Montag, 2. Oktober 2023

Frescobaldi und der Süden - Francesco Corti



Girolamo Frescobaldi (1583-1643) ist einer der wichtigsten Komponisten der europäischen Musikgeschichte, jedenfalls im Bereich der Musik für Tasteninstrumente. Die Entwicklung dieser Gattung hat er wesentlich beeinflusst: er übersetzte die Prinzipien des 'neuen Stils', der um 1600 in Italien entstand, auf Cembalo und Orgel, und damit hat er Generationen von Komponisten von Musik für diese Instrumente geprägt. Über seinen Schüler Johann Jacob Froberger reicht sein Einfluss bis Johann Sebastian Bach. Die Gefahr einer solchen Ausnahmestellung ist, dass man so einen Komponisten isoliert betrachtet, als sei er vom Himmel gefallen und hätte er nicht Einflüsse anderer in sich aufgenommen. Francesco Corti betrachtet Frescobaldis Musik für Tasteninstrumente aus dem Blickwinkel des Südens. Vor allem in Neapel gab es eine lebendige Szene im Bereich der Tastenmusik; einige dort wirkende Komponisten gehörten zum Kreis um Carlo Gesualdo, und dessen harmonische Experimente, vor allem in seinen letzten zwei Madrigalbüchern, findet man auch in ihrer Tastenmusik.

Harmonische Experimente sind eine der Verbindungen zwischen diesen Komponisten und Frescobaldi. Eine andere ist die Verwendung eines harmonischen Musters oder einer Basslinie für virtuose Variationen. Solche Stücke waren beliebt durch ganz Europa, aber ganz besonders in Neapel, und auch Frescobaldi hat mehrere solcher Werke komponiert, wie die hier auch aufgenommene Cento Partite sopra Passacagli. Und dann gibt es noch Formen die sich sowohl bei Frescobaldi wie in Neapel finden, wie Toccata und Capriccio, zwei Formen, die in der Improvisationspraxis wurzeln und eine grosse rhythmische Freiheit in der Darstellung verlangen. Tänze dagegen sollten strikt im Takt gespielt werden. Auch davon gibt es einige Beispiele, insbesondere Gagliarden.

Frescobaldis Musik ist ziemlich bekannt, und wer sich in der Tastenmusik des 17. Jahrhunderts auskennt, wird mehrere bekannte und beliebte Stücke finden. Dazu zählt auch das Recercar con obligo di cantare la quinta parte senza tocarla, was Rätsel aufgibt, da die fünfte Stimme gesungen werden sollte, aber es keinen Text gibt. Hier wird diese Stimme von Adrés Locatelli auf der Blockflöte gespielt, was mir eine vertretbare Lösung scheint. Weniger überzeugend ist die Interpretation dieses Werkes auf dem Cembalo; soviel ich weiss, habe ich es immer auf der Orgel gehört, und das scheint mir auch das geeigneste Instrument.

Auch diejenigen, die mehr als durchschnittlige Kenntnisse der italienischen Tastenmusik des 17. Jahrhunderts besitzen, werden hier Stücke hören von Komponisten, die sie vielleicht nicht kennen oder deren Musik man auf jeden Fall sehr selten hört, wie Rocco Rodio, Scipione Stella, Francesco Lambardo und Giovanni Salvatore. Die Verbindung mit Frecobaldi ist aufschlussreich, und damit stellt diese CD sowieso eine bedeutungsvolle Erweiterung der Diskographie dar. Corti ist ein exzellenter Spieler, der das Programm fantasie- und schwungvoll zu Gehör bringt.

"Frescobaldi and the South"
Francesco Corti, Cembalo
Arcana A547 (© 2023) details

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