Freitag, 20. Dezember 2024

Zelenka: Missa Gratias agimus tibi - Frieder Bernius


Der Dirigent Frieder Bernius hat im Verlauf seiner Karriere, mit Hilfe seines Kammerchors Stuttgart, sich für die Musik von Jan Dismas Zelenka eingesetzt. Die späten Messen haben sich insbesondere seiner Aufmerksamkeit erfreut, und in seiner letzten Produktion hat er sich erneut einer Messe zugewandt, aber dann einer viel früher entstandenen. Dazu kommen noch einige Werke aus den Zyklen mit Vespermusik, die Zelenka zwischen 1725 und 1727 zusammengestellt hat.

Die Vokalbesetzung in den Vesperpsalmen und den Magnificatvertonungen ist unterschiedlich. Einige dieser Werke scheinen für Aufführung durch die Kapellknaben der katholischen Kapelle am Dresdner Hof bestimmt gewesen zu sein. Ein Beispiel auf dieser CD ist Laudate pueri Dominum, in dem der Psalmtext von Sopran und Alt gesungen werden, während der Bass die Anfangsworte singt und bis zum Ende wiederholt. Darüber hinaus gab es die Hofkapelle, zu der einige Kastraten gehörten, die in erster Linie für Opernaufführungen angestellt waren, aber deren Qualitäten Zelenka für anspruchsvolle Soli in seiner Vespermusik des ersten Zyklus ausgeschöpft haben mag.

Beatus vir ist in drei Abschnitte aufgeteilt. Der erste umfasst den grössten Teil des Textes und ist für Chor gesetzt, enthält aber auch eine Episode für Tenor und Bass. Die Doxologie eröffnet mit einem Arioso für Sopran, und schliesst mit einer Fuge auf dem Amen. Dieses Werk ist dem zweiten Zyklus entnommen, während das Magnificat in D-Dur zum ersten Zyklus gehört. Später hat Zelenka Partien für Trompeten und Pauken hinzugefügt, damit es für besondere Anlässe geeignet war. Es enthält eine Episode für Sopran und Violine; die Sopranpartie wird zweifellos von einem der Kastraten gesungen worden sein, während die Geige möglicherweise von Johann Georg Pisendel gespielt wurde. Nicht überraschend wird 'Fecit potentiam' vom ganzen Ensemble dargestellt. Das Amen ist eine Doppelfuge. Nicht umsonst wird Zelenka manchmal als der 'katholische Bach' bezeichnet: Kontrapunkt spielt in seinem Oeuvre eine Hauptrolle. Das ist auch in der Messe der Fall.

Die Missa Gratias agimus tibi ist auf den 5. Oktober 1730 datiert. Im April 1730 traf eine Gruppe junger Sänger in Dresden ein. Die männlichen Sänger dieser Gruppe waren die Sopranisten Ventura Rochetti und Giovanni Bindi sowie die Altisten Domenico Annibali und Casimiro Pignotti. Einer ihrer Lehrer, der Altist Antonio Campioli, kam ebenfalls mit. Es besteht kein Zweifel, dass Zelenka sich bei der Komposition dieser Messe von diesen Sängern hat inspirieren lassen, da sie mehrere längere Soloepisoden enthält. Im Gloria, beispielsweise, gibt es eine Folge von Soloepisoden für Alt, Sopran bzw. Tenor/Bass. Wie üblich sind im Credo die Worte über die Fleischwerdung intim gehalten; Zelenka erreicht das durch die Reduktion der Besetzung zu drei Solostimmen: Sopran, Alt und Tenor. Das 'Crucifixus' ist ein Solo für Alt. Selbstverständlich wird die Auferstehung vom ganzen Ensemble dargestellt. Sowohl Sanctus-Benedictus und Agnus Dei sind in drei Abschnitte aufgeteilt: die ersten und letzten sind für Chor und Orchester gesetzt, und dazwischen gibt es Soloabschnitte: der Tenor singt das Benedictus, und das zweite Agnus Dei ist für ein Soloquartett (SSAA) gesetzt.

Diese Produktion stellt einmal mehr die Brillianz und die Eigenartigkeit von Zelenka unter Beweis. Seine Kreativität, nicht nur generell in seiner Komposition für Singstimmen und Instrumente, aber auch in der musikalischen Ausmalung des Textes, ist eindrucksvoll. Die Interpreation ist nahezu ideal. Die Solist(inn)en sind exzellent, und Chor und Orchester bringen ebenfalls ausgezeichnete Leistungen. Es gibt viele Liebhaber der Musik Zelenkas, und das lässt sich gut verstehen. Sie werden sich über diese Produktion freuen.

Jan Dismas Zelenka: Missa Gratias agimus tibi
Hannah Morrison, Franziska Bobe, Sopran; David Allsopp, Philipp Cieslewicz, Altus; Thomas Hobbs, Tenor; Jonathan Sells, Bass; Kammerchor Stuttgart; Barockorchester Stuttgart/Frieder Bernius
Carus 83.515 (© 2024) details

Freitag, 13. Dezember 2024

JS Bach: Jauchzet & lobet - BachWerkVokal


Wie der Name des Ensembles BachWerkVokal zu erkennen gibt, steht Bach im Mittelpunkt seines Wirkens. Die bis dato erschienenen CDs enthalten immer jedenfalls ein Werk des Leipziger Thomaskantors. Die neueste Aufnahme ist ganz seinem Schaffen gewidmet. Der Titel dieser Produktion weist auf einen starken Zusammenhang zwischen den eingespielten Werken hin. Die Kantaten BWV 69a und 137 sind beide für den 12. Sonntag nach Trinitatis bestimmt, und wurden im August 1723 bzw. 1725 zum ersten Mal aufgeführt. In der ersten Kantate, Lobe den Herrn, meine Seele, spielen Blockflöte und Oboe d'amore bzw. Oboe da caccia eine ausgeprägte Rolle mit Obligatstimmen in den beiden Arien, für Tenor bzw. Bass. Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren (BWV 137) ist eine Choralkantate, weicht in der Struktur aber grundsätzlich von den Kantaten im Choralkantatenjahrgang 1724/25 ab. Denn wo in jenen Kantaten nur die erste und die letzte Strophe wörtlich einbezogen werden und die übrigen Strophen zu Rezitativen und Arien umgewandelt werden, werden in dieser Kantate alle Strophen unverändert dargestellt. Es ist eine Kantate per omnes versus; das bekannteste Werk dieser Art ist Christ lag in Todesbanden (BWV 4). Die zweite Strophe ist eine Arie mit Obligatvioline; später hat Bach diese zu einer Choralbearbeitung arrangiert und in seine Schübler-Choräle aufgenommen (als Kommst du nun, Jesu, vom Himmel herunter).

Eine der bekanntesten Kantaten ist Jauchzet Gott in allen Landen. Sie ist ausgesprochen virtuos, sowohl in der Solopartie für Sopran wie in der Obligatstimme für Trompete. Es wird allgemein angenommen, dass der virtuose Trompeter Gottfried Reiche, für den Bach mehrmals anspruchsvolle Partien komponierte, den Trompetenpart gespielt hat. Wer aber die Sopranpartie gesungen hat, ist unbekannt. War es ein besonders brillanter Knabensopran, oder vielleicht ein erwachsener Diskantist, der mit seiner natürlichen Stimme diese Partie bewältigen konnte? Es ist nicht auszuschliessen, dass diese Kantate ausserhalb der Liturgie zur Aufführung gekommen ist, und dann käme durchaus eine Sängerin in Frage. Vielleicht Anna Magdalena? Wir wissen es nicht. Es muss auf jeden Fall eine(n) äusserst begabte(n) Sänger(in) gewesen sein.

Das Lob Gottes ist auch das Thema der Motette Lobet den Herrn, alle Heiden. Es gibt Musikwissenschaftler, die die Authentizität dieses Werkes in Frage stellen. Einige Dirigenten haben deswegen in ihrer Gesamtaufnahme der Motetten dieses Werk ausgelassen. Im Textheft der hier besprochenen CD wird dieses Thema gar nicht diskutiert.

Das letzte Werk dieser Produktion ist ein Pasticcio. Jauchzet dem Herrn, alle Welt (BWV Anh 160) besteht aus Stücken von Telemann und Bach. Der Eröffnungschor soll von Telemann stammen, aber das Original ist unauffindbar. Das ist anders beim abschliessenden dritten Teil, der von Bachs Nachfolger im Amt des Thomaskantors, Johann Gottlieb Harrer, aus einer Kantate von Telemann übernommen wurde. Nur der Mittelteil ist ein authentisches Werk von Bach: 'Sei Lob und Preis mit Ehren' ist eine Bearbeitung des Chorals 'Nun lob mein Seel den Herren' aus der Kantate BWV 28.

Nicht nur das Programm zeigt ein hohes Mass an Konsistenz, das gilt auch für die Interpretation. Es hilft, dass die Solopartien von Mitgliedern des Ensembles gesungen werden. Diese Interpretationen sind eine kollektive Leistung, zu der alle Sänger und Instrumentalisten beitragen. Die Tutti sind makellos und die Solopartien werden hervorragend dargestellt. Die Solistin in Jauchzet Gott in allen Landen muss selbstverständlich genannt werden: Electra Lochhead ist höchst eindrucksvoll in der Art und Weise, wie sie die oft buchstäblich atemberaubende Solopartie darstellt. Schön ist die Differenzierung zwischen 'guten' und 'schlechten' Noten, sogar in den in einem hohen Tempo gesungenen Abschnitten.

Diese CD ist zweifellos eine der besten Bach-Aufnahmen, die ich in den letzten Jahren gehört habe.

Johann Sebastian Bach: "Jauchzet & lobet"
Ensemble BachWerkVokal Salzburg/Gordon Safari
MDG 923 2315-6 (© 2024) details

Donnerstag, 5. Dezember 2024

Kuhnau: Uns ist ein Kind geboren - Peter Gortner


Die geistliche Musik im Deutschland des späten 17. und des frühen 18. Jahrhunderts - grob gesagt: zwischen Schütz und Bach - hat lange Zeit ein Schattendasein geführt. Erst das letzte Buxtehude-Jahr (2007) hat dazu geführt, dass sein ganzes Schaffen in diesem Bereich auf CD festgelegt wurde. Und vor einigen Jahren komplettierte Gregor Meyer die Gesamtaufnahme des Vokalwerks von Johann Kuhnau für CPO. Beide Projekte haben einen positiven Auswirkung gehabt, denn die Kantaten von Buxtehude werden heute regelmässig aufgeführt, und die hier besprochene CD zeugt von einem gewachsenen Interesse am Oeuvre von Kuhnau.

Zwei Kantaten von Kuhnau sind die Hauptwerke dieser Weihnachts-Produktion. Frohlocket, ihr Völker, und jauchzet, ihr Heiden ist wahrscheinlich ein Spätwerk. Die Besetzung ist für vier Singstimmen, vierstimmige Streicher, drei Trompeten und Pauken. Es wird oft behaupet, Kuhnau sei konservativ gewesen und hätte sich negativ über die neueste Mode, Kantaten nach der italienischen Oper zu modellieren, geäussert. Diese Kantate beweist das Gegenteil. Das Werk eröffnet und schliesst mit Chorsätzen; dazwischen stehen zwei Paare Rezitativ und Arie - ganz modern. Der Eröffnungschor hat ein Dacapo und zeigt eine grosse Ähnlichkeit mit den Chorsätzen, die später Bachs Kantaten eröffnen werden. In diesem Sinne gibt es ein Kontinuum zwischen Bach und Kuhnau. Die zweite Arie basiert auf einen Basso ostinato, und trägt die Bezeichnung aria di ciaconna. Sie hat den Charakter eines Schlafliedes.

Uns ist ein Kind geboren ist der Titel der zweiten Kantate, aber in diesem Falle ist die Autorschaft von Kuhnau nicht sicher. Er hat zwar eine Kantate zu diesem Text komponiert, aber der Text dieses Werkes, dessen Musik verlorengegangen ist, weicht teilweise vom Text der hier aufgenommenen Kantate ab. Der Autor dieses Textes ist Erdmann Neumeister, dessen Texte auch Bach benutzen würde. Auch in der Verwendung seiner Texte kommt zum Ausdruck, dass Kuhnau durchaus offenstand für neue Entwicklungen. Diese Kantate wurde mal in den Schmieder-Katalog aufgenommen (als BWV 142), später dann in den Anhang verschoben. Die Besetzung ist für vier Singstimmen, zwei Blockflöten, zwei Oboen, Streicher und Basso continuo. Es gibt drei Arien, eine ohne und zwei mit Dacapo.

Das Programm wird erweitert mit kurzen Stücken aus früherer Zeit, von Michael Praetorius und Johannes Eccard. Darunter sind zwei 'Schlager': Praetorius' Vertonung von Es ist ein Ros entsprungen ist fast so bekannt wie Stille Nacht; leider hat man sich dafür entschlossen, auch eine Strophe zu singen, die erst 1844 von Friedrich Layriz verfasst wurde. In Deutschland ist auch Eccards Lied Übers Gebirg Maria geht ein fester Bestandteil des Weihnachtsrepertoires.

Die Interpretationen sind generell sehr gut gelungen. Die Solisten verdienen Lob, insbesondere Franz Vitzthum und Daniel Schreiber. Der Chor singt schön, aber in diesem Repertoire sind mehr als 30 Sänger zuviel; Gregor Meyer hat die Kantaten von Kuhnau mit einem Ensemble von Solisten aufgenommen, und das scheint mir der Aufführungspraxis in Kuhnaus Zeit zu entsprechen.

Trotzdem, diese CD ist zu begrüssen: jede Aufnahme von Kantaten von Kuhnau ist willkommen, damit sein Oeuvre bekannter wird. Und diese CD ist eine gute Gesellschaft für die Weihnachtszeit.

Kuhnau: "Uns ist ein Kind geboren - Weihnachtskantaten"
Jessica Jans, Sopran; Franz Vitzthum, David Erler, Altus; Daniel Schreiber, Tenor; Florian Hartmann, Bass; Kammerchor der Christuskirche Karlsruhe; L'arpa festante/Peter Gortner
Christophorus CHR 77479 (© 2024) details

Zelenka: Missa Gratias agimus tibi - Frieder Bernius

Der Dirigent Frieder Bernius hat im Verlauf seiner Karriere, mit Hilfe seines Kammerchors Stuttgart, sich für die Musik von Jan Dismas Zel...