Donnerstag, 7. August 2025

Madrigale aus den Niederlanden - La Compagnia del Madrigale


Für mehrere Jahrhunderte beherrschten Komponisten der franko-flämischen Schule das europäische Musikleben, bis weit ins 16. Jahrhundert. Sie werden meistens in Verbindung gebracht mit geistlicher Musik, aber sie trugen auch zur Entwicklung des Madrigals bei. Insbesondere Adrian Willaert und Cipriano de Rore, die beide in Italien wirkten, haben einen entscheidenden Einfluss auf dieses Genre ausgeübt. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts verbreitete diese Gattung sich über Europa und erreichte auch die südlichen Niederlande.

Die Musik aus diesem Gebiet wird oft ausgeführt und aufgenommen, aber die meisten Interpreten beschränken sich auf geistliche Musik, französische Chansons und niederländische Lieder. Madrigale in italienischer Sprache werden selten in Programme einbezogen. Deswegen ist es wichtig und erfreulich, dass sich das italienische Ensemble La Compagnia del Madrigale, das sich ganz diesem Repertoire widmet, mit diesem Aspekt des Musiklebens in den südlichen Niederlanden beschäftigt.

Der grösste Teil des Programms besteht aus Madrigalen von Komponisten, die viele Musikliebhaber nicht einmal vom Namen her kennen, wie Jean de Turnhout, Jean Desquesnes oder René del Mel. Alle sind mit einem Stück vertreten. Aber auch derjenige, aus dessen Schaffen hier vier Madrigale gesungen werden, Séverin Cornet, wird nur den Wenigsten bekannt sein. Ihm wird mit Recht besondere Aufmerksamkeit geschenkt, denn seine Madrigalsammlung, die 1581 in Antwerpen gedruckt wurde, war die erste Ausgabe mit Stücken eines einzelnen Komponisten, die in Antwerpen erschien.

Diese Stadt war ein Zentrum des Musikdrucks. Deswegen erklingen hier - vielleicht um zu zeigen, wie stark die Komponisten vom italienischen Stil beeinflusst wurden - auch Madrigale italienischer Komponisten, die in Antwerpen in Sammeldrucken erschienen. Und so finden sich hier auch Werke von Andrea Gabrieli, Luca Marenzio und Alessandro Striggio. Ausserdem sind zwei Komponisten ins Programm einbezogen, die in unterschiedlicher Weise mit den südlichen Niederlanden verbunden sind. Giovanni de Macque wirkte in Neapel und ist vor allem als Virtuose auf Tasteninstrumenten bekannt. Obwohl er in Valenciennes geboren wurde, war er flämischer Abstammung. Und Peter Philips verliess England aus religiösen Gründen und wirkte als Organist in Brüssel. Beide komponierten auch Vokalmusik, darunter Madrigale.

Die Texte von Madrigalen sind inhaltlich nicht sehr differenziert. Da die Komponisten jedoch in der Regel Texte namhafter Dichter verwendeten, wird dasselbe Thema auf unterschiedliche Weise behandelt. Musikalisch sind Madrigale aufgrund der Art und Weise, wie die Komponisten sie ausmalten, interessant. Die hier aufgeführten Madrigale sind voll sogenannter 'Madrigalismen'. Dazu sind nicht nur musikalische Figuren zu rechnen, sondern auch Harmonie, Tempo und Metrum. Diese Mittel werden angewandt, um Textelemente und Kontraste innerhalb der Gedichte hervorzuheben. Bei La Compagnia del Madrigale kann man sicher sein, dass alle Elemente, die Madrigalen ihren individuellen Charakter verleihen, voll zur Geltung kommen. Jede Aufnahme dieses Ensembles, die ich gehört habe, war ein Volltreffer, und das ist hier nicht anders. Es ist eines der besten Ensembles in diesem Repertoire.

Diese CD beleuchtet einen relativ unbekannten Aspekt der Musikszene im Süden der Niederlande, und zwar auf eine Art und Weise, die wohl kaum zu übertreffen ist. Hoffentlich öffnet sie die Augen und Ohren anderer Ensembles, und spornt sie sie an, sich mit diesem Repertoire zu beschäftigen.

"Si breve è 'l tempo - Madrigals of the Low Countries"
La Compagnia del Madrigale
Musique en Wallonie MEW2410 (© 2025) Details

Donnerstag, 31. Juli 2025

Northern Light - Lucile Richardot, Ensemble Correspondances


In Deutschland wurde im 17. Jahrhundert eine grosse Menge an geistlicher Musik komponiert. Der substantieller Teil wurde nie gedruckt und ist nur in Handschrift erhalten geblieben. Zwei grosse Sammlungen sind wichtige Quellen solchen Repertoires, entweder in Handschriften oder in gedruckten Ausgaben: die Düben-Sammlung und die Bokemeyer-Sammlung. Erstere ist die Quelle, aus der Lucile Richardot und Sébastien Daucé, der Leiter des Ensemble Correspondances, geschöpft haben in der Zusammenstellung eines Programms, das unter dem Titel 'Northern Light' herausgebracht wurde.

Dieser Titel bezieht sich nicht nur auf das Aufbewahrungsort der Sammlung: die Universitätsbibliothek in Uppsala (Schweden), sondern auch darauf, dass mehrere der eingespielten Werke etwas mit Schweden zu tun haben. Es finden sich im Programm zwei Stücke mit schwedischen Titeln. Bei Ack Herre, låt dina helga änglar von Franz Tunder handelt es sich um sein geistliches Konzert Ach Herr, lass deine lieben Engelein. In der Düben-Sammlung ist eine zusätzliche Stimme mit dem schwedischen Text hinzugefügt. I frid vill jag nu fara von Johann Krieger war ursprünglich ein Stück für eine Beerdiging. Diese Stücke werfen ein interessantes Licht auf die Aufführungspraxis am schwedischen Hof, wo Gustav Düben tätig war.

Auch ein anderes Werk von Tunder, das Adventskonzert Hoslanna dem Sohne David, wurde mit einem neuen Text versehen, diesmal einem deutschen: Jubilate et exultate, vivat rex Carolus. Der Anlass war die Krönung König Karls VI. im Jahre 1675. Wenn er 1697 verstarb, erschien eine Reihe von vier Trauergedichten, die von Johann Fischer, der in Riga wirkte (zu jener Zeit Teil des schwedischen Königreichs), vertont wurden. Die Musik ist verlorengegangen, und für diese Aufnahme wurde das erste Gedicht einer Trauermotette aus seiner Feder angepasst.

Einige deutsche Komponisten wirkten in Skandinavien, wie Christian Geist, zuerst in Kopenhagen und dann in Stockholm. Von ihm erklingt Es war aber an der Stätte, da er gekreuziget ward, über die Beerdigung Jesu nach seinem Tode. Christian Ritter wirkte in Stockholm als Sänger und übernahm 1690, nach dem Tode Dübens, dessen Stelle als Leiter der Hofkapelle.

Es finden sich in der Düben-Sammlung nicht nur Werke deutscher Komponisten, sondern Musik aus ganz Europa, darunter auch von italienischen Komponisten, wie Vincenzo Albrici und Marco Gioseppe Peranda. Allerdings war der erstgenannte einige Zeit Sänger am Hofe in Stockholm, bis Königin Christina abdankte und nach Rom übersiedelte. Albrici trat in den Dienst des Hofes zu Dresden, wie später auch Peranda.

Das wohl bekannteste Werk im Programm ist Johann Christoph Bachs Lamento Ach, daß ich Wasser's g'nug hätte. Mit drei Gamben in der Instrumentalbesetzung ist es ein typisch deutsches Werk des 17. Jahrhunderts. Die Präsenz mehrerer tiefen Instrumente - entweder Bratschen oder Gamben - ist einer der Gründe, warum dieses Repertoire solch eine ausdrucksstarke Tiefe besitzt. Ein anderer Grund ist die Konzentration auf den Text, ganz im Sinne von Heinrich Schütz, aber auch in Übereinstimmung mit der Theologie Martin Luthers, in dem sich alles um das Wort Gottes dreht.

Es ist ein Wunder, wie eine Sängerin wie Lucile Richardot dieses Repertoire interpretiert. Oder auch nicht: ich habe noch nie etwas von ihr gehört, das nicht mindestens gut war. Was hier geboten wird, ist Spitzenklasse. Sie verfügt über eine einzigartige Stimme, die als Mezzosopran bezeichnet wird. Aber diese enthält ein kräftiges tiefes Register, mit tenoralen Zügen. Es hilft ihr, alle Ecken und Kanten jedes einzelnen Werkes auszuschöpfen. Sie zeigt ein gründliches Verständnis der Texte und deren Bedeutung, und ihre deutsche Aussprache ist fehlerfrei und idiomatisch. Dazu kommt das exzellente Spiel der Instrumentalisten, die sich ebenfalls ganz vom Text leiten lassen. In einigen Werken treten auch andere Sänger auf, die sich auf der gleichen Wellenlänge befinden.

Fazit: wir haben es hier mit einer absoluten Spitzenproduktion zu tun, die mit Sicherheit zu den besten Aufnahmen des Jahres gehört.

"Northern Light - Echos from 17th-century Scandinavia"
Lucile Richardot, Mezzosopran; Ensemble Correspondances/Sébastien Daucé
Harmonia mundi HMM 905368 (© 2025) Details

Donnerstag, 24. Juli 2025

Duranowski & Lolli: Violinduette - Bartłomiej Fraś, Martyna Pastuszka


Im 18. Jahrhundert wurden viele Duette für zwei gleiche Instrumente komponiert, aber in den Konzertsälen hört man sie eher selten. Solche Werke waren in erster Linie wohl für pädagogische Zwecke gedacht: sie konnten von einem Lehrer und seinem Schüler gespielt werden. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erschienen auch viele Lehrwerke, die Laien unterrichten sollten über die Art und Weise, wie ein Instrument gespielt werden sollte. Sie sind Produkte der Aufklärung, die sich auch mit solchen Sachen beschäftigte.

Allerdings wurden solche Duette auch für Aufführungen im intimen Kreis verwendet. Das erklärt die gedruckten Ausgaben solcher Werke. Die hier zu rezensierende Produktion enthält drei Duette für zwei Violinen, die am Ende des 18. Jahrhunderts entstanden sind. Die beiden Komponisten haben auf den ersten Blick wenig gemeinsam. August Fryderyk Duranowski (1770-1834) war ein polnischer Geiger, Antonio Lolli (1725-1802) ein Italiener einer älteren Generation. Beide wurden aber zu den grössten Geigern ihrer Zeit gerechnet, die in ihrem Spiel mit neuen Techniken Aufsehen erregten. Die Verbindung zwischen beiden liegt in der Person des Aristokraten Michał Kazimierz Ogiński (1728-1800), der in Słonim (heute Weissrussland) ein Opernhaus, ein Orchester und eine Kunstschule gründete. Duranowski, einem Geiger französischer Abstammung (sein Vater hiess Durand) trat in seinen Diensten, und hatte die Gelegenheit in Paris bei Giovanni Battista Viotti zu studieren. Er machte grossen Eindruck auf Niccolò Paganini, den er zu dessen 24 Caprices anregte.

Lolli stammte aus Bergamo. Er wirkte einige Zeit im Hoforchester in Stuttgart und in Sankt Petersburg. Das hinderte ihn nicht daran, in ganz Europa als Geigenvirtuose aufzutreten. Sein Spiel nötigte Bewunderung ab, aber seine Kompositionen wurden eher kritisch empfangen wegen Mängeln im Kontrapunkt und Orchestrierung. Er legte grösseren Wert auf technische Virtuosität als auf Phrasierung. Wie er Michał Kazimierz Ogiński kennengelernt hat, wird im Textheft nicht erwähnt, aber er widmete ihm seine sechs Duette op. 9, die um 1785 in Paris gedruckt wurden. Er muss ihn gekannt haben: Ogiński spielte die Harfe, und es ist wohl kein Zufall, dass diese Werke mehrere virtuose Arpeggien enthalten, die an die Harfe erinnern. In der hier eingespielten dritten Sonate gibt es Passagen mit Doppelgriffen und in hohen Lagen.

Im Vergleich sind die zwei Duette von Duranowski aus dem Opus 3 des Jahres 1800 weniger virtuos, aber sicherlich nicht leicht. Duranowski war einige Zeit in der Armee Napoleons, und das erklärt die Elemente militärischer Musik. Die erste Geige spielt die Hauptrolle; die zweite Geige tritt oft als Begleitinstrument auf. Typisch für die Zeit der Klassik ist, dass das erste Duo concertant mit einem Rondo entdet.

Musik die von Virtuosen für ihr eigenes Instrument komponiert wurde, ist nicht immer musikalisch interessant. Diese drei Werke sind aber durchaus geniessbar, vor allem für diejenigen, die eine besondere Vorliebe für die Geige haben. Sie werden vielleicht die veschiedenen Spieltechniken erkennen, die anderen entgehen. Es liegt aber auch an den Interpreten, ob solche Werke auch rein musikalisch überzeugen. Das ist hier der Fall. Die Technik steht nicht im Mittelpunkt, sondern ist Ziel zum Zweck. Die beiden Interpreten gehen einmütig zu Werke, und ihre Instrumente mischen sich perfekt, auch dank der Tatsache, dass es sich um zur Zeit passenden Geigen und Bogen handelt.

Diese CD ist nicht nur eingefleischten Geigenfreunden zu empfehlen. Sie bietet einen hochinteressanten Einblick in die Entwicklung des Geigenspiels in der Klassik.

August Fryderyk Duranowski, Antonio Lolli: "Violin duets"
Bartłomiej Fraś, Martyna Pastuszka, Violine
Prospero Classical PROSP0116 (© 2025) Details

Mittwoch, 16. Juli 2025

Crossing Borders - La Serenissima/Adrian Chandler



Viele deutsche Komponisten des Spätbarock waren Vertreter des 'vermischten Geschmacks', allen voran Georg Philipp Telemann. Obwohl er anfänglich dem italienischen Stil kritisch gegenüberstand, und den französischen Stil bevorzugte, integrierte er doch Elemente des Erstgenannen in seine Werke, insbesondere in seine Konzerte für eine oder mehrere Soloinstrumente. Das britische Ensemble La Serenissima hat sich in den letzten Jahren ausführlich mit dem italienischen Stil in Deutschland befasst, unter anderem mit einigen Aufnahmen mit Werken von Giuseppe Antonio Brescianello, der in Stuttgart wirkte. Auch in der hier zu rezensierende Produktion ist er wieder dabei.

Eine der Hauptfiguren ist Telemann. Er ist mit zwei bekannten Werken vertreten: dem Konzert für Traversflöte in D-Dur (TWV 51,D2) und dem Doppelkonzert in e-Moll (TWV 52,e1). Letzteres Werk, für Blockflöte und Traversflöte, ist eines seiner beliebtesten Konzerte. Adrian Chandler, der Leiter des Ensembles, bezeichnet die Kombination dieser Instrumente als ungewöhnlich. Das ist einer der Merkmale des Oeuvres von Telemann: er liebte es, Stücke für unkonventionelle Instrumentenkombinationen zu schreiben. Ein Beispiel ist auch das hier aufgenommene Trio für Traversflöte, Viola d'amore und Basso continuo in D-Dur, das nur selten auf CD aufgenommen worden ist. Es ist einer der Höhepunkte dieser CD.

Um dem Titel dieser CD gerecht zu werden, sollten auch italienische Komponisten zu Wort kommen. Vivaldi kann da wohl nicht fehlen. Von ihm erklingt das Blockflötenkonzert in F-Dur (RV 442). Das ist ein bekanntes Werk, das von vielen Blockflötist*innen gespielt wird. Interessant ist aber, dass hier auch noch eine Alternative für den Mittelsatz erklingt. Vivaldi has es angefangen: der A-Abschnitt ist komplett; nach drei Takten hat er den B-Abschnitt aber abgebrochen. Chandler hat es vervollständigt.

Zu den wenig bekannten Werken gehört eine Blockflötensonate von Ignazio Sieber. Ursprünglich hiess er Ignaz, was darauf hinweist, dass er aus der deutschsprachigen Welt stammte. Er war zuerst als Oboenlehrer an der Ospedale della Pietà in Venedig tätig, und später als Lehrer für Traversflöte. Oboisten spielten meistens auch die Blockflöte, und so erklingt eine seiner Sonaten hier. Es ist ein schönes Werk, das sehr nach Vivaldi klingt. Und - wie gesagt - auch Brescianello ist wieder vertreten, hier mit einer Triosonate für zwei Violinen und Basso continuo, übrigens Concerto genannt.

Diese CD ist eine gute und abwechslungsreiche Mischung aus bekannten und unbekannten Stücken. Man könnte meinen, etwas mehr unbekannte Stücke wären zu bevorzugen, aber die Interpretationen der bekannten Werke können mit den schon verfügbaren mühelos mithalten. Wir sind hier von den früheren, zurückhaltenden Darbietungen italienischer und deutscher Musik von britischen Ensembles weit entfernt. Die Aufführungen sind einfach spitze. Das liegt am Ensemble, aber mit Sicherheit auch an den zwei Solistinnen: Tabea Debus (Blockflöte) und Katy Bircher (Traversflöte). Dazu gibt es noch Adrian Chandler selbst auf Violine und Viola d'amore.

Thematisch ist dieses Programm interessant und instruktiv, und alle Musik wird auf dem höchsten Niveau dargeboten. Diese CD soll ein Liebhaber von Barockmusik sich nicht entgehen lassen.

"Crossing Borders"
Tabea Debus, Blockflöte; Katy Bircher, Traversflöte; La Serenissima/Adrian Chandler
Signum Classics SIGCD918 (© 2025) Details

Donnerstag, 10. Juli 2025

Geistliche Schätze aus Rom - The London Oratory Schola Cantorum



Dieses Jahr (2025) ist Palestrinajahr. Es wird angenommen, dass Giovanni Pierluigi da Palestrina 1525 geboren wurde (es könnte aber auch Anfang 1526 gewesen sein). Das wird sich in CD-Aufnahmen und Konzerte niederschlagen. Einige CDs mit seiner Musik sind schon erschienen, und es werden noch weitere folgen. Auch die hier zu rezensierende CD ist ein Beitrag zum Palestrinajahr.

Palestrinas Musik wird nicht allgemein geschätzt. Jeder liebt Josquin, aber Palestrina... Es gibt nicht wenige, die seine Musik langweilig und wenig spannend finden. Der Grund liegt möglicherweise im 19. Jahrhundert. Damals gab es die Cäcilienbewegung, die eine Reform der katholischen Kirchenmusik anstrebte. Palestrina wurde als das grosse Vorbild sauberer Kirchenmusik schlechthin hochstilisiert. Es mündete in die Ausgabe seiner Musik und in Aufführungen von auch heute noch bekannten Werken, wie der Missa Papae Marcelli, dem Stabat mater und der Motette und Messe Tu es Petrus. Die Aufführungen waren in erster Linie wohl romantisch, was als Reaktion Aufführungen auslöste, die streng und geradlinig waren. Beide Extreme sind heute rar, aber in Sachen Aufführungspraxis hat sich noch nicht viel getan.

Ein interessanter Ansatz kam vom Chor der Sixtinischen Kapelle unter der Leitung von Massimo Palombella, aber seit er entlasssen wurde, scheint dieser Prozess zum Stillstand gekommen zu sein. Dabei war dieser Chor wie kaum ein anderer geeignet, neue Wege einzuschlagen. Es ist ein Kirchenchor, der diese Musik in seiner liturgischen Funktion kennt und aufführt, was von einem professionellen Vokalensemble nicht zu erwarten ist. Und er besteht, wie in Palestrinas Zeit, aus Knaben- und Männerstimmen, was heute leider rar ist.

Auch die London Oratory Schola Cantorum besteht aus Knaben- und Männerstimmen, und geht an diese Musik aus einer liturgischen Perspektive heran. Das ist eine der Stärken dieser Produktion: die Sänger kennen die Musik nicht nur vom Stil her, aber auch vom Inhalt und von ihrer liturgischen Bedeutung her. Dieser Chor mag etwas weniger bekannt sein, vor allem ausserhalb des Vereinigten Königreichs, als die Chöre aus Cambridge und Westminster, aber er ist qualitativ diesen keineswegs unterlegen. Diese Aspekte sorgen dafür, dass diese CD zeigt, dass Palestrinas Musik alles andere als langweilig ist. Es ist hilfreich, dass der Dirigent Charles Cole im Textheft auf subtile Textdeutungen hinweist. Das sind keine Madrigalismen, aber sie sind durchaus effektiv.

Palestrina wird hier auch in seinen historischen Kontext gestellt, indem es auch Motetten von Kollegen, Schülern und Enkelschülern gibt. Darunter sind mehrere, die heutzutage kaum bekannt sind. Das macht diese Produktion umso wertvoller.

Von historischer Aufführungspraxis kann hier nicht die Rede sein. Diese betrifft Sachen wie die Zahl der Sänger, das Verhältnis der verschiedenen Stimmgruppen und die Stimmung. Von einem Chor wie diesem, der wahrscheinlich auch viel spätere Musik singt, darf das wohl kaum erwartet werden. Das soll die Bedeutung dieser Produktion keineswegs schmälern. Sie ist ein wichtiger und erfreulicher Beitrag zum Palestrina-Gedenkjahr.

"Sacred Treasures of Rome"
The London Oratory Schola Cantorum/Charles Cole
Hyperion CDA68435 (© 2025) Details

Donnerstag, 3. Juli 2025

A Due: Sonate à violino e violone - Rebecca Raimondi, Sylvia Demgenski



Das Barockzeitalter wird auch mal als Generalbasszeitalter bezeichnet. Das ist nicht von ungefähr, denn der Generalbass war einer der Merkmale des neuen Stils, der sich um 1600 in Italien manifestierte, und bis weit ins 18. Jahrhundert fortleben würde. Es hat sich im Verlaufe der Zeit eine Art Konvention entwickelt, wie der Generalbass zu besetzen sei. Anfänglich bestand eine Generalbassgruppe aus einem Streichbass - Violoncello, Viola da gamba - und einem Tasteninstrument. Später kamen dazu Zupfinstrumente: Laute, Theorbe und Gitarre. Und obwohl Aufführungen und Aufnahmen Variationen zeigen, ist diese Zusammensetzung die noch immer geläufigste. Es ist aber zweifelhaft, ob das der historischen Konvention entspricht. Es scheint eher unwahrscheinlich, beispielsweise, dass in Bachs Werken immer eine Laute mitspielte, die heute sogar in Kantaten oft dabei ist.

Die hier zu besprechende Aufnahme bringt eine neue Besetzung ins Spiel: ein einziger Streichbass. Zwar gibt es Aufnahmen, in denen Sonaten auf diese Weise aufgeführt werden, aber dann meistens in einigen Werken, zur Abwechslung. Ich habe im Verlaufe der Zeit kaum Aufnahmen gehört, in denen diese Besetzung die einzige ist.

Die Bedenken liegen auf der Hand. Sollte der Basso continuo nicht für die Harmonie sorgen? Und was wird daraus, wenn nur ein Violoncello den Bass spielt, wie hier? Es gibt zwei Gegenargumente. Die erste ist, wie Chiara Bertoglio in ihrer Programmerläuterung ausführt, dass der Hörer oft wahrnimmt, was es strikt genommen nicht gibt. "Man könnte annehmen, dass eine Solo-Basslinie ohne die dazugehörigen Akkordtöne nicht unbedingt Harmonie vermittelt; jedoch ist der menschliche Geist, sofern er mit den harmonischen Regeln europäischer tonaler Musik vertraut ist, in der Lage, die Lücken der Harmonie auszufüllen (...). Sobald Bass- und Oberstimme vorhanden sind, lässt sich die harmonische Mitte leicht ergänzen. In der Tat erfolgt dies sogar ganz unbewusst."

Als zweites Argument lässt sich darauf hinweisen, dass historische Untersuchungen ergeben haben, dass auch Cellisten in der Art unterwiesen wurden, eine Basslinie mit Verzierungen und Diminutionen auszufüllen. Damit schlossen sie, sozusagen, die Lücke zwischen Diskant und Bass.

Ein weiteres Argument ist, dass historisch belegt ist, dass einige Geigenvirtuosen, die wir heute noch als Komponisten kennen, wie Veracini und Tartini (beide auf dieser CD vertreten), oft mit einem Cellisten auftraten: der Erstgenannte mit Salvatore Lanzetti, Tartini mit Antonio Vandini. Der Titel der damals veröffentlichten Sonatensammlungen verweisen oft für den Basso continuo auf Violoncello oder Cembalo ("violoncello ò cimbalo"). Solche Titel sollte man nicht zu buchstäblich nehmen: wenn ein Cembalo erwähnt wird, bedeutet das nicht, dass nicht auch eine Orgel verwendet werden könnte. Es zeigt aber, dass ein einziges Violoncello durchaus eine legitime Option darstellt.

Es ist das Verdienst der beiden Künstlerinnen, diese Möglichkeit ausgeschöpft zu haben, und zwar auf eine höchst eindrucksvolle Weise. Sylvia Demgenski realisiert die oben erwähnten Möglichkeiten zur Darstellung des Generalbasses mit viel Kreativität und Engagement. Man vergisst, dass es kein Akkordinstrument gibt. Und Rebecca Raimondi spielt die ausgewählten Werke mit viel Stilgefühl: Phrasierung, dynamische Differenzierung, Tempowahl, Verzierungen - hier stimmt alles. Dazu kommt noch eine interessante Werkauswahl, in der sich mehr oder weniger bekannte Werke mit weniger geläufigen Stücken abwechseln. Das Duo gibt es seit 2020, und diese CD ist sein Debut. Ein besserer Start für eine hoffentlich erfolgreiche Karriere lässt sich schwer vorstellen.

"A Due - Sonate à violino e violone..."
Rebecca Raimondi, Violine; Sylvia Demgenski, Violoncello
Da Vinci Classics C01048 (© 2025) Details

Mittwoch, 25. Juni 2025

Wie der Hirsch schreiet - Dominik Wörner, Kirchheimer Dübenconsort



Es ist erstaunlich, wieviel Musik im Deutschland des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts komponiert wurde. Dabei soll bedacht werden, dass ein substantieller Teil verlorengegangen ist. Aber auch von dem, was erhalten geblieben ist, kennen wir nur die Spitze des Eisbergs. Es lässt sich aus der politischen Struktur Deutschlands, mit seinen vielen Höfen, sowie aus der wichtigen Rolle von Musik im alltäglichen Leben erklären. Es ist daher nicht schwer, eine Aufnahme auf den Markt zu bringen mit Stücken, die noch nie auf CD erschienen sind. Und genau das ist der Fall mit der Produktion, die es jetzt zu rezensieren gibt.

Diese CD des Kirchheimer Dübenconsorts dokumentiert die stilistischen Entwicklungen im Verlaufe des Jahrhunderts. Dazu gehört der wachsende Einfluss des italienischen Stils. Dieser wurde nicht von allen begrüsst. Der kursächsische Oberhofprediger Martin Geyer sprach klare Worte in der Leichenpredigt bei der Beerdigung von Heinrich Schütz: die neue Musik sei "ausschweiffig, gebrochen, täntzerlich, und gar im wenigsten andächtig; mehr reimt sie sich zum theatro und tantzplatz, als zur Kirche". Es ist sehr wahrscheinlich, dass er damit die Auffassung von Schütz selbst wiedergegeben hat. Es ist schon ironisch, dass es dessen Lieblingsschüler Christoph Bernhard war, der einen der Protagonisten dieses Stils, Marco Gioseppe Peranda, von seinem Studienverbleib in Rom nach Dresden mitnahm. Peranda selbst, der nach dem Tod von Schütz dessen Amt übernahm, ist im Programm nicht vertreten, dafür aber andere, die den neuen Stil pflegten.

Das Programm dokumentiert nicht nur den Einfluss des italienischen Stils, sondern auch die Merkmale der deutschen Tradition, die Komponisten mit dem neuen Stil zu vermischen suchten. Das trifft zum einen auf die Textbehandlung zu. Schütz war ein Meister der Textdeutung, und sein Einfluss auf Komponisten seiner sowie jüngerer Generationen war gross. Ein Beispiel ist Johann Rosenmüller, dessen frühe Werke den Stil des Dresdner Hofkapellmeisters widerspiegeln. Eine Motette von Bonifazio Graziani ist ein Beispiel des modernen Stils; dieses Werk könnte Bernhard im Gepäck gehabt haben, als er nach Dresden zurückkehrte.

Diejenigen, die sich in der deutschen Musik des 17. Jahrhunderts auskennen, werden die meisten Komponisten von Namen her kennen, aber Musik von solchen wie Wolfgang Carl Briegel, Julius Johann Weiland oder Caro Bütner hört man nicht alle Tage. Und auch sie mögen die Namen von Johann Caspar Horn, Christian Andreas Schulze und Moritz Edelmann noch nie gehört haben. Dass Unbekanntheit nichts mit der Qualität der Musik zu tun hat, zeigt diese CD eindrucksvoll. Es sind alles sehr gut komponierte Werke, und jedes Stück hat etwas Besonderes und Eigenartiges zu bieten. Ein Beispiel ist Heut triumphieret Gottes Sohn von Caro Bütner: ein Stück für Ostern, in dem er zwar den Text des Kirchenliedes verwendet, aber ihn als Ganzes behandelt und die bekannte Melodie ignoriert.

Anderes Beispiel: Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser von Christian Andreas Schulze, der genau das Umgekehrte macht. Er teilt den Psalmtext auf in Abschnitte wie Strophen; dazwischen spielen die Instrumente Ritornelli und stimmt die erste Geige das Lied Wo soll ich fliehen hin an. Dieses Stück ist eines von drei über Verse aus dem 42. Psalm, der dieser CD ihren Titel verleiht. Das Programm fängt mit einer Vertonung des lateinischen Textes aus der Feder des Thomaskantors Sebastian Knüpfer an.

Ein anderes Merkmal der deutschen Tradition, die Komponisten beibehielten, ist der Kontrapunkt. Sie bevorzugten eine polyphone Streicherbegleitung, mit zwei Violinen, zwei oder mehr Bratschen oder - wie in dieser Einspielung - Gamben und Basso continuo, dann und wann erweitert von einer Violone oder einem Fagott. Diese Besetzungen trifft man auch in den Instrumentalwerken an, neben der in Deutschland ebenfalls beliebte Kombination von Violine und Viola da gamba.

Dieses hochinteressante und musikalisch fesselnde Programm wird vom Kirchheimer Dübenconsort und dem Bass Dominik Wörner auf ideale Weise dargestellt. Wörners Vortrag besticht, wie immer, durch eine ganz präzise Artikulation und makellose Diktion, die dafür sorgt, dass der Text - in diesem Repertoire immer der Kern - optimal verständlich ist. Dabei verfügt er über die dynamischen Möglichkeiten, um klare Akzente zu setzen. Das Ensemble bewegt sich auf gleicher Höhe, und auch im Spiel steht der Text im Mittelpunkt. Das Zusammenspiel ist perfekt, wie auch die Balance zwischen Stimme und Instrumenten.

Kurzum, mit dieser Produktion werden neue Masstäbe gesetzt.

"Wie der Hirsch schreiet - Sacred concerti of the 17th century"
Dominik Wörner, Bass; Kirchheimer Dübenconsort/Jörg-Andreas Bötticher
Passacaille PAS 1160 (© 2025) Details

Madrigale aus den Niederlanden - La Compagnia del Madrigale

Für mehrere Jahrhunderte beherrschten Komponisten der franko-flämischen Schule das europäische Musikleben, bis weit ins 16. Jahrhundert. S...