Kann ein Musiktheoretiker ein guter Komponist sein? Ja, das kann er. Aber oft tut sich die Musikwelt damit schwer, und kostet es Zeit, seine kompositorischen Qualitäten zu entdecken. Das trifft auf Johann Mattheson, Johann Joachim Quantz und Leopold Mozart zu, und auch auf Johann Joseph Fux. Der ist vor allem wegen seines Lehrwerks Gradus ad Parnassum, das unter anderem von Johann Sebastian Bach geschätzt wurde, bekannt geworden. Als Oberkapellmeister am kaiserlichen Hof zu Wien hat er ein grosses Oeuvre hinterlassen, vor allem an liturgischer Musik, aber auch Oratorien, Musik fürs Theater und Instrumentalmusik. Dazu kommen dann noch Werke für ein Tasteninstrument. Alfredo Bernardini führte 2018 bei der Styriarte zum ersten Mal eine Oper von Fux auf, und sie sollte von fünf weiteren gefolgt werden. Bis dato ist leider nur eine dieser Aufführungen auf CD erhältlich (Dafne in Lauro, 2019). Die Aufführungen von 2020 bis 2022 wurden von den Beschränkungen infolge der COVID-19-Pandemie beeinträchtigt. Das Festival hat sich Mühe gegeben, das Projekt weiterzuführen. Eine der Lösungen bestand darin, die Werke zweimal täglich in stark gekürzten Fassungen aufzuführen. Auch bei La corona d'Arianna, die 2022 während des Festivals erklang und direkt danach für CD eingespielt wurde, handelt es sich um eine gekürzte Fassung.
Das Werk wurde im August 1726 aus Anlass des Geburtstages der Kaiserin Elisabeth Christine in der Sommerresidenz der kaiserlichen Familie im Favorita-Garten in Wien aufgeführt, und erklang noch zweimal im September. Es wurde inszeniert und es gab Ballette, für welche Nicola Matteis die Musik beisteuerte. Das Orchester war mit Oboen, vier Trompeten und Pauken sowie Streichern üppig besetzt, und der Chor hat einen substantiellen Anteil. Venus spielt im Libretto die Hauptrolle, und diese schrieb Fux für die damals berühmte Sopranistin Marianna Lorenzani Conti. Es gab sechs weitere Rollen: eine für Sopran, drei für Alt und je eine für Tenor und Bass. Letztere zwei Rollen sind in dieser Fassung ganz gestrichen und es wurden weiter Rezitative und Arien weggelassen sowie auf einige Dacapos verzichtet. Ursprünglich sang Venus die meisten und die brillantesten Arien. Durch die Verkürzung ist die sich daraus ergebende Balance zunichte gemacht; immerhin mussten alle Sänger genügend zu Wort kommen.
Es ist schade, dass dieses interessante Projekt nicht so durchgeführt werden konnte, wie es geplant war. Allerdings sollten wir dankbar sein, dass man sich für diese Lösung entschieden hat, denn alles ist besser als gar nichts. Und die Qualität der Musik rechtfertigt eine Aufnahme dieser Fassung: sie soll jedem Hörer klar machen, dass Fux zu Unrecht nicht genug geschätzt wird. Die Musik ist hervorragend, und man kann nur hoffen, dass dieses Projekt und die CD-Aufnahmen zu einer verstärkten Fux-Renaissance beitragen. Die Interpreten helfen da kräftig mit. Alfredo Bernardini, einer der besten Barockoboisten unserer Zeit, manifestiert sich immer öfter als Leiter von Produktionen, auch mit Vokalmusik. Dabei beweist er ein gutes Ohr für Stimmen zu haben. Die fünf Solisten zeigen eine bemerkenswerte stilistische Konsistenz; keiner tanzt aus der Reihe. Es gibt kein übermässiges Vibrato und keine diskutable Verzierungen. Nur geht man dann und wann in den Kadenzen über die Tessitur einer Partie hinaus, was unerwünscht ist. Das Orchester ist alert und spielt farbenreich. In Kürze, obwohl wir es hier mit einer gekürzten Fassung zu tun haben, ist diese Produktion aller Aufmerksamkeit wert.
Fux: La corona d'Arianna
Monica Piccinini, Carlotta Colombo, Sopran; Marianne Beate Kielland, Alt; Meili Li, Rafał Tomkiewicz, Altus; Arnold Schoenberg Chor; Zefiro Baroque Orchestra/Alfredo Bernardini
Accent ACC 24391 (© 2023) details
Mittwoch, 20. September 2023
Fux: La corona d'Arianna - Alfredo Bernardini
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