Mittwoch, 11. Oktober 2023

Campra: Messe de Requiem - Emmanuelle Haïm



Viele Komponisten der Vergangenheit haben eine Totenmesse komponiert. Sie gehört zum Kernbestand der katholischen Liturgie. Deswegen ist es schon bemerkenswert, dass im französischen Barock fast keine Totenmessen entstanden sind. Auf jeden Fall sind nur zwei solcher Werke bekannt geworden, komponiert von André Campra bzw. Jean Gilles. Kein Wunder also, dass diese Werke in verschiedenen Aufnahmen vorliegen. Jetzt hat Emmanuelle Haïm eine weitere Aufnahme der Totenmesse von Campra vorgelegt.

Campra zeigte immer eine grosse Vorliebe für die Oper. Trotzdem wirkte er anfangs als Kapellmeister an der Notre Dame zu Paris. Als er 1697 mit L'Europe galante einen grossen Erfolg feiern konnte und der Klerus ihn wegen seiner Opernbeschäftigung kritisierte, beschloss er sich ganz dem Musiktheater zu widmen. In den 1720er Jahren kehrte er dann wieder zur Komposition geistlicher Musik zurück. Er veröffentlichte ein Buch mit Motetten, komponierte grands motets sowie drei Messen, darunter die Messe de Requiem, die wahrscheinlich um 1722 entstanden ist. Diese Messe besteht aus einem Introitus, Kyrie I und II, Gradual, Offertorium, Sanctus, Agnus Dei und Post Communio. Nach französischer Tradition gibt es kein Dies irae und Libera me; Campra unterliess auch das Benedictus. Insgesamt besitzt das Stück eine gewisse Leichtigkeit, was natürlich auch dem Fehlen des Dies irae zuzuschreiben ist. Der wohl ernsthafteste Abschnitt ist das Offertorium.

Die Aufnahme wird erweitert mit zwei sogenannten grands motets: Werke für Singstimmen, Chor und Orchester, meistens auf Texten aus dem Buch der Psalmen. Haïm hat zwei Werke ausgewählt, die thematisch zusammenhängen. In convertendo Dominus von Jean-Philippe Rameau ist eine Vertonung des Psalms 125 (126), der handelt vom Babylonischen Exil des jüdischen Volkes, während In exitu Israel von Jean-Joseph Cassanéa de Mondonville sich bezieht auf seinen Exodus aus Ägypten; diese Motette ist eine Vertonung des Psalms 113 (114). Beide Werke sind expressiv gestaltet; wichtige Stellen im Text werden musikalisch ausgemalt. Vor allem in der Motette von Mondonville sind Einflüsse der italienischen Oper bemerkbar.

Obwohl sich dann und wann bei den Solist*innen etwas zuviel Vibrato bemerkbar macht, sind ihre Leistungen generell sehr gut; ich war besonders beeindruckt vom Haute-contre Samuel Boden. Auch Chor und Orchester machen einen guten Eindruck. Schade, dass das Textheft so wenig Informationen enthält. Über die Komponisten wird kein Wort verloren; insbesondere über Mondonville hätte etwas gesagt werden sollen, denn er gehört zu den weniger bekannten Komponisten des französischen Barock. Das Textheft enthält die Gesangstexte, aber ohne Übersetzungen; die sind im Internet (Requiem) bzw. in der Bibel (Rameau, Mondonville) zu finden. Alle drei hier aufgenommenen Werke liegen schon in Aufnahmen vor, aber diese Produktion ist ein ernst zu nehmender Konkurrent.

Campra: Messe de Requiem
Marie Perbost, Emanuelle Ifrah, Sopran; Samuel Boden, Haute-contre; Zachary Wilder, Tenor; Victor Sicard, Bariton; Le Concert d'Astrée/Emmanuelle Haïm
Erato 5419750468 (© 2023) details

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