Dienstag, 22. Oktober 2024
Still und lieblich - InAlto (Lambert Colson)
Als die Interpreten alter Musik damit anfingen, alte Instrumente zu spielen, waren es meistens Instrumente die noch immer in Gebrauch waren: Flöte, Oboe, Violine, Violoncello. Der Unterschied lag darin, dass sie entweder Originalinstrumente oder Kopien solcher Instrumente spielten, oder Streichinstrumente, die zu ihrer Originalform zurückrestauriert worden waren. Mit der Zeit wurden auch Instrumente gespielt, die ganz aus dem Musikbetrieb verschwunden waren. Eines dieser war das Zink, auf italienisch cornetto. Bach hat es noch in einigen Kantaten verwendet, aber die Blütezeit des Zink war schon längst vorbei.
Im 16. und 17. Jahrhundert wurde es hoch geschätzt, da es - besser als jedes andere Instrument - in der Lage war, die menschliche Stimme zu imitieren, und die Stimme galt als das wichtigste aller Instrumente. Kein Wunder also, dass das Zink oft in Vokalmusik eingesetzt wurde, als Unterstützung oder Ersatz einer Singstimme. Ein besonderes Zink war das, was als 'stiller Zink' bekannt war, auf italienisch cornetto muto. Michael Praetorius schrieb dazu in seinem Buch Syntagma Musicum: "Cornetto muto aber / do das Mundstück zugleich mit an den Zincken gedrehet ist; vnd diese seynd am Resonantz gar sanfft / still / vnd lieblich zu hören. Darümb sie dann auch stille Zincken genennet werden." Daraus erklärt sich der Titel der vor kurzem erschienenen CD, die Lambert Colson diesem Instrument gewidmet hat.
Diese CD geht aus seiner Doktorarbeit zum stillen Zink hervor, und bringt grösstenteils Musik mit Partien, die speziell für dieses Instrument konzipiert wurden. Es war zweifellos ein wichtiges Instrument am Hofe von Hessen-Kassel im frühen 17. Jahrhundert. Dort regierte damals Moritz 'der Gelehrte', der über eine grosse musikalische Begabung verfügte und der Musik viel Gewicht beimisste. Das Hofinventar von 1613 zeigt, dass der Hof damals nicht weniger als 30 stille Zinken besass. Diese CD bringt fast alle Musik, die am Hofe komponiert wurde, und Partien für einen stillen Zink enthalten.
Das Programm eröffnet und schliesst mit mehrchörigen Werken von Giovanni Gabrieli bzw. Michael Praetorius. Ersteres hat Heinrich Schütz möglicherweise mitgenommen, als er aus Venedig zurückkehrte. Auch selbst ist er mit einem Werk vertreten, der Motette Siehe, wie fein und lieblich ist's, die er für die Hochzeit seines Bruders komponierte. Angesichts des Titels wundert es nicht, dass die höchste Instrumentalstimme dem stillen Zink anvertraut ist. Interessant ist, dass auch der erste Lehrer von Schütz - sowie der Lehrer von Moritz - vertreten ist: Georg Otto war von 1586 bis zu seinem Tode 1618 Kapellmeister am Hofe zu Kassel. Nicht alle Stücke sind direkt mit Kassel in Verbindung zu bringen: es gibt auch Werke von Orlandus Lassus und Thomas Selle. Aber alle Werke zeigen, wie der stille Zink damals funktioniert hat oder hätte verwendet werden können.
Diese CD ist hochinteressant, und es lohnt sich, im Textheft die Erläuterungen von Lambert Colson zu lesen, die darin das Ergebnis seiner Untersuchungen zusammenfasst. Die Interpretationen sind in jeder Hinsicht gelungen. Colson hat ein hervorragendes Ensemble von Sänger*innen und Instrumentalist*innen zusammengebracht, die das ausgewählte Repertoire glänzend zur Aufführung bringen. Diese CD ist ein schönes Monument für ein liebliches Instrument.
"Still und lieblich"
InAlto/Lambert Colson
Ricercar RIC 464 (© 2024) details
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Spiritus Domini: Sakralwerke des Innsbrucker Hoforganisten Paul Sartorius (1569-1609) - Marini Consort Innsbruck
Die Tiroler Landesmuseen produzieren seit Jahren eine Reihe von CDs, die Musik aus Österreich gewidmet sind. Oft handelt es sich um Musik ...
-
Der Name Emilio de' Cavalieri ist untrennbar mit einem Werk verbunden, der Rappresentatione di Anima e di Corpo , einer Moralität, die...
-
Seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts gab es einen wachsenden Bedarf an Musik, die von Laien im häuslichen Kreis gespielt werden konnte. Ge...
-
Johann Sebastian Bach war wohl der erste Komponist, der das Cembalo als Soloinstrument im Orchester verwendete. Das fünfte Brandenburgisch...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen