Critica Musica
Johan van Veen
Mittwoch, 13. November 2024
Benevoli: Missa Benevola - Robert Hollingworth
Orazio Benevoli (1605-1672) ist ein bekannter Name. Es gab mal eine Zeit, dass man annahm, er sei der Komponist der Missa Salisburgensis, bis sich herausstellte, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach ein Werk von Heinrich Ignaz Franz Biber ist. Es wundert nicht, dass man Benevoli als Komponist betrachtete, denn er war ein Spezialist in der Komposition mehrchöriger Werke. Es gab im 17. Jahrhundert in Rom eine Tradition von Mehrchörigkeit, die bis zu Palestrina zurückreicht. Dieser komponierte Musik für Doppelchor, aber Benevoli und einige andere gingen weiter. Sie gelten als Vertreter eines Stils, den Musikwissenschaftler als Kolossalbarock bezeichnen. Es wurden Messen für mehr als zwei Chöre komponiert, bis zu nicht weniger als zwölf Chören.
In seiner Missa Benevola gibt sich Benevoli noch relativ bescheiden, denn hier kommt er mit 'nur' vier Chören aus. Das Werk ist wahrscheinlich für ein Marienfest bestimmt, möglicherweise Mariä Himmelfahrt (15. August). Das Werk besteht aus den üblichen fünf Teilen, aber in Rom wurde das Benedictus immer ausgelassen. Ausserdem wird das Agnus Dei nur einmal gesungen; der Bitte um Frieden im dritten Agnus Dei wird nicht gesungen.
Bei solch gross angelegten Messen stand die äusserliche Pracht der Musik und des ausführenden Apparats im Mittelpunkt, und damit die Macht der Kirche - ein wichtiger Bestandteil der Gegenreformation. Für Textausdruck gibt es bei einer solchen Besetzung wenig Gelegenheit; der Text der Messe bietet dafür auch nicht besonders viel Anhaltspunkte. Einige Besonderheiten gibt es trotzdem, und darauf weist Robert Hollingworth in seiner informativen Einführung im Textheft (nur auf englisch) hin.
Neben der Messe von Benevoli enthält diese CD auch drei Werke seines Zeitgenossen Giacomo Carissimi (1605-1674). Wie Benevoli wirkte er in Rom; er ist vor allem wegen seiner Oratorien bekannt geworden. Die Historia di Jephte gehört zu seinen berühmtesten Schöpfungen; schon in seiner Zeit wurde vor allem der hochexpressive Schlusschor gelobt. Dieses Werk wird auch hier dargeboten. Dazu kommen zwei Motetten. Interessant ist, dass Carissimi aus dem Psalm Super flumina Babylonis einen dramatischen Dialog macht, unter anderem da er Verse aus anderen Bibelstellen hinzufügt, und die vier Stimmen in zwei hohe und zwei tiefe Stimmen aufteilt. Paratum cor meum ist ein virtuoses Stück für Bass; es ist ein Musterbeispiel des monodischen Stils.
Insgesamt sind die Interpretationen gut gelungen. Selbstverständlich lässt sich der räumliche Effekt einer Kirche nicht auf CD reproduzieren. Die Aufnahmetechniker haben aber eine lobenswerte Arbeit geleistet. Es wird sehr schön gesungen, solistisch wie im Ensemble. Leider gibt es dann und wann ein hörbares, aber glücklicherweise nur leichtes Vibrato in einigen Stimmen. In Carissimis Oratorium sind Greg Skidmore und Julia Doyle exzellent als Jephtha bzw. seine Tochter. Leider hat Hollingworth an einigen Stellen Schlagzeug eingesetzt. Das ist zu demonstrativ, und ist hier fehl am Platz. Es ist ein Schönheitsfehler auf einer ansonsten empfehlenswerten Produktion.
Benevoli: Missa Benevola
I Fagiolini, The City Musick/Robert Hollingworth
Coro COR 16208 (© 2024) details
Dienstag, 5. November 2024
Spiritus Domini: Sakralwerke des Innsbrucker Hoforganisten Paul Sartorius (1569-1609) - Marini Consort Innsbruck
Die Tiroler Landesmuseen produzieren seit Jahren eine Reihe von CDs, die Musik aus Österreich gewidmet sind. Oft handelt es sich um Musik von Komponisten, die fast keiner kennt. Das trifft auch auf Paul Sartorius zu. Das ist bemerkenswert, denn in seiner Zeit stand er in hohem Ansehen. Man wurde nicht umsonst von Habsburger Fürsten als Organist angestellt.
Sartorius wurde mit dem Namen Paul Schneider in Nürnberg getauft. Er wurde Schüler von Leonhard Lechner, der von 1575 bis 1584 an der St Lorenzschule tätig war. Er reiste nach Italien, um seinen Horizont zu erweitern; dort begegnete er die führenden Komponisten der Zeit, darunter Palestrina. Ab 1594 wirkte er als Organist in der Kapelle des Erzherzogs Maximilian III. von Österreich, Sohn des Kaisers Maximilian II.. Als Maximilian noch in Mergentheim lebte, formierte er schon eine eigene Kapelle, zu der auch Sartorius gehörte. Als Maximilian 1602 nach Innsbruck übersiedelte, folgte Sartorius ihm. Er war der wichtigste Komponist in der Kapelle, bis 1607 Johann Stadlmayr zum Kapellmeister ernannt wurde.
Das Oeuvre von Sartorius enthält weltliche und geistliche Musik. Zur ersten Kategorie gehört eine Sammlung Neue teutsche Liedlein (1601). Im gleichen Jahr erschien eine Sammlung geistlicher Madrigale. In dieser Aufnahme steht selbstverständlich die geistliche Musik im Mittelpunkt. Zwei Sammlungen sind die aufgenommenen Werke entnommen: einem Band mit Messen zu acht Stimmen (1599) und einem mit Motetten für sechs bis zwölf Stimmen (1602). Die Stimmzahl zeigt, dass Sartorius mit der Mode der Doppelchörigkeit bekannt war.
Herzstück der Aufnahme ist die Missa Laudate Dominum, eine Parodiemesse, deren Vorlage nicht bekannt ist. Weiter gibt es Motetten zu verschiedenen Festen, insbesondere Ostern und Pfingsten. Durch die relativ grosse Besetzung kommt der meistens heitere Inhalt der Texte optimal zum Tragen.
Wie gesagt, wurde Johann Stadlmayr 1607 Kapellmeister. Er ist kein unbekannter Meister: seine Musik liegt in verschiedenen Aufnahmen vor. Trotzdem, zum Standardrepertoire gehört sein Oeuvre nicht, und deswegen ist jede Aufnahme seiner Werke willkommen. Hier erklingen drei Werke: eine Motette zu zwei Stimmen und Basso continuo im modernen monodischen Stil auf dem Text Regina coeli, sowie zwei Werke für Pfingsten. Die Hymne Veni creator ist eine Alternatimskomposition zu vier Stimmen im stile antico, während Dum complerentur zu 12 Stimmen Stadlmayrs Beherrschung der cori spezzati-Technik zeigt.
Die CD-Reihe Musikmuseum ist wieder um eine interessante und historisch wichtige Ausgabe erweitert. Das Marini Consort Innsbruck ist ein exzellentes Ensemble von Sängern und Spielern, das die Musik von Sartorius und Stadlmayr glänzend zum Klingen bringt. Es werden häufig Instrumente eingesetzt, und im Hinblick auf die Gewohnheiten der Zeit, insbesondere an den Höfen der Habsburger, scheint mir das richtig zu sein. Zudem wird auf diese Weise der Inhalt der einzelnen Werke benachdruckt.
"Spiritus Domini - Sakralwerke des Innsbrucker Hoforganisten Paul Sartorius (1569-1609)"
Marini Consort Innsbruck/Bernd Oliver Fröhlich
Musikmuseum CD 13068 (© 2024) details
Freitag, 1. November 2024
Fasch: Die Vier Tageszeiten - Markus Uhl
Johann Friedrich Fasch gehört zu den grossen Komponisten des deutschen Barock. Obwohl sich die Internationale Fasch-Gesellschaft für seine Musik einsetzt, und alle zwei Jahre die Fasch-Festtage veranstaltet, wird er noch immer von seinen Zeitgenossen Bach und Telemann, und in letzter Zeit auch Graupner, überschattet. Das ist schade, denn jedesmal, wenn seine Musik auf CD erscheint, fällt sie wegen der Qualität und Originalität auf. Das trifft auch auf die vor kurzem erschienene Aufnahme seiner Serenata Die Vier Tageszeiten zu.
Im Barock war die Serenata eine wichtige Gattung, die - wie der Name zeigt - italienischen Ursprungs war. Mit so einem Werk wurde eine Person gewürdigt, meistens einen Monarchen oder einen Aristokraten, aus einem besonderen Anlass, wie eines Geburtstags oder Namenstags oder einer Hochzeit. Fasch hat mehrere Serenaten komponiert, aber leider sind nur zwei solche Werke erhalten geblieben. Freudenbezeugung der Vier Tageszeiten, wie der vollständige Titel lautet, komponierte Fasch aus Anlass des Geburtstags seines Brotherrn, Fürst Johann August von Anhalt-Zerbst, am 9. August 1723, ein Jahr, nachdem Fasch seinen Dienst als Kapellmeister angetreten war.
Serenaten konnten szenisch aufgeführt werden; ob das auch bei diesem Werk der Fall war, ist nicht bekannt. Das Libretto schrieb Fasch selbst. Die Besetzung ist für vier Singstimmen (Soli und Tutti) und ein Orchester mit drei Trompeten, Pauken, zwei Blockflöten, zwei Oboen, Streichern und Basso continuo. Die vier Solisten verkörpern vier allegorische Figuren; jede steht Symbol für einen Teil des Tages. Cynthia (Sopran) ist die Nacht, Aurora (Alt) der Morgen, Phoenus (Tenor) der Mittag, und Hesperus (Bass) der Abend. Sie singen das Lob des Herrschers aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
Im Prolog gibt Phoebus den Ton an: "Der Rauch von eurer Opferglut hat selbst die Sterne überstiegen. Drauf folget das erbetne Gut für Anhalts Staat und Fürstenhut an Segen, Wohlsein und Vergnügen." Das Werk endet mit einem Chor: "Es lebe Fürst Johann August, es fliehe, was sein Wohlsein trennet, es blühe, wer ihm Segen gönnet, es bleibe, wen er treu erkennet, er aber, unsre Ehr und Lust." Jeder Charakter singt ein Rezitativ und eine Arie (Cynthia hat als einzige zwei Arien). In drei Arien gibt es Obligatstimmen für Blasinstrumente: Cyntha zwei Blockflöten, Phoebus eine Trompete und Aurora zwei Oboen. Die spektakulärste Arie ist die des Phoebus: die erste Hälfte ist ein virtuoser Dialog von Singstimme und Trompete. Auffällig ist das Pizzicato in der Arie des Hesperus, das die erste Zeile ausmalt: "Schlagt ihr Stunden, teilt die Zeiten".
Viele Serenaten des Barock zeigen grosse Ähnlichkeit mit der Oper, und das ist auch hier der Fall. Fasch hat vier Opern komponiert, die alle verschollen sind. Diese Serenata gibt einen Eindruck seines Könnens in diesem Bereich. Die Arien wären in einer Oper von, beispielsweise, Telemann nicht fehl am Platz. Und man kann hier auch Faschs Können im Komponieren für Instrumente bewundern, wie er das auch in seinen Konzerten und Sonaten zeigt.
Die Einspielung unter der Leitung von Markus Uhl ist ein reines Vergnügen. Die vier Solisten - Ulrike Hofbauer, Monika Mauch, Georg Poplutz und Thomas Gropper - machen alles richtig, technisch und stilistisch. In den Tuttiabschnitten mischen sich ihre Stimmen perfekt. Das Orchester spielt energisch und farbenreich, und die Obligatpartien sind hervorragend gelungen.
Diese Serenata ist ein Meisterwerk und die Produktion eine unverzichtbare Erweiterung der Fasch-Diskographie.
Fasch: Die Vier Tageszeiten
Ulrike Hofbauer, Sopran; Monika Mauch, Alt; Georg Poplutz, Tenor; Thomas Gropper, Bass; L'arpa festante/Markus Uhl
Christophorus CHR 77480 (© 2024) details
Mittwoch, 30. Oktober 2024
Campra: Messe de Requiem - Ensemble Correspondances
Auf den ersten Blick bietet die Aufnahme, die hier besprochen wird, nichts Neues. Das Requiem von André Campra (1660-1744) gehört zu den bekanntesten Vokalwerken des französischen Barock und liegt in mehreren Aufnahmen vor. Aber diese Neuaufnahme des Ensemble Correspondances hat mehr zu bieten, und zwar Repertoire, das kaum beachtet wird.
Campra war der letzte maître de musique der Kathedrale Notre-Dame in Paris im 17. Jahrhundert. Er hatte diese Stelle von 1694 bis 1700 inne; im letztgenannten Jahr wurde er von den Chorherren entlassen, weil er sich zuviel mit Oper beschäftigte, nachdem er 1697 mit seiner Oper Europe galante viel Erfolg geerntet hatte. Campra ist fast der einzige maître de musique, der heute noch bekannt ist. Seine Vorgänger in diesem Amt sind so gut wie vergessen. Die Ausnahme ist Pierre Robert, der von 1653 bis 1663 die Musik in der Kathedrale leitete. Allerdings ist er vor allem als sous-maître der Chapelle Royale bekannt geworden. Heutzutage wird die Musik, die in der Kathedrale aufgeführt wurde, ganz vom Repertoire in der Chapelle Royale überschattet. Das gilt auch für das Oeuvre von Robert, denn von ihm sind fast nur grands motets bekannt, die er für die Chapelle Royale komponierte; eine dieser Motetten erklingt hier. Zusammen mit Henry du Mont entwickelte er diese wichtige Gattung, die aber von Jean Veillot 'erfunden' wurde. Auch er war mal maître de musique an der Notre-Dame, und zwar von 1640 bis 1643, als er sous-maître der Chapelle Royale wurde. Von ihm sind leider nur wenige Werke überliefert; hier erklingen zwei Motetten zu fünf Stimmen und Basso continuo.
Sein Nachfolger war François Cosset, aber seine Amtszeit wurde von Problemen geprägt. Er behandelte die Chorknaben schlecht und kam in Konflikt mit den Domherren. Nach nur drei Jahren wurde er entlassen. Von ihm gibt es nur einige Messen. Die hier aufgenommenen Sätze der Missa Domine salvum fac regem (warum nicht die ganze Messe?) gilt als verschollen, und deswegen sind sie hier wohl in einer mit Instrumenten versehenen Fassung von Sébastien Brossard zu hören.
Interessant sind auch ein paar kurze einstimmige Gesänge für die Liturgie. Das Kapitel von Notre-Dame führte um die Mitte des 17. Jahrhunderts liturgische Reformen ein, die sich zwar nicht völlig von Rom abwandten, aber in verschiedener Hinsicht spezifisch französisch waren. Das Programm enthält zwei Beispiele dieses liturgischen Repertoires, von Jean Mignon, maître de musique von 1664 bis 1694, und Pierre Robert. Der Hymnus Procul maligni des ersteren (für das Fest der Heiligen Maria von Magdalena) und die Antiphon des letzteren für das Fest Mariä Lichtmess, Templi sacratas, werden hier einstimmig zur Begleitung eines Serpent vorgetragen, wie es in Frankreich üblich war.
Campras Requiem ist ein bekanntes Werk, aber wann und aus welchem Anlass es komponiert wurde, ist nicht bekannt. Das Textheft bietet eine neue Theorie: das Werk soll 1700 entstanden sein, als Campra noch maître de musique an der Notre-Dame war, und unter seiner Leitung aufgeführt worden sein. Die Argumente für diese Theorie leuchten ein, und damit wäre das Werk erheblich älter als oft angenommen.
Im Oktober 2023 rezensierte ich hier eine Aufnahme des Requiems von Campra unter der Leitung von Emmanuelle Haïm. Meine positive Beurteilung bleibt stehen, aber diese Neueinspielung unter der Leitung von Sébastien Daucé ist dieser überlegen. Wie immer tritt das Ensemble als eine stilistische Einheit auf, und das hängt auch damit zusammen, dass die solistischen Stellen von Mitgliedern des Ensembles gesungen werden. Sie treten so oft zusammen auf, dass es keine Unstimmigkeiten gibt; alles ist hier im Lot. Das Ensemble besteht sowieso aus exzellenten Sängern, wie die Mezzosopranistin Lucile Richardot, mit ihrer einzigartigen Stimme, der Tenor François Joron und der Bariton Étienne Bazola. Den Sängern und Instrumentalisten gelingt eine eindrucksvolle und bewegende Darstellung dieses Meisterwerks von Campra. Die Bedeutung dieser Produktion wird noch dadurch erhöht, dass das Requiem in einen sinnvollen historischen Zusammenhang gesetzt wird, und hier Musik zu hören ist von Komponisten, die kaum beachtet werden. Es ist klar, dass die Musikpflege an der Notre-Dame mehr Beachtung finden sollte.
Campra: "Messe de Requiem & Les Maîtres de Notre-Dame de Paris"
Ensemble Correspondances/Sébastien Daucé
Harmonia mundi HMM 902679 (© 2024) details
Dienstag, 22. Oktober 2024
Still und lieblich - InAlto (Lambert Colson)
Als die Interpreten alter Musik damit anfingen, alte Instrumente zu spielen, waren es meistens Instrumente die noch immer in Gebrauch waren: Flöte, Oboe, Violine, Violoncello. Der Unterschied lag darin, dass sie entweder Originalinstrumente oder Kopien solcher Instrumente spielten, oder Streichinstrumente, die zu ihrer Originalform zurückrestauriert worden waren. Mit der Zeit wurden auch Instrumente gespielt, die ganz aus dem Musikbetrieb verschwunden waren. Eines dieser war das Zink, auf italienisch cornetto. Bach hat es noch in einigen Kantaten verwendet, aber die Blütezeit des Zink war schon längst vorbei.
Im 16. und 17. Jahrhundert wurde es hoch geschätzt, da es - besser als jedes andere Instrument - in der Lage war, die menschliche Stimme zu imitieren, und die Stimme galt als das wichtigste aller Instrumente. Kein Wunder also, dass das Zink oft in Vokalmusik eingesetzt wurde, als Unterstützung oder Ersatz einer Singstimme. Ein besonderes Zink war das, was als 'stiller Zink' bekannt war, auf italienisch cornetto muto. Michael Praetorius schrieb dazu in seinem Buch Syntagma Musicum: "Cornetto muto aber / do das Mundstück zugleich mit an den Zincken gedrehet ist; vnd diese seynd am Resonantz gar sanfft / still / vnd lieblich zu hören. Darümb sie dann auch stille Zincken genennet werden." Daraus erklärt sich der Titel der vor kurzem erschienenen CD, die Lambert Colson diesem Instrument gewidmet hat.
Diese CD geht aus seiner Doktorarbeit zum stillen Zink hervor, und bringt grösstenteils Musik mit Partien, die speziell für dieses Instrument konzipiert wurden. Es war zweifellos ein wichtiges Instrument am Hofe von Hessen-Kassel im frühen 17. Jahrhundert. Dort regierte damals Moritz 'der Gelehrte', der über eine grosse musikalische Begabung verfügte und der Musik viel Gewicht beimisste. Das Hofinventar von 1613 zeigt, dass der Hof damals nicht weniger als 30 stille Zinken besass. Diese CD bringt fast alle Musik, die am Hofe komponiert wurde, und Partien für einen stillen Zink enthalten.
Das Programm eröffnet und schliesst mit mehrchörigen Werken von Giovanni Gabrieli bzw. Michael Praetorius. Ersteres hat Heinrich Schütz möglicherweise mitgenommen, als er aus Venedig zurückkehrte. Auch selbst ist er mit einem Werk vertreten, der Motette Siehe, wie fein und lieblich ist's, die er für die Hochzeit seines Bruders komponierte. Angesichts des Titels wundert es nicht, dass die höchste Instrumentalstimme dem stillen Zink anvertraut ist. Interessant ist, dass auch der erste Lehrer von Schütz - sowie der Lehrer von Moritz - vertreten ist: Georg Otto war von 1586 bis zu seinem Tode 1618 Kapellmeister am Hofe zu Kassel. Nicht alle Stücke sind direkt mit Kassel in Verbindung zu bringen: es gibt auch Werke von Orlandus Lassus und Thomas Selle. Aber alle Werke zeigen, wie der stille Zink damals funktioniert hat oder hätte verwendet werden können.
Diese CD ist hochinteressant, und es lohnt sich, im Textheft die Erläuterungen von Lambert Colson zu lesen, die darin das Ergebnis seiner Untersuchungen zusammenfasst. Die Interpretationen sind in jeder Hinsicht gelungen. Colson hat ein hervorragendes Ensemble von Sänger*innen und Instrumentalist*innen zusammengebracht, die das ausgewählte Repertoire glänzend zur Aufführung bringen. Diese CD ist ein schönes Monument für ein liebliches Instrument.
"Still und lieblich"
InAlto/Lambert Colson
Ricercar RIC 464 (© 2024) details
Freitag, 18. Oktober 2024
Subissati: Sonaten für Violine und Basso continuo - Joanna Morska-Osińska
Im späten 16. und im 17. Jahrhundert wirkten mehrere italienische Musiker und Komponisten in Polen, meistens am Hofe. Einer dieser war der weitgehend unbekannte Aldebrando Subissati (1606-1677). Er wurde in Fossombrone geboren und empfing seine musikalische Erziehung, insbesondere im Geigenspiel, von seinem Onkel in Rom. In den 1630er und 40er Jahren war er Mitglied des Ensembles der Kirche San Luigi dei Francesi. Danach wirkte er in Passau, Olomouc und Wien, und ging dann nach Warschau. Dort war er auf jeden Fall im Jahre 1650; vier Jahre später kehrte er nach Fossombrone zurück. Dort war er aktiv als Lehrer und nahm wahrscheinlich an Aufführungen von Oratorien und Opern teil.
Wieviel Musik Subissati komponiert hat, ist nicht bekannt. Lediglich eine Sammlung von zwanzig Sonaten für Violine und Basso continuo hat sich erhalten. Sie sind nicht gedruckt worden; die Handschrift weist Korrekturen auf, und einige Sonaten sind nicht ganz komplett. Es ist zu vermuten, dass Subissati diese Sammlung als musikalisches Vermächtnis gemeint hat. Er hat sie wahrscheinlich in den Jahren 1675/76, also kurz vor seinem Tode, zusammengestellt. Allerdings sind sie wohl viel früher, zwischen 1630 und 1660, entstanden.
Es sind Beispiele des sogenannten stylus phantasticus, der um 1600 in Italien entstanden ist. In solchen Sonaten wechseln sich Abschnitte kontrastierenden Tempos und Metrums ohne Unterbrechungen ab. Diese Sonaten zeugen von den grossen Qualitäten des Komponisten. Sie sind technisch virtuos, und enthalten viele Merkmale, die damals gängig waren, wie Chromatik, schelle Wiederholungen einzelner Noten, die Ausschöpfung hoher Positionen und perkussionistische Effekte. Dann und wann gibt es schon ziemlich dramatische Abschnitte. Oft erinnerten diese Werke mich an die Rosenkranz-Sonaten von Heinrich Ignaz Franz Biber.
Mehrere Sonaten tragen lateinische Titel. Diese verweisen auf Motetten von Giovanni Francesco Anerio (um 1567-1630), der von 1624 bis 1628 ebenfalls am polnischen Hofe wirkte. Subissati hat den Basso-continuo-Part dieser Motetten zur Grundlage seiner Sonaten genommen, aber nicht buchstäblich, sondern diminuiert. Wenn man diese Sonaten hört, fragt man sich, ob er vielleicht auch den Inhalt dieser Motetten in seine Kompositionen einbezogen hat. Es wäre interessant, das mal zu untersuchen.
Joanna Morska-Osińska hat mit dieser Aufnahme eine wichtige Tat vollbracht. Diese grossartigen Sonaten sind es durchaus wert, auf CD aufgenommen zu werden, und ich kann mir keine bessere Interpretation vorstellen, als hier vorgelegt wird. Technisch und musikalisch gehören diese Aufführungen zur Spitzenklasse. Die Darstellung des Basso continuo ist ebenfalls eindrucksvoll, mit einer gelungenen Kombination verschiedener Instrumente: Viola da gamba, Theorbe, Cembalo und Orgel.
Für mich ist diese Produktion eine der Aufnahmen des Jahres.
Subissati: Sonate per violino e basso continuo
Joanna Morska-Osińska, Violine; Paweł Zalewski, Viola da gamba; Marek Toporowski, Cembalo; Michał Sawicki, Orgel
Dux 1959/1960 (© 2024) details
Montag, 14. Oktober 2024
Pössinger: Duette für Violine und Viola op. 4 - Katja Grüttner, Christian Goosses
Seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts gab es einen wachsenden Bedarf an Musik, die von Laien im häuslichen Kreis gespielt werden konnte. Georg Philipp Telemann war einer, der solche Musik in grossen Mengen veröffentlichte. Mit der Zeit breitete sich das häusliche Musizieren auf die mittleren Schichten der Gesellschaft aus. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden bestimmte Gattungen besonders beliebt, wie Quartette für Traversflöte und Streicher. Auch andere Gattungen kamen in Mode, wie Trios und Duette in verschiedenster Besetzung. Die bei Musicaphon erschienene CD, die hier rezensiert wird, bietet drei Werke für Violine und Viola. Die grossen Komponisten der Klassik, Mozart und Haydn, haben zu dieser Gattung beigetragen, aber es sind vor allem weniger bekannte Meister, die solche Werke komponiert haben. Ignaz Pleyel und Alessandro Rolla sollten hier insbesondere erwähnt werden.
Diese beiden sind relativ bekannt, obwohl ihre Werke nicht oft gespielt werden. Franz Alexander Pössinger (1766-1827) dagegen ist ein fast ganz vergessener Komponist. In der englischen Musikenzyklopädie New Grove wird er gar nicht erwähnt; Musik in Geschichte und Gegenwart widmet ihm zumindest einen kurzen Artikel. Er machte vor allem Namen mit Bearbeitungen von Vokalwerken, wie Opern von Mozart, Beethoven, Weber und Rossini. Er transkribierte auch Beethovens Sinfonien für Streichquartett. Aber auch seine eigenen Kompositionen wurden durchaus geschätzt. Der grösste Teil seines Oeuvres besteht aus Kammermusik für verschiedene Besetzungen, wie Streichtrios, -quartette und - quintette, sowie Stücke für Flöte, Violine und Viola und eben die drei Streichduos op. 4. Die ersten zwei bestehen aus drei Sätzen, das dritte aus zwei.
Im Textheft werden sie mit dem Stil in Verbindung gebracht, der als Biedermeier bekannt ist. Das scheint mir nicht richtig, denn formal handelt es sich dabei um Musik aus der Zeit zwischen 1815 (dem Wiener Kongress) und 1848 (das Jahr der Revolutionen). Pössingers Duos wurden aber schon 1802 veröffentlicht. Der Stil des Biedermeier wird - manchmal zu Unrecht, aber manchmal auch mit Recht - als einfach und etwas oberflächlich betrachtet. Pössingers Duos sind deutlich besser, und oberflächlich bestimmt nicht. Darüber hinaus sind sie technisch ziemlich anspruchsvoll, beispielsweise durch grosse Sprünge. Es ist zweifelhaft, ob sie von durchschnittlichen Laien gespielt werden konnten.
Sylvie Kraus hat die beiden Interpreten auf diese Duos aufmerksam gemacht, und das ist ein reiner Glücksfall. Diese Stücke sind sehr schön und unterhaltsam und haben es verdient, auf CD veröffentlicht zu werden. Darüber hinaus sind Katja Grüttner und Christian Goosses die idealen Interpreten. Beide haben viel Erfahrung in der Aufführung von Musik aus Barock und Klassik auf Instrumenten der Zeit, und das zahlt sich hier aus. Es gibt eine perfekte Balance zwischen den beiden Instrumenten, und die Tempi und die Dynamik sind wohl durchdacht, und in jeder Hinsicht überzeugend. Schade nur, dass die Spieldauer (41 Minuten) so kurz ist. Ich hätte gerne noch etwas mehr gehört. Es sollte aber die an solchen Werken Interessierten nicht davon abhalten, sich diese CD zu ergattern.
Pössinger: "Three Duos for Violin and Viola"
Katja Güttner, Violine; Christian Goosses, Viola
Musicaphon M56996 (© 2023) details
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