Mittwoch, 30. Oktober 2024
Campra: Messe de Requiem - Ensemble Correspondances
Auf den ersten Blick bietet die Aufnahme, die hier besprochen wird, nichts Neues. Das Requiem von André Campra (1660-1744) gehört zu den bekanntesten Vokalwerken des französischen Barock und liegt in mehreren Aufnahmen vor. Aber diese Neuaufnahme des Ensemble Correspondances hat mehr zu bieten, und zwar Repertoire, das kaum beachtet wird.
Campra war der letzte maître de musique der Kathedrale Notre-Dame in Paris im 17. Jahrhundert. Er hatte diese Stelle von 1694 bis 1700 inne; im letztgenannten Jahr wurde er von den Chorherren entlassen, weil er sich zuviel mit Oper beschäftigte, nachdem er 1697 mit seiner Oper Europe galante viel Erfolg geerntet hatte. Campra ist fast der einzige maître de musique, der heute noch bekannt ist. Seine Vorgänger in diesem Amt sind so gut wie vergessen. Die Ausnahme ist Pierre Robert, der von 1653 bis 1663 die Musik in der Kathedrale leitete. Allerdings ist er vor allem als sous-maître der Chapelle Royale bekannt geworden. Heutzutage wird die Musik, die in der Kathedrale aufgeführt wurde, ganz vom Repertoire in der Chapelle Royale überschattet. Das gilt auch für das Oeuvre von Robert, denn von ihm sind fast nur grands motets bekannt, die er für die Chapelle Royale komponierte; eine dieser Motetten erklingt hier. Zusammen mit Henry du Mont entwickelte er diese wichtige Gattung, die aber von Jean Veillot 'erfunden' wurde. Auch er war mal maître de musique an der Notre-Dame, und zwar von 1640 bis 1643, als er sous-maître der Chapelle Royale wurde. Von ihm sind leider nur wenige Werke überliefert; hier erklingen zwei Motetten zu fünf Stimmen und Basso continuo.
Sein Nachfolger war François Cosset, aber seine Amtszeit wurde von Problemen geprägt. Er behandelte die Chorknaben schlecht und kam in Konflikt mit den Domherren. Nach nur drei Jahren wurde er entlassen. Von ihm gibt es nur einige Messen. Die hier aufgenommenen Sätze der Missa Domine salvum fac regem (warum nicht die ganze Messe?) gilt als verschollen, und deswegen sind sie hier wohl in einer mit Instrumenten versehenen Fassung von Sébastien Brossard zu hören.
Interessant sind auch ein paar kurze einstimmige Gesänge für die Liturgie. Das Kapitel von Notre-Dame führte um die Mitte des 17. Jahrhunderts liturgische Reformen ein, die sich zwar nicht völlig von Rom abwandten, aber in verschiedener Hinsicht spezifisch französisch waren. Das Programm enthält zwei Beispiele dieses liturgischen Repertoires, von Jean Mignon, maître de musique von 1664 bis 1694, und Pierre Robert. Der Hymnus Procul maligni des ersteren (für das Fest der Heiligen Maria von Magdalena) und die Antiphon des letzteren für das Fest Mariä Lichtmess, Templi sacratas, werden hier einstimmig zur Begleitung eines Serpent vorgetragen, wie es in Frankreich üblich war.
Campras Requiem ist ein bekanntes Werk, aber wann und aus welchem Anlass es komponiert wurde, ist nicht bekannt. Das Textheft bietet eine neue Theorie: das Werk soll 1700 entstanden sein, als Campra noch maître de musique an der Notre-Dame war, und unter seiner Leitung aufgeführt worden sein. Die Argumente für diese Theorie leuchten ein, und damit wäre das Werk erheblich älter als oft angenommen.
Im Oktober 2023 rezensierte ich hier eine Aufnahme des Requiems von Campra unter der Leitung von Emmanuelle Haïm. Meine positive Beurteilung bleibt stehen, aber diese Neueinspielung unter der Leitung von Sébastien Daucé ist dieser überlegen. Wie immer tritt das Ensemble als eine stilistische Einheit auf, und das hängt auch damit zusammen, dass die solistischen Stellen von Mitgliedern des Ensembles gesungen werden. Sie treten so oft zusammen auf, dass es keine Unstimmigkeiten gibt; alles ist hier im Lot. Das Ensemble besteht sowieso aus exzellenten Sängern, wie die Mezzosopranistin Lucile Richardot, mit ihrer einzigartigen Stimme, der Tenor François Joron und der Bariton Étienne Bazola. Den Sängern und Instrumentalisten gelingt eine eindrucksvolle und bewegende Darstellung dieses Meisterwerks von Campra. Die Bedeutung dieser Produktion wird noch dadurch erhöht, dass das Requiem in einen sinnvollen historischen Zusammenhang gesetzt wird, und hier Musik zu hören ist von Komponisten, die kaum beachtet werden. Es ist klar, dass die Musikpflege an der Notre-Dame mehr Beachtung finden sollte.
Campra: "Messe de Requiem & Les Maîtres de Notre-Dame de Paris"
Ensemble Correspondances/Sébastien Daucé
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