten Ausgabe - aber an zweiter Stelle, nach dem Cembalo. Das war zu jener Zeit zweifellos das am meisten gespielte Tasteninstrument, vielleicht neben dem Spinett. Es ist daher richtig, dass Inés Moreno Uncilla sich für das Cembalo entschieden hat, nicht nur in den Sonaten, sondern auch in Mozarts Bearbeitungen, denn es gibt keinen Zweifel, dass Mozart in der Zeit, als er sie schuf, noch Cembalo gespielt hat.

Das klingende Resultat gibt ihr recht. Falls gespielt auf dem richtigen Instrument treten die Qualitäten dieser Sonaten ans Tageslicht. Man höre das ausdrucksstarke grave, das die Sonata VI eröffnet. Und die Sonata V ist ein brillantes Werk, das hier eine glänzende Interpretation empfängt.

Was Mozarts Konzerte anbetrifft: es gibt mehrere Aufnahmen, und obwohl ich sie nicht alle kenne, glaube ich, dass diese Neuaufnahme zu den besten gezählt werden kann. Die schnellen Sätze werden energisch dargestellt, die langsamen subtil und mit Gefühl. Diese Produktion scheint die erste Aufnahme von Inés Moreno Uncilla und das Minué Ensemble zu sein. Ein besseres Debut haben sie wohl nicht machen können.

Wolfgang Amadeus Mozart, Johann Christian Bach: "Opus V"
Inés Moreno Uncilla, Cembalo; Minué Ensemble
Ars Produktion ARS 38 660 (© 2024) details

Dos Santos: Responsorien für Karfreitag - Enrico Onofri

Diese CD-Besprechung erscheint am Aschermittwoch, dem Anfang der Fastenzeit, die ihren Höhepunkt in der Karwoche findet. Jedes Jahr ersche...