Freitag, 17. Oktober 2025

Valls: con afecto - BachWerkVokal


Im Verlauf der Geschichte hat es in der Musikwelt mehrere Kontroversen gegeben, die sich oft um 'Fehler' in bestimmten Kompositionen drehten. Ein Beispiel ist die Missa Scala Aretina des spanischen Komponisten Francesc Valls (1671-1747). "Die Polemik, die die Messe auslöste, drehte sich um den Einsatz des zweiten Sopran in einer unvorbereiteten None beim 'Miserere nobis' im Gloria. Gregorio Portero, Kapellmeister an der Kathedrale von Granada, feuerte 1715 die erste Salve ab; im folgenden Jahr schloss sich ihm Joaquín Martínez de la Roca, der Organist in Palencia, an, der argumentierte, dass "Musik aus festgelegten Prinzipien und allgemeinen Regeln besteht; wenn diese gebrochen werden, wird das Wesen der Musik zerstört". Valls verteidigte sich "nicht so sehr für meinen eigenen Ruf, sondern für die Freiheit und Ehre der Musikkunst"", schreibt Craig H. Russell in New Grove. Die Kontroverse hatte auch einen politischen Aspekt, der mit dem spanischen Erbfolgekrieg zusammenhing.

Obwohl dieser Aspekt nach Einschätzung einiger Autoren vielleicht genau so wichtig war wie der musikalische, lässt sich die Aufregung gut verstehen, denn Valls war ganz eigenwillig in seiner Behandlung der Harmonie. Das kommt im Programm, das das Ensemble BachWerkVokal eingespielt hat, ganz klar zum Ausdruck. Die meisten Stücke stammen aus der theoretischen Schrift Mapa armónico, die Valls zwischen den späten 1720er Jahren und 1735 zusammenstellte. Der dritte Kapitel enthält viele Musikstücke, in der Valls zeigt, wie er mit Harmonie experimentierte. Am weitesten geht er in einem Instrumentalwerk: die Composicion enarmónica para instrumentos de arco ist von Anfang bis Ende aus Vierteltönen aufgebaut, und erweckt den Eindruck, im 20. Jahrhundert entstanden zu sein. In vielen Vokalwerken wird ausgiebig Chromatik eingestreut, vor allem mit dem Ziel, den Text möglichst plastisch zum Ausdruck zu bringen und dessen Affekt dem Hörer zu vermitteln. In diesem Sinne ist der Titel dieser Produktion - "con afecto" - gut gewählt.

Auch in der Besetzung ist Valls oft ganz originell. Diese variiert von drei bis zwölf Stimmen. Das ist an sich nicht ungewöhnlich, aber ein Rezitativ und eine Arie für acht Stimmen (Yo que el aplauso) ist doch alles andere als konventionell. Originell ist auch Ay de la pena: es fängt mit einem Duett von Sopran und Tenor an, die dann von einem Quintet verstärkt werden und den ersten Chor bilden. Darauf folgt ein Abschnitt zu acht Stimmen für Chor II und III.

Die eingespielten Werke haben entweder einen lateinischen oder einen spanischen Text, und es gibt sowohl geistliche als weltliche Werke. Die Länge ist ebenfalls unterschiedlich, wie auch die Besetzung. Die meisten Stücke sind für ein Vokalensemble gesetzt; in nur wenigen Werken gibt es Soloparts für Singstimmen. Und während mehrere Werke ohne Begleitung oder nur mit einem Basso continuo auskommem, gibt es auch Stücke mit Geigen, Oboen und Trompeten in verschiedenen Kombinationen.

Die obengenannte Missa Scala Aretina ist fast das einzige Werk aus dem umfangreichen Schaffen von Valls, das einigermassen bekannt ist, wohl auch wegen der Kontroverse, die sie auslöste. Deswegen ist diese Aufnahme von grosser Bedeutung, da sie den eigenwilligen Charakter des Komponisten sowie die Qualität seines Schaffens auf überzeugende Weise zur Schau stellt. Das ganze Programm wird vorzüglich dargestellt. Wie in früheren Aufnahmen beeindruckt das Ensemble mit Energie und Präzision. Dank einer makellosen Intonation kommen die harmonischen Eigenartigkeiten voll zur Geltung. Und die Instrumentalisten tragen wesentlich dazu bei, dass dieses Programm einen bleibenden Eindruck hinterlässt.

Diese CD gehört zweifellos zu den interessantesten und wichtigsten des Jahres 2025.

Francesc Valls: "con afecto"
BachWerkVokal/Gordon Safari
MDG 923 2368-6 (© 2025) Details

Freitag, 3. Oktober 2025

Galuppi: Sonaten und Konzerte für Cembalo - Arianna Radaelli


Nach dem Tod Antonio Vivaldis war Baldassare Galuppi (1706-1785) der wichtigste Komponist in Venedig. Sein Ruf war bald so gross, dass Werke von Vivaldi als Kompositionen von Galuppi angeboten wurden. Er wurde als Cembalist ausgebildet und spielte im Alter von 20 Jahren schon als solcher in Opernaufführungen. Zur gleichen Zeit fing er an, Arien für Opern anderer Komponisten zu schreiben. Für viele Jahre war er vor allem als Opernkomponist tätig, in Venedig, aber für mehrere Jahre auch in Sankt Petersburg. Als er in Venedig zurückkehrte, konzentrierte er sich auf die Komposition von geistlicher Musik.

In seinem Instrumentalschaffen steht Musik für Tasteninstrumente an erster Stelle. Sein Oeuvre an Werken für ein Tasteninstrument, mit und ohne Begleitung, wird auf rund 400 Stück geschätzt. Nur ein ganz kleiner Teil ist heute einigermassen bekannt. Das lässt sich auch daraus erklären, dass der grösste Teil nur in Handschrift erhalten geblieben ist. Nur zwei Sammlungen von je sechs Sonaten sind während seines Lebens in Druck erschienen. Das wundert nicht, denn Klaviermusik wurde damals vor allem improvisiert. Es liegen uns keine Autographe vor, nur Kopien, die von anderen verfertigt wurden. Und die Popularität seiner Musik lässt sich auch daraus ablesen, dass Kopien von Kopien entstanden sind, aber dann oft in anderen Zusammenstellungen. Und so findet man bestimmte Sätze in verschiedenen Sonaten, was Wissenschaftlern und Interpreten vor Probleme stellt, und vielleicht auch erklärt, warum Galuppis Musik so wenig aufgeführt und aufgenommen wird.

Arianna Radaelli hat fünf Sonaten und zwei Konzerte eingespielt. Es fällt auf, wie unterschiedlich die Sonaten sind, sowohl was ihre Struktur als ihr Charakter anbetrifft. Die Zahl der Sätze ist unterschiedlich, und variiert von einem bis drei. Eine Sonate in B-Dur zeigt eine starke Ähnlichkeit mit dem Stile von Carl Philipp Emanuel Bach, insbesondere im Sturm-und-Drang. In anderen Sonaten gibt es improvisatorische Züge, und in einer Sonate wird der moderne galante Stil mit dem 'altmodischen' Kontrapunkt zusammengebracht. In den einsätzigen Sonaten ist der Einfluss Domenico Scarlattis unverkennbar.

Von Galuppi sind sieben Konzerte für Cembalo und Streicher bekannt. Das sind keine Orchesterwerke, sondern eher für Aufführung im intimen Kreis bestimmt, und daher spielt das Ensemble La Filarete sie mit einem Instrument pro Stimme, wie auch Roberto Loreggian, der sämtliche Konzerte für Brilliant Classics aufgenommen hat. Das Konzert in F-Dur steht ganz im galanten Idiom, während das Konzert in C-Moll dem nervösen Stil Carl Philipp Emanuel Bachs ähnelt. Eine Besonderheit ist, dass Galuppi als Streichbass ein Violotto verlangt. Dabei handelt es sich um ein italienisches Instrument mit fünf Saiten der Viola da gamba-Familie, aber grösser als eine Gambe, und mit einem tieferen Klang. Im Textbuch zu Radaellis Aufnahme wird es nicht erwähnt, und die Besetzung mit Violoncello und Violone ist traditionell, im Gegensatz zu Loreggians Aufnahme, wo ein Violotto eingesetzt wird.

Das ist der einzige Kritikpunkt zu dieser Produktion, die eine perfekte Einführung in das Oeuvre für Tasteninstrumente von Galuppi bietet. Arianna Radaelli ist ein überzeugendes Plädoyer für dessen Klaviermusik gelungen. Sie erlaubt sich Freiheiten im Tempo, die ihre Darbietungen umso spannender machen. Wo es passt, spielt sie Verzierungen und fügt sie Kadenzen ein. Das Ensemble La Filarete ist exzellent in den Konzerten.

Es ist zu hoffen, dass die Musik von Galuppi in den kommenden Jahren häufiger zu hören sein wird. Arianna Radaelli hat einen hohen Massstab gesetzt.

Baldassare Galuppi: "Wonder in Venice - Sonatas and concertos for harpsichord"
Arianna Radaelli, Cembalo; La Filarete
Arcana A579 (© 2025) Details

Mittwoch, 24. September 2025

London um 1760 - La Rêveuse


Das französische Ensemble La Rêveuse beschäftigt sich schon einige Jahre mit dem Musikleben in London im 18. Jahrhundert. Die erste CD beleuchtetete die Musikszene um 1720, die zweite die Musik, die um 1740 komponiert und aufgeführt wurde. Mit der vor kurzem erschienene dritte Folge sind wir zwanzig Jahre weiter in der Zeit. Die Musik von Händel war noch immer beliebt, aber im öffentlichen Musikbetrieb spielten auch andere Komponisten eine wichtige Rolle. Dazu zählten zwei, die - wie Händel auch - aus Deutschland stammten: Johann Christian Bach und Carl Friedrich Abel.

Die beiden kannten sich aus Leipzig, und die beiden Familien waren gut befreundet. Abel liess sich 1758 in London nieder, und Bach kam 1762 nach London, nachdem er eine Zeit in Italien gewirkt hatte. 1765 begann die Konzertreihe, die zu den wichtigsten der Zeit gehörte: die 'Bach-Abel-Konzerte', die bis 1775 stattfanden. Dort werden beide mit eigenen Werken aufgetreten sein: Bach als Klavierspieler, Abel auf der Viola da gamba. Er war der grösste Gambist seiner Zeit in England, und die vielen Stücke für Gambe ohne Begleitung sind wohl in erster Linie Improvisationen gewesen, die er später für seine Schüler aus aristokratischen Kreisen aufgeschrieben hat. Die meisten stammen aus der sogenannten 'Drexel-Sammlung'; zwei dieser Stücke erklingen hier. Er komponierte aber auch für viele andere Besetzungen, wie ein Quartett für Traversflöte und Streicher. Nicht überraschend ist, dass der Bass für die Viola da gamba gemeint ist.

Ein Quartett für die gleiche Besetzung von Johann Christian Bach hat eine Partie für das Violoncello (ein Instrument, dass Abel übrigens auch spielte), aber hier erklingt eine Fassung mit Viola da gamba, die basiert auf einer Handschrift in der Kulukundis-Sammlung, die sich im Bach-Archiv zu Leipzig befindet. Die Partie für Viola da gamba fehlt, wurde aber von Thomas Fritzsch rekonstruiert.

Es kamen auch neue Instrumente auf die Bühne. Eines dieser war die englische Gitarre, die vor allem under Damen Erfolg hatte. Und dann gab es die Glasharfe (oder das Gläserspiel), Vorläufer der Glasharmonika. Für beide Instrumente erschienen Lehrwerke, verfasst von Ann Ford. Zwei ihrer Stücke für die Glasharfe sind hier zu hören, wie Werke für englische Gitarre von Francesco Geminiani und von Rudolf Straube, einem anderen deutschen Einwanderer.

Mit einer Spieldauer von weniger als eine Stunde ist diese CD etwas kurz geraten. Zu kurz, und das darf als Kompliment verstanden werden. Diese CD ist besonders interessant (wie die beiden ersten auch) und musikalisch fesselnd, auch dank der exzellenten und engagierten Darbietungen des Ensembles. Ich hätte gerne mehr gehört. Aber diese CD sollte auch andere Musiker anspornen, sich mit diesem Repertoire auseinanderzusetzen. Unser Bild von Johann Christian Bach und Carl Friedrich Abel ist einseitig, und dass sollte korrigiert werden. Auch auch die englische Gitarre und die Glasharfe haben mehr Aufmerksamkeit verdient.

Auf jeden Fall ist diese CD ein Leckerbissen für neugierige Musikliebhaber.

"Si breve è 'l tempo - Madrigals of the Low Countries"
La Compagnia del Madrigale
Musique en Wallonie MEW2410 (© 2025) Details

Donnerstag, 7. August 2025

Madrigale aus den Niederlanden - La Compagnia del Madrigale


Für mehrere Jahrhunderte beherrschten Komponisten der franko-flämischen Schule das europäische Musikleben, bis weit ins 16. Jahrhundert. Sie werden meistens in Verbindung gebracht mit geistlicher Musik, aber sie trugen auch zur Entwicklung des Madrigals bei. Insbesondere Adrian Willaert und Cipriano de Rore, die beide in Italien wirkten, haben einen entscheidenden Einfluss auf dieses Genre ausgeübt. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts verbreitete diese Gattung sich über Europa und erreichte auch die südlichen Niederlande.

Die Musik aus diesem Gebiet wird oft ausgeführt und aufgenommen, aber die meisten Interpreten beschränken sich auf geistliche Musik, französische Chansons und niederländische Lieder. Madrigale in italienischer Sprache werden selten in Programme einbezogen. Deswegen ist es wichtig und erfreulich, dass sich das italienische Ensemble La Compagnia del Madrigale, das sich ganz diesem Repertoire widmet, mit diesem Aspekt des Musiklebens in den südlichen Niederlanden beschäftigt.

Der grösste Teil des Programms besteht aus Madrigalen von Komponisten, die viele Musikliebhaber nicht einmal vom Namen her kennen, wie Jean de Turnhout, Jean Desquesnes oder René del Mel. Alle sind mit einem Stück vertreten. Aber auch derjenige, aus dessen Schaffen hier vier Madrigale gesungen werden, Séverin Cornet, wird nur den Wenigsten bekannt sein. Ihm wird mit Recht besondere Aufmerksamkeit geschenkt, denn seine Madrigalsammlung, die 1581 in Antwerpen gedruckt wurde, war die erste Ausgabe mit Stücken eines einzelnen Komponisten, die in Antwerpen erschien.

Diese Stadt war ein Zentrum des Musikdrucks. Deswegen erklingen hier - vielleicht um zu zeigen, wie stark die Komponisten vom italienischen Stil beeinflusst wurden - auch Madrigale italienischer Komponisten, die in Antwerpen in Sammeldrucken erschienen. Und so finden sich hier auch Werke von Andrea Gabrieli, Luca Marenzio und Alessandro Striggio. Ausserdem sind zwei Komponisten ins Programm einbezogen, die in unterschiedlicher Weise mit den südlichen Niederlanden verbunden sind. Giovanni de Macque wirkte in Neapel und ist vor allem als Virtuose auf Tasteninstrumenten bekannt. Obwohl er in Valenciennes geboren wurde, war er flämischer Abstammung. Und Peter Philips verliess England aus religiösen Gründen und wirkte als Organist in Brüssel. Beide komponierten auch Vokalmusik, darunter Madrigale.

Die Texte von Madrigalen sind inhaltlich nicht sehr differenziert. Da die Komponisten jedoch in der Regel Texte namhafter Dichter verwendeten, wird dasselbe Thema auf unterschiedliche Weise behandelt. Musikalisch sind Madrigale aufgrund der Art und Weise, wie die Komponisten sie ausmalten, interessant. Die hier aufgeführten Madrigale sind voll sogenannter 'Madrigalismen'. Dazu sind nicht nur musikalische Figuren zu rechnen, sondern auch Harmonie, Tempo und Metrum. Diese Mittel werden angewandt, um Textelemente und Kontraste innerhalb der Gedichte hervorzuheben. Bei La Compagnia del Madrigale kann man sicher sein, dass alle Elemente, die Madrigalen ihren individuellen Charakter verleihen, voll zur Geltung kommen. Jede Aufnahme dieses Ensembles, die ich gehört habe, war ein Volltreffer, und das ist hier nicht anders. Es ist eines der besten Ensembles in diesem Repertoire.

Diese CD beleuchtet einen relativ unbekannten Aspekt der Musikszene im Süden der Niederlande, und zwar auf eine Art und Weise, die wohl kaum zu übertreffen ist. Hoffentlich öffnet sie die Augen und Ohren anderer Ensembles, und spornt sie sie an, sich mit diesem Repertoire zu beschäftigen.

"Si breve è 'l tempo - Madrigals of the Low Countries"
La Compagnia del Madrigale
Musique en Wallonie MEW2410 (© 2025) Details

Donnerstag, 31. Juli 2025

Northern Light - Lucile Richardot, Ensemble Correspondances


In Deutschland wurde im 17. Jahrhundert eine grosse Menge an geistlicher Musik komponiert. Der substantieller Teil wurde nie gedruckt und ist nur in Handschrift erhalten geblieben. Zwei grosse Sammlungen sind wichtige Quellen solchen Repertoires, entweder in Handschriften oder in gedruckten Ausgaben: die Düben-Sammlung und die Bokemeyer-Sammlung. Erstere ist die Quelle, aus der Lucile Richardot und Sébastien Daucé, der Leiter des Ensemble Correspondances, geschöpft haben in der Zusammenstellung eines Programms, das unter dem Titel 'Northern Light' herausgebracht wurde.

Dieser Titel bezieht sich nicht nur auf das Aufbewahrungsort der Sammlung: die Universitätsbibliothek in Uppsala (Schweden), sondern auch darauf, dass mehrere der eingespielten Werke etwas mit Schweden zu tun haben. Es finden sich im Programm zwei Stücke mit schwedischen Titeln. Bei Ack Herre, låt dina helga änglar von Franz Tunder handelt es sich um sein geistliches Konzert Ach Herr, lass deine lieben Engelein. In der Düben-Sammlung ist eine zusätzliche Stimme mit dem schwedischen Text hinzugefügt. I frid vill jag nu fara von Johann Krieger war ursprünglich ein Stück für eine Beerdiging. Diese Stücke werfen ein interessantes Licht auf die Aufführungspraxis am schwedischen Hof, wo Gustav Düben tätig war.

Auch ein anderes Werk von Tunder, das Adventskonzert Hoslanna dem Sohne David, wurde mit einem neuen Text versehen, diesmal einem deutschen: Jubilate et exultate, vivat rex Carolus. Der Anlass war die Krönung König Karls VI. im Jahre 1675. Wenn er 1697 verstarb, erschien eine Reihe von vier Trauergedichten, die von Johann Fischer, der in Riga wirkte (zu jener Zeit Teil des schwedischen Königreichs), vertont wurden. Die Musik ist verlorengegangen, und für diese Aufnahme wurde das erste Gedicht einer Trauermotette aus seiner Feder angepasst.

Einige deutsche Komponisten wirkten in Skandinavien, wie Christian Geist, zuerst in Kopenhagen und dann in Stockholm. Von ihm erklingt Es war aber an der Stätte, da er gekreuziget ward, über die Beerdigung Jesu nach seinem Tode. Christian Ritter wirkte in Stockholm als Sänger und übernahm 1690, nach dem Tode Dübens, dessen Stelle als Leiter der Hofkapelle.

Es finden sich in der Düben-Sammlung nicht nur Werke deutscher Komponisten, sondern Musik aus ganz Europa, darunter auch von italienischen Komponisten, wie Vincenzo Albrici und Marco Gioseppe Peranda. Allerdings war der erstgenannte einige Zeit Sänger am Hofe in Stockholm, bis Königin Christina abdankte und nach Rom übersiedelte. Albrici trat in den Dienst des Hofes zu Dresden, wie später auch Peranda.

Das wohl bekannteste Werk im Programm ist Johann Christoph Bachs Lamento Ach, daß ich Wasser's g'nug hätte. Mit drei Gamben in der Instrumentalbesetzung ist es ein typisch deutsches Werk des 17. Jahrhunderts. Die Präsenz mehrerer tiefen Instrumente - entweder Bratschen oder Gamben - ist einer der Gründe, warum dieses Repertoire solch eine ausdrucksstarke Tiefe besitzt. Ein anderer Grund ist die Konzentration auf den Text, ganz im Sinne von Heinrich Schütz, aber auch in Übereinstimmung mit der Theologie Martin Luthers, in dem sich alles um das Wort Gottes dreht.

Es ist ein Wunder, wie eine Sängerin wie Lucile Richardot dieses Repertoire interpretiert. Oder auch nicht: ich habe noch nie etwas von ihr gehört, das nicht mindestens gut war. Was hier geboten wird, ist Spitzenklasse. Sie verfügt über eine einzigartige Stimme, die als Mezzosopran bezeichnet wird. Aber diese enthält ein kräftiges tiefes Register, mit tenoralen Zügen. Es hilft ihr, alle Ecken und Kanten jedes einzelnen Werkes auszuschöpfen. Sie zeigt ein gründliches Verständnis der Texte und deren Bedeutung, und ihre deutsche Aussprache ist fehlerfrei und idiomatisch. Dazu kommt das exzellente Spiel der Instrumentalisten, die sich ebenfalls ganz vom Text leiten lassen. In einigen Werken treten auch andere Sänger auf, die sich auf der gleichen Wellenlänge befinden.

Fazit: wir haben es hier mit einer absoluten Spitzenproduktion zu tun, die mit Sicherheit zu den besten Aufnahmen des Jahres gehört.

"Northern Light - Echos from 17th-century Scandinavia"
Lucile Richardot, Mezzosopran; Ensemble Correspondances/Sébastien Daucé
Harmonia mundi HMM 905368 (© 2025) Details

Donnerstag, 24. Juli 2025

Duranowski & Lolli: Violinduette - Bartłomiej Fraś, Martyna Pastuszka


Im 18. Jahrhundert wurden viele Duette für zwei gleiche Instrumente komponiert, aber in den Konzertsälen hört man sie eher selten. Solche Werke waren in erster Linie wohl für pädagogische Zwecke gedacht: sie konnten von einem Lehrer und seinem Schüler gespielt werden. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erschienen auch viele Lehrwerke, die Laien unterrichten sollten über die Art und Weise, wie ein Instrument gespielt werden sollte. Sie sind Produkte der Aufklärung, die sich auch mit solchen Sachen beschäftigte.

Allerdings wurden solche Duette auch für Aufführungen im intimen Kreis verwendet. Das erklärt die gedruckten Ausgaben solcher Werke. Die hier zu rezensierende Produktion enthält drei Duette für zwei Violinen, die am Ende des 18. Jahrhunderts entstanden sind. Die beiden Komponisten haben auf den ersten Blick wenig gemeinsam. August Fryderyk Duranowski (1770-1834) war ein polnischer Geiger, Antonio Lolli (1725-1802) ein Italiener einer älteren Generation. Beide wurden aber zu den grössten Geigern ihrer Zeit gerechnet, die in ihrem Spiel mit neuen Techniken Aufsehen erregten. Die Verbindung zwischen beiden liegt in der Person des Aristokraten Michał Kazimierz Ogiński (1728-1800), der in Słonim (heute Weissrussland) ein Opernhaus, ein Orchester und eine Kunstschule gründete. Duranowski, einem Geiger französischer Abstammung (sein Vater hiess Durand) trat in seinen Diensten, und hatte die Gelegenheit in Paris bei Giovanni Battista Viotti zu studieren. Er machte grossen Eindruck auf Niccolò Paganini, den er zu dessen 24 Caprices anregte.

Lolli stammte aus Bergamo. Er wirkte einige Zeit im Hoforchester in Stuttgart und in Sankt Petersburg. Das hinderte ihn nicht daran, in ganz Europa als Geigenvirtuose aufzutreten. Sein Spiel nötigte Bewunderung ab, aber seine Kompositionen wurden eher kritisch empfangen wegen Mängeln im Kontrapunkt und Orchestrierung. Er legte grösseren Wert auf technische Virtuosität als auf Phrasierung. Wie er Michał Kazimierz Ogiński kennengelernt hat, wird im Textheft nicht erwähnt, aber er widmete ihm seine sechs Duette op. 9, die um 1785 in Paris gedruckt wurden. Er muss ihn gekannt haben: Ogiński spielte die Harfe, und es ist wohl kein Zufall, dass diese Werke mehrere virtuose Arpeggien enthalten, die an die Harfe erinnern. In der hier eingespielten dritten Sonate gibt es Passagen mit Doppelgriffen und in hohen Lagen.

Im Vergleich sind die zwei Duette von Duranowski aus dem Opus 3 des Jahres 1800 weniger virtuos, aber sicherlich nicht leicht. Duranowski war einige Zeit in der Armee Napoleons, und das erklärt die Elemente militärischer Musik. Die erste Geige spielt die Hauptrolle; die zweite Geige tritt oft als Begleitinstrument auf. Typisch für die Zeit der Klassik ist, dass das erste Duo concertant mit einem Rondo entdet.

Musik die von Virtuosen für ihr eigenes Instrument komponiert wurde, ist nicht immer musikalisch interessant. Diese drei Werke sind aber durchaus geniessbar, vor allem für diejenigen, die eine besondere Vorliebe für die Geige haben. Sie werden vielleicht die veschiedenen Spieltechniken erkennen, die anderen entgehen. Es liegt aber auch an den Interpreten, ob solche Werke auch rein musikalisch überzeugen. Das ist hier der Fall. Die Technik steht nicht im Mittelpunkt, sondern ist Ziel zum Zweck. Die beiden Interpreten gehen einmütig zu Werke, und ihre Instrumente mischen sich perfekt, auch dank der Tatsache, dass es sich um zur Zeit passenden Geigen und Bogen handelt.

Diese CD ist nicht nur eingefleischten Geigenfreunden zu empfehlen. Sie bietet einen hochinteressanten Einblick in die Entwicklung des Geigenspiels in der Klassik.

August Fryderyk Duranowski, Antonio Lolli: "Violin duets"
Bartłomiej Fraś, Martyna Pastuszka, Violine
Prospero Classical PROSP0116 (© 2025) Details

Mittwoch, 16. Juli 2025

Crossing Borders - La Serenissima/Adrian Chandler



Viele deutsche Komponisten des Spätbarock waren Vertreter des 'vermischten Geschmacks', allen voran Georg Philipp Telemann. Obwohl er anfänglich dem italienischen Stil kritisch gegenüberstand, und den französischen Stil bevorzugte, integrierte er doch Elemente des Erstgenannen in seine Werke, insbesondere in seine Konzerte für eine oder mehrere Soloinstrumente. Das britische Ensemble La Serenissima hat sich in den letzten Jahren ausführlich mit dem italienischen Stil in Deutschland befasst, unter anderem mit einigen Aufnahmen mit Werken von Giuseppe Antonio Brescianello, der in Stuttgart wirkte. Auch in der hier zu rezensierende Produktion ist er wieder dabei.

Eine der Hauptfiguren ist Telemann. Er ist mit zwei bekannten Werken vertreten: dem Konzert für Traversflöte in D-Dur (TWV 51,D2) und dem Doppelkonzert in e-Moll (TWV 52,e1). Letzteres Werk, für Blockflöte und Traversflöte, ist eines seiner beliebtesten Konzerte. Adrian Chandler, der Leiter des Ensembles, bezeichnet die Kombination dieser Instrumente als ungewöhnlich. Das ist einer der Merkmale des Oeuvres von Telemann: er liebte es, Stücke für unkonventionelle Instrumentenkombinationen zu schreiben. Ein Beispiel ist auch das hier aufgenommene Trio für Traversflöte, Viola d'amore und Basso continuo in D-Dur, das nur selten auf CD aufgenommen worden ist. Es ist einer der Höhepunkte dieser CD.

Um dem Titel dieser CD gerecht zu werden, sollten auch italienische Komponisten zu Wort kommen. Vivaldi kann da wohl nicht fehlen. Von ihm erklingt das Blockflötenkonzert in F-Dur (RV 442). Das ist ein bekanntes Werk, das von vielen Blockflötist*innen gespielt wird. Interessant ist aber, dass hier auch noch eine Alternative für den Mittelsatz erklingt. Vivaldi has es angefangen: der A-Abschnitt ist komplett; nach drei Takten hat er den B-Abschnitt aber abgebrochen. Chandler hat es vervollständigt.

Zu den wenig bekannten Werken gehört eine Blockflötensonate von Ignazio Sieber. Ursprünglich hiess er Ignaz, was darauf hinweist, dass er aus der deutschsprachigen Welt stammte. Er war zuerst als Oboenlehrer an der Ospedale della Pietà in Venedig tätig, und später als Lehrer für Traversflöte. Oboisten spielten meistens auch die Blockflöte, und so erklingt eine seiner Sonaten hier. Es ist ein schönes Werk, das sehr nach Vivaldi klingt. Und - wie gesagt - auch Brescianello ist wieder vertreten, hier mit einer Triosonate für zwei Violinen und Basso continuo, übrigens Concerto genannt.

Diese CD ist eine gute und abwechslungsreiche Mischung aus bekannten und unbekannten Stücken. Man könnte meinen, etwas mehr unbekannte Stücke wären zu bevorzugen, aber die Interpretationen der bekannten Werke können mit den schon verfügbaren mühelos mithalten. Wir sind hier von den früheren, zurückhaltenden Darbietungen italienischer und deutscher Musik von britischen Ensembles weit entfernt. Die Aufführungen sind einfach spitze. Das liegt am Ensemble, aber mit Sicherheit auch an den zwei Solistinnen: Tabea Debus (Blockflöte) und Katy Bircher (Traversflöte). Dazu gibt es noch Adrian Chandler selbst auf Violine und Viola d'amore.

Thematisch ist dieses Programm interessant und instruktiv, und alle Musik wird auf dem höchsten Niveau dargeboten. Diese CD soll ein Liebhaber von Barockmusik sich nicht entgehen lassen.

"Crossing Borders"
Tabea Debus, Blockflöte; Katy Bircher, Traversflöte; La Serenissima/Adrian Chandler
Signum Classics SIGCD918 (© 2025) Details

Valls: con afecto - BachWerkVokal

Im Verlauf der Geschichte hat es in der Musikwelt mehrere Kontroversen gegeben, die sich oft um 'Fehler' in bestimmten Komposition...